So stark erhöht Alkohol das Krebsrisiko
So ganz unerwartet kam es ja nicht: „In asiatischen Ländern konnte man sehr gut beobachten, wie der steigende Alkoholkonsum bei Frauen auch zu einem Ansteigen der Fälle an Speiseröhrenkrebs führte“, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Prim. Harald David, langjähriger Leiter der (seit Juni geschlossenen) Alkoholentwöhnungsstation im Otto-Wagner-Spital in Wien.
Trotzdem lässt eine neue Studie viele zunächst einmal schlucken (und damit ist jetzt kein Getränk gemeint): Alkohol kann demnach direkter Auslöser von sieben verschiedenen Krebserkrankungen sein – und das nicht erst bei hohem Konsum (siehe untenstehende Infografik).
Zwar bedeute hoher Konsum auch hohes Risiko. Aber bereits ein moderater Konsum berge ein gewisses Risiko. Es gebe keine Evidenz für einen unbedenklichen Schwellenwert, unterhalb dem der Alkoholkonsum sicher ist, schreibt die Sozialmedizinerin Jennie Connor (Universität von Otago, Neuseeland) in ihrer Übersichtsarbeit, die jetzt im Fachjournal Addiction erschienen ist.
Konkret geht es um Rachen-, Kehlkopf- und Speiseröhrenkrebs, sowie bösartige Erkrankungen von Brust, Leber, Dick- und Mastdarm.
Wo sogar BBC schluckt
Kritiker könnten einwerfen, dass Beispiele wie jenes von den Frauen aus Asien nicht aussagekräftig genug sind: Schließlich könnte es ja auch andere Gründe geben, warum die Krebshäufigkeit steigt – etwa generell eine ungesündere Ernährungs- und Lebensweise. Doch solche Einwände weist Connor zurück: „Es gibt mittlerweile ausreichende Belege dafür, dass Alkoholkonsum ein direkter Auslöser von Krebserkrankungen ist.“
„Ja, diese Studien gab es“, antwortete Conner, „aber die Wissenschaft entwickelt sich weiter. Es gibt heute bessere Studien – und die Daten für einen solchen positiven Effekt sind nicht so stark, wie wir früher dachten und auch nicht so stark wie der Zusammenhang mit Krebs.“
Ist jetzt also gar kein Glas Wein oder Bier mehr „erlaubt“?
„Man muss das relativieren“, sagt David. „Man muss immer alle persönlichen Risikofaktoren in Betracht ziehen – etwa: Bin ich auch übergewichtig? Rauche ich? Wie ernähre ich mich? Gab es zum Beispiel schon Fälle von Speiseröhren- oder Magenkrebs in der Familie? Das Studienergebnis ist für mich nachvollziehbar, aber es heißt nicht, dass man gar nichts mehr trinken darf. Der Punkt ist: Man darf alles, sollte aber immer Vor- und Nachteile abwägen.“
Rote Rübe statt Rotwein
Wer unterhalb der sogenannten „Harmlosigkeitsgrenze“ (ganz grob ein Viertel Wein bzw. ein großes Bier täglich, siehe Grafik) bleibt – sie bezieht sich eigentlich auf das Risiko für eine Alkoholabhängigkeit – , sei „relativ auf der sicheren Seite, dass er in absehbarer Zeit keine schweren alkoholbedingten Schäden bekommen wird“, betont David.
Und der Gesundheitsschutz durch Rotwein?
„Einen gewissen Schutzeffekt gibt es nur bei Menschen, die sonst körperlich völlig gesund sind“, sagt David. „Aber Rotwein kann in dieser Hinsicht um nichts mehr wie rote Rüben oder rote Beeren. Es sind einfach die im roten Farbstoff enthaltenen Antioxidantien. Doch um diesen Effekt zu erzielen, muss ich keinen Rotwein trinken. Da tut’s der Rote-Rüben-Saft genauso.“
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.Auch die neue Studie zum Krebsrisiko wird wahrscheinlich nicht viel ändern: Immer noch müssen sich Menschen, die keinen Alkohol trinken, bei vielen Anlässen dafür rechtfertigen. Psychiater Harald David bringt in seinen Vorlesungen immer ein Beispiel, das zeigen soll, wie absurd das eigentlich ist: „Mein Vater mochte keine Dille. Aber nie hat jemand zu ihm gesagt: ,Was, du magst keinen Dill? Warum nicht, der ist doch so gut.‘ Dass man keinen Dill isst, das ist sozial akzeptiert. Aber beim Alkoholkonsum wird gerade in Österreich immer noch subtiler Druck auf jene ausgeübt, die nicht mittrinken.“
Zwar gebe es einen gewissen positiven Trend: „Bei Betriebsfeiern etwa geht dieser Rechtfertigungsdruck zurück. Aber es gibt ihn immer noch.“ Genauso, wie es nach wie vor viele Politiker gebe, die bei Fotos von öffentlichen Auftritten ganz selbstverständlich ein alkoholisches Getränk in der Hand halten: „Das sollte eigentlich längst der Vergangenheit angehören.“
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