Sie waren mutig und ihrer Zeit weit voraus: Frauen im Porträt
Anlässlich des Frauentags am 8. März: Erinnerung an außergewöhnliche Pionierinnen, Abenteurerinnen und Visionärinnen.
04.03.19, 05:00
Ihr Name ist wohl nur wenigen bekannt, dabei gebührt Christine de Pizan (1364 bis 1430) ein besonderer Platz in der Geschichtsschreibung – ist sie doch die erste bekannte Feministin des Abendlands. Als sie 25-jährig ihren über alles geliebten Ehemann verlor und gezwungen war, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie selbst zu verdienen, begann sie zu schreiben. Zuerst Gedichte, später Sachliteratur: Werke über Erziehung, Kriegskunst und männliche und weibliche Zeitgenossen.
Das Buch, das sie zur ersten Feministin machte, erschien im Jahr 1404: „Die Stadt der Frauen“. Darin verteidigte sie das weibliche Geschlecht nicht nur gegen die Angriffe der Männer, die aus purem Neid und Konkurrenzdenken die Frauen verleumden würden. Manche Männer stellte sie gar als Versager dar. Für Pizan war klar, dass Frauen zumindest die gleichen Fähigkeiten haben wie Männer. In ihrem berühmten Werk beschreibt Pizan übrigens eine imaginäre Stadt, die nur von Frauen bewohnt und regiert wird, und in der auch nur sie arbeiten.
Starke Frauen, die nicht jede kennt, aber kennen sollte:
Sieben Jahre vor Beginn der #MeToo-Bewegung läutet Kathryn Bigelow in Hollywood eine neue Zeitrechnung ein. Als erste Frau in der 81-jährigen Geschichte der Oscars erhält sie für ihr Irak-Drama „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ den Regiepreis. Bei den strapaziösen Dreharbeiten in der jordanischen Wüste sei sie als Einzige cool geblieben, sagt ihr Hauptdarsteller später. Dafür und für ihre testorengeladenen Filme („Zero Dark Thirty“ handelt von der Jagd auf Osama bin Laden) verpassen Medien der 67-Jährigen den ironischen Beinamen „letzter Macho Hollywoods“.
Hohe Brust, lange Röcke, XS-Taille: Damenmode um die Jahrhundertwende nimmt Frauen buchstäblich die Luft zum Atmen. Bis die junge, aus armen Verhältnissen stammende Modeschöpferin Coco Chanel (eigentlich Gabrielle Chasnel) dem Korsett den Kampf ansagt. Sie kürzt Röcke, strickt Badeanzüge und verwendet bequemen Jersey, der bis dato Männern vorbehalten ist, ohne auf Eleganz zu verzichten. Auch privat verkörpert sie, bis zu ihrem Tod unverheiratet und kinderlos, das moderne Frauenbild: Sie will kein Objekt der Begierde sein, sondern eine eigenständige Frau.
Als Kind will sie Geschichte-Lehrerin oder Visagistin werden. Dann, im August 2014, überfallen Terroristen des IS ihr Dorf im Nord-Irak, töteten in kürzester Zeit Tausende Männer und ältere Frauen, darunter ihre Mutter und Brüder. Nadia Murad wird wie viele junge Frauen verschleppt, vergewaltigt, gefoltert. Der Jesidin gelingt die Flucht. Heute erhebt sie als UN-Sonderbotschafterin trotz Traumatisierung ihre Stimme für jene, die wie sie schwerste sexuelle Gewalt erfahren haben. Und Nadia Murad wird gehört: 2018 erhält sie mit 25 Jahren den Friedensnobelpreis.
Bei einem Autobusunglück 1925 wird Frida Kahlo, Mexikanerin mit deutschen Vorfahren, schwerst verletzt. Während der langwierigen Rekonvaleszenz beginnt die damals 18-Jährige im Bett zu malen – überwiegend Selbstporträts in oft surrealer Bildsprache. Ihre Gemälde erzielen lange nach ihrem Tod 1954 Rekordpreise. Die Künstlerin mit den markanten Brauen beschreibt sich selbst als große Diva; bisexuelle Tequila-Trinkerin, Raucherin, Erzählerin von schmutzigen Witzen, die in pompösen Eingeborenenkleidern durch ihr Viertel hinkt und festliche Abendessen veranstaltet.
2012 ist sie auf dem Weg nach Hause, als ein maskiertes Mitglied der Taliban im pakistanischen Swat-Tal ihren Schulbus stürmt und der 14-Jährigen in den Kopf schießt. Malala Yousafzai ist kein Zufallsopfer: In einem Blog hatt sie Kritik an den Terroristen geübt, die in ihrer Heimat Mädchenschulen schließen lassen. Sie überlebt, zieht mit ihrer Familie nach England und setzt ihre Mission fort. Ziel: Jedes Mädchen soll zur Schule gehen können. Mittlerweile studiert Malala in Oxford. Zwei Jahre nach dem Attentat wird sie als jüngste Person aller Zeiten mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Mit 18 ist sie Pilotin, wenig später verheiratet und nach dem Zweiten Weltkrieg ganz allein. Beate Uhse hat alles verloren: Ihr Mann ist gefallen, ihre Eltern sind beim Einmarsch der Russen umgekommen, die Heimat ist russisch besetzt. Ihr gelingt die Flucht in den Westen. Nach dem Krieg kehrt die Normalität zurück und mit ihr die Männer: Als immer mehr Frauen in ihrem Dorf schwanger werden, fragten sie Beate um Rat. Innerhalb kürzester Zeit betreibt sie einen schwunghaften Handel mit ihrer „Schrift X“ über (un-)fruchtbare Tage. Der Grundstein für den erste Sexshop der Welt ist gelegt.
Als die deutsche Industriellentochter 1927 aufbrach, gab es für viele Teilstrecken, die ihr bevorstanden, noch keine für Automobile geeignete Straßen. 1929 hatte Clärenore Stinnes es dennoch geschafft: Mit drei Revolvern und 128 harten Eiern im Gepäck hatte sie die 46.758 km durch 23 Länder bewältigt. Sie war die Erste, die per Auto um die Erde fuhr. Was sie antrieb: „Ich will die Welt aus eigener Anschauung kennenlernen, das ist alles.“ Der Kameramann Carl-Axel Söderström, ihr späterer Ehemann, notierte über sie: „Fräulein Stinnes muss aus Stahl sein. Hält klaglos durch.“
Am ersten Tag sitzt sie ganz alleine vor dem schwedischen Parlament, in den Händen ein Schild mit der Aufschrift „Schulstreik für das Klima“. Greta Thunberg hat es satt, dass die Mächtigen der Welt tatenlos zusehen, während der Klimawandel immer weiter fortschreitet. Inzwischen haben sich Zehntausende Schüler der 16-jährigen Aktivistin angeschlossen und gehen jeden Freitag für die Umwelt auf die Straße. Kritik, sie würde von ihren Eltern verheizt, verneint das Mädchen mit der Autismus-Diagnose vehement. Man sei „niemals zu klein, um einen Unterschied zu machen“.
Widerstandsgeist ist ihr in die Wiege gelegt worden. Emily Davison, 1872 in wohlhabende Verhältnisse geboren, studiert Literatur, Biologie und Chemie, schließt mit Auszeichnung ab – theoretisch. Praktisch ist der Hochbegabten, wie allen Frauen, ein akademischer Grad verwehrt. 1906 tritt sie der „Women’s Social and Political Union“ bei. Hungerstreiks, wangsernährung, Gefängnisstrafen folgen. 1913 – nach langem Kampf für die Frauenrechte – wirft sich Davison bei einem Derby vor das Pferd des Königs und stirbt vier Tage später. Erst 15 Jahre später werden die Britinnen zum ersten Mal wählen dürfen.
Die Tochter eines Stahlmagnaten wird 1868 in eine der reichsten Familien Großbritanniens hineingeboren. Ein Leben zwischen Hof und Geldadel scheint vorgezeichnet. Es kommt anders: Mit kaum 20 schließt Gertrude Bell in Oxford ihr Geschichte-Studium ab. Mit Bravour, aber ohne Titel – den gesteht man Frauen nicht zu. Im Orient macht sie Karriere, wird der weibliche Lawrence von Arabien. 1921 schreibt sie aus Bagdad an ihren Vater: „Ich habe den heutigen Morgen produktiv damit verbracht, die südliche Grenze des Irak festzulegen.“
„Zur Not wäre ich auch auf einem Besen geflogen“, sagt Walentina Tereschkowa und meint damit ihren ersten Ausflug ins All. Es ist auch der erste einer Frau überhaupt. 1963 hebt die Kosmonautin ab und bleibt 71 Stunden lang in der Erdumlaufbahn. Staatschef Nikita Chruschtschow höchstpersönlich hat sie ausgewählt: Linientreu, mutig, sternenverliebt und proletarisch, ist sie die Idealbesetzung. Und bleibt bis heute ein Rolemodel der Nation.
Als sie sich weigert, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast zu räumen, gerät ein ganzes System ins Wanken. Am 1. Dezember 1955 bleibt Rosa Parks, die bereits länger in der US-Widerstandsbewegung gegen Rassendiskriminierung aktiv ist, im Bus sitzen, statt für einen Weißen aufzustehen. Sie wird ver-
haftet. Der Montgomery Bus Boycott entsteht: Afroamerikaner weigern sich mit den öffentlichen Bussen zu fahren, was die Stadtverwaltung ökonomisch unter Druck setzt. Parks Aktion führt nach gut einem Jahr dazu, dass die Rassentrennung in den öffentlichen Verkehrsmitteln für verfassungswidrig erklärt wird.
In ihrer Heimat Saudi-Arabien muss Hissa Hilal ihren Ehemann um Erlaubnis bitten, wenn sie arbeiten, Autofahren oder verreisen möchte. Umso mutiger ist ihr Auftritt bei der populären Castingshow „Poet’s Millionaire“: Verhüllt im schwarzen Nikab kritisiert sie in ihren Gedichten vor 75 Millionen Zusehern die patriarchale arabische Gesellschaft und prangert absurde religiöse Vorschriften an. Morddrohungen halten die Künstlerin nicht davon ab, ihren Wunsch nach Gleichberechtigung weiter zu verbreiten. „Wenn sie mich töten“, sagt sie, „sterbe ich für die Menschlichkeit“.
Heiraten will sie nie – bereits mit elf Jahren legt sie einen Keuschheitsschwur ab. „Eher würde ich mich wie eine Sklavin behandeln und wie ein Hund anleinen lassen“, schreibt sie an ihren Lehrer. Elena Cornaro ist ein Universaltalent. Als Tochter eines einflussreichen venezianischen Prokurators 1646 in Venedig geboren, sprich sie mit sieben fließend Latein und Altgriechisch. Später kommen Hebräisch, Arabisch, Französisch und Spanisch dazu. Sie studiert Mathematik, Philosophie und Theologie.1678 wird ihr von der Universität Padua als erster Frau der Welt ein Doktortitel (Philosophie) verliehen.
Sie ist die Tochter des berühmten britischen Dichters Lord Byron und heiratet mit 19 Jahren William King (später Earl von Lovelace), den sie in Bibliotheken schickt, die ihr als Frau verwehrt sind. Er soll Artikel für sie abschreiben. Als Ada Lovelace dann von dem Plan des Erfinders Charles Babbage für eine gigantische Rechenmaschine erfährt, entwickelt sie in den 1840er-Jahren einen Algorithmus, mit dem der Apparat Berechnungen durchführen soll. Babbages Maschine wird nie gebaut, Adas Algorithmus jedoch gilt heute als erstes Computerprogramm der Geschichte.
Ihre Jugend ist enttäuschend, doch dann fallen alle Ketten ab. Die Wienerin wird eine der größten Abenteurerinnen und besucht sogar Kannibalen. Um 1850 sprengen die Reisen der Ida Pfeiffer die Grenzen ihrer Zeit und führen zu überraschenden Einsichten, veröffentlicht sie doch nicht weniger als 13 Bücher. Was sie dazu prädestinierte, war ihren Zeitgenossen ein Rätsel: Sie sei nur „eine gutmütige Wienerin im vorgerückten Alter, aber gut konserviert, anspruchslos in Kleidung und Sprache, Ton und Benehmen“. Trotzdem ist die Österreicherin wohl die erste Frau, die eine Weltreise wagt.
Sie hat es nicht leicht: Die Mutter stirbt bei ihrer Geburt, der Vater als sie zehn ist, ihr Mann kehrt als Schwerinvalider aus dem Ersten Weltkrieg heim, und sie pflegt ihn bis zu seinem Tod wenige Jahre später. Bereits mit dreizehn hat Zenzi Hölzl bei einem Bauern zu arbeiten begonnen, dann in einer Schrauben-Fabrik. Not und Ausbeutung lernt sie früh kennen. 1917 tritt sie der Sozialdemokratische Partei bei und setzt sich im Gloggnitzer Gemeinderat für die Interessen der Frauen ein. 1948 wird sie Bürgermeister von Gloggnitz – als erste Frau österreichweit; und bleibt es bis zu ihrem Tod zehn Jahre später.
Während sich Europa nur schwer von den napoleonischen Kriegen erholt, denkt Barbe-Nicole Clicquot an Champagner: 1805, mit 27 Jahren, übernimmt die unscheinbare Französin mit der großen Nase den Betrieb ihres verstorbenen Mannes. Und erfindet bald das Flaschen-Rütteln neu. Als Marketinggenie und taffe Geschäftsfrau verbreitet sie das prickelnde Savoir-vivre weit über Europa hinaus. Nebenbei eröffnet die Witwe – französisch Veuve – eine Bank. Bei ihrem Tod 1866 hinterlässt sie ein florierendes Unternehmen mit einem Absatz von 750.000 Flaschen jährlich.
Subjektive Auswahl
Mutige Frauen, visionäre Frauen, abenteuerlustige Frauen, unkonventionelle Frauen: In der Redaktion wurde heftig diskutiert. Namen wie Grete Rehor, Alma Mahler-Werfel, Marlene Dietrich, Helen Keller, Hildegard von Bingen, Amelia Earhart, Sophie Scholl und Jeanne d’Arc sind gefallen. Unsere völlig subjektive Auswahl erinnert an prominente und stellt noch nicht so bekannte vor. Allen gemeinsam: Sie waren außergewöhnlich, sind gegen den Zeitgeist sowie die Männerwelt angetreten und waren sogar bereit, im Kampf für Gleichberechtigung ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Gegen den Strich gebürstet, können sie bis heute Vorbild und Mutmacherinnen für nach wie vor benachteiligte Frauen sein.
Eine dieser Pionierinnen war es auch, die 1910 einen Internationalen Frauentag vorschlug, den wir in vier Tagen begehen: Die deutsche Sozialistin Clara Zetkin kam 1910 mit der Idee eines nationalen Kampftags für das Frauenstimmrecht zur Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz nach Kopenhagen. Schon der erste Frauentag in den USA 1909 war ein Erfolg gewesen, weil sich bürgerliche Frauenrechtlerinnen sowie Suffragetten den Forderungen nach dem Frauenwahlrecht anschlossen und gemeinsam mit den Sozialistinnen demonstriert hatten. Die Idee, diese Form des Protestes zu wiederholen, war schnell geboren: Der erste Internationale Frauentag fand dann am 19. März 1911 in Österreich-Ungarn, Deutschland, Dänemark und in der Schweiz statt. Und begründete eine Tradition: An Frauentagen wurden nun viele politische Ziele zum Thema gemacht, wie Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnabschläge, Senkung der Lebensmittelpreise, regelmäßige Schulspeisung und legaler Schwangerschaftsabbruch.
Weltweit
1977 ebnete ein Beschluss der Vereinten Nationen den Weg für einen weltweiten Internationalen Frauentag, der seitdem am 8. März begangen wird.
Wer sich vor Augen hält, dass geschätzte 163 Millionen Frauen nicht zur Welt gekommen sind, weil sie Opfer von selektiver Geburtenkontrolle geworden sind, weiß, dass der Kampf längst nicht zu Ende ist. Egal ob in China, Indien, Vietnam, Südkorea, Taiwan, Aserbaidschan, Georgien oder Albanien – in sehr vielen Ländern ist die Abtreibung weiblicher Föten in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen.
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