Spielwarenmesse: Roboter erobern das Kinderzimmer
So sehen Kinder-Träume aus: Auf Tausenden Quadratmetern werden derzeit auf der Spielwarenmesse Nürnberg alle Spiele-Neuheiten des Jahres ausgestellt, zum Anschauen und zum Ausprobieren. Zu Beginn präsentierte eine Jury die vier besten Ideen für Kinderspiele vom Baby- bis zum Teenager-Alter. Erstmals wurde in den Kategorien "Schulkinder" und "Teenager" ein Spiel für das digitale Zeitalter ausgezeichnet.
Mit Lego Boost für sechs bis zehn Jahre können schon Volksschüler spielerisch ihre ersten Programmiererfahrungen sammeln, begründet die Jury ihre Entscheidung. Im Set sind Bauanleitungen für mehrere Modelle – Roboter Vernie, Katze Frankie und eine Gitarre, die per App am Handy oder Tablet zum Leben erweckt werden. Das Fahrzeug Revell Control X-treme Raver VR Racer (ab 10 Jahren) bezieht sogar die Virtuelle Realität (VR) ein und verbindet das ferngesteuerte Auto mit einer VR-Brille.
Der Spielzeug-Trend ist damit klar: Digitales für Größere und Spiele zum Angreifen für die Kleineren. Auf diese Kombination setzt auch Brigitte Hübel-Fleischmann, Lehrerin an einer montessoriorientierten Mehrstufenklasse und Lehrerausbildnerin an der Pädagogischen Hochschule Wien, wo sie ihr Wissen am Education Innovation Studio im Zentrum für Lerntechnologie und Innovation (ZLI) einbringt. "Das digitale Spiel hat in der Reformpädagogik seinen Platz. Wir alle müssen den Paradigmenwechsel akzeptieren, die Hinwendung zu den digitalen Medien. Es liegt an uns, das Gute daraus zu nutzen."
Vorstufe zur Technik
Bevor man zur Technik greift, gilt es viele Kompetenzen im dreidimensionalen Raum und im normalen Leben zu erwerben, betont sie. Ein Beispiel: "Wir lernen das Programmieren auf einfache Weise, etwa mit einem Bee-Bot – einer kleinen Roboter-Biene, die schon Volksschüler steuern können. Um dafür alle möglichen Richtungen korrekt definieren zu können, brauchen Schülerinnen und Schüler eine gute Raum-Lage-Orientierung. Diese gewinnen sie, wenn sie sich im echten Leben viel bewegen."
Teamwork, Regelverständnis und Selbstwirksamkeit – also das Wissen, dass man durch sein eigenes Tun etwas bewirken kann – sind sowohl im analogen als auch im digitalen Spiel wichtige Fähigkeiten, die beim Spielen gefordert und trainiert werden.
Brettspiel
Was Regeln bedeuten, lernen Kinder bereits bei einem klassischen Gesellschaftsspiel, etwa "Mensch ärgere dich nicht". Je komplexer ein Spiel, desto mehr Entwicklungssprünge macht das Gehirn. Das Kind lernt so problemorientiertes, logisches Denken. Es reflektiert, ob seine Spielhandlung klug war.
Hübel-Fleischmann nutzt analoge und digitale Spiele auch in der Klasse. Beispiel: Mit einer dritten Klasse stand das Projekt Wohnen auf dem Stundenplan. Mit Minecraft – einem bei Kindern und Jugendlichen beliebten Spiel – gestalteten die Schüler Häuser und drehten sogar einen Stop-Motion-Film. Beim Programm Scratch kreieren Volksschüler kleine Spiele mit Hilfe eines Koordinatensystems. "Es wäre früher undenkbar gewesen, dass sich kleine Kinder mit dem komplexen Thema Koordinatensystem so gut auskennen."
Analog oder digital?
Bleibt die Frage: Gibt es auch ein Zuviel an digitaler Nutzung? "Das kann man nicht allgemein beantworten. Überall dort, wo analog besser ist als digital, sollte man das Tablet liegen lassen", sagt Hübel-Fleischmann.
So sehen das auch die Eltern, die Spielwaren kaufen, beobachtet Ravensburger-Chef Hermann Otten. "Zu unseren stärksten Produkten zählt der Tiptoi -Stift, bei dem Kinder bei Büchern oder Spielen durch Antippen Akustikinhalte dazubekommen. Versuche, dabei Handyapps einzusetzen, wurden nicht angenommen. Beim Spielen wollen die Eltern das Handy eher weglassen." Deshalb stellt er jetzt auf der Messe einen neuen Tiptoi-Stift für Wissbegierige ab drei Jahren vor. Und eine Retro-Idee, die Eltern an ihre eigene Kindheit erinnern wird: die gute alte Kugelbahn zum Zusammenstecken.
Bewegung wirkt: Kinder, die physisch aktiv sind, haben ein geringeres Risiko, an Depressionen zu erkranken, konnten Forscher der Norwegian University of Science and Technology zeigen. Sport hat somit nicht nur Vorteile für das körperliche Wohlbefinden, sondern auch für das psychische.
Was bedeutet das für die Ergebnisse des Toy Awards, bei dem digitale Spiele so gut abgeschnitten haben? Dass die Kinder dabei eher inaktiv sind, ist kritisch zu betrachten – vor allem, wenn sie sonst keinen sportlichen Ausgleich haben.
Lebenserfahrung
Ich selbst bin im digitalen Zeitalter aufgewachsen und habe früher oft elektronische Spiele wie „Die Sims 2“ oder „Mario Kart“ auf dem Computer oder Nintendo gespielt. Daher kenne ich das Problem sehr gut: Man möchte mit zwölf Jahren lieber zu Hause am PC spielen statt draußen an der frischen Luft. Zumal die Verlockung groß ist: Schließlich ist die Auswahl an elektronischen Spielen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Sie sind vielfach spannender und machen mehr Spaß, als fangen zu spielen.
Wie wird Bewegung wieder attraktiver? Eine Herausforderung für Spielehersteller, die neue Spiele erfinden könnten. Solche, die Kinder zu Bewegung animieren. Spiele, bei denen man selbst aktiv werden muss, statt einen ganzen Tag lang bewegungslos auf einem Tablet herumzudrücken.
Vielleicht ließe sich diesbezüglich an Virtual Reality anknüpfen, indem Brillen entwickelt werden, die die Realität erweitern. Und durch die in der „echten“ Welt Abenteuer erlebt werden können. Oder aber man schließt an Spiele wie „Wii Fit“ an, bei denen man Sportarten ausübt und dabei nicht sitzt. Möglichkeiten gibt es viele – Hauptsache, mehr Bewegung.
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