Nur ein Drittel der längsten Flüsse weltweit fließt ungestört

Ein Mann steht auf einem Gebäude vor einem großen Wasserfall.
Staudämme und Regulierungen stören eines der artenreichsten Ökosysteme, zeigt eine Studie über 300.000 Gewässer.

Alles fließt - aber nicht ungehindert: Nur noch ein Drittel der über 1000 Kilometer langen Flüsse weltweit ist frei von Staudämmen oder Regulierungen. Der Mensch stört den Zustand der Flüsse in ihrer Gesamtheit massiv - und damit die Ökosysteme mit der größten Artenvielfalt, berichtet ein Forscherteam im Fachblatt Nature.

Mehr als 300.000 Flüsse mit in Summe zwölf Millionen Flusskilometer haben die Wissenschafter um Christiane Zarfl vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen in ihrer Arbeit erfasst. Das Gros davon - rund 290.000 - sind kurze Flüsse mit zehn bis 100 Kilometer Länge, die weitgehend (97 Prozent) noch ungestört dem von der Natur vorgegebenen Lauf folgen können.

Lange Flüsse, große Eingriffe

Je länger die Flüsse werden, desto stärker sind sie vom Menschen beeinflusst. Von den weltweit 246 Flüssen mit einer Länge von mehr als 1000 Kilometern sind 156 bzw. 63 Prozent durch Staudämme und Regulierungen "gezähmt", nur 90 bzw. 37 Prozent können unbeeinflusst fließen. Sie beschränken sich dabei auf abgelegene Regionen in der Arktis, dem Amazonas- und Kongobecken. In den dicht bevölkerten Weltregionen wie Nordamerika, Europa und Südasien gebe es nur noch wenige sehr lange, frei fließende Flüsse, etwa den Irrawaddy und den Saluen in Südostasien.

Artenreiches Ökosystem - auch in Österreich

Flüsse zählen zu den artenreichsten Ökosystemen - "ohne weiteres vergleichbar mit Korallenriffen oder tropischen Regenwäldern", sagt der an der Studie beteiligte österreichische Gewässerökologe und FWF-Chef Klement Tockner.

Der "Living Planet Index", ein Indikator für die Biodiversität, zeige auch, dass der Rückgang der biologischen Vielfalt in den Binnengewässern um das drei- bis sechsfache stärker ist als in marinen und terrestrischen Systemen. Zugleich würden Flüsse eine wichtige Lebensgrundlage für viele Millionen Menschen bieten. Beispiele: Trinkwasserversorgung, Bewässerung in der Landwirtschaft, Fischfang.

Fragmentierung durch 2,8 Millionen Dämme

Andererseits zählten die Forscher in ihrer Arbeit 2,8 Millionen Dämme mit Stauseen von mindestens 1000 Quadratmetern Wasserfläche, die zu einer "Fragmentierung des Flusslaufs und teilweise schwerwiegenden Auswirkungen auf das ganze Flusssystem führen", so Zarfl in einer Aussendung. Zudem seien derzeit 3700 neue und große Dämme zur Wasserkraftnutzung in Planung, etwa in den Balkanstaaten, im Amazonasgebiet und in Asien. Darüber hinaus seien in Indien, China und Brasilien große Bewässerungsvorhaben geplant oder im Bau, wofür Flüsse ausgebaggert oder kanalisiert und Dämme gebaut werden.

Keine klimaneutrale Energiequelle

Wasserkraft sei "eine erneuerbare, aber keine klima- und umweltneutrale Energiequelle", betonte Tockner, für den die Flüsse "eine der größten Verlierer des Paris-Abkommens" sind, das einen Boom beim Ausbau der Wasserkraft nach sich ziehe. Wenn man aber Klimaschutz isoliert betrachte, könne das durch die gesetzten Maßnahmen zu einer massiven Beeinträchtigung der Biodiversität führen.

Schutzmaßnahmen für heimische Fließgewässer

Mit der Studie gebe es nun "eine Grundlage, um Prioritäten setzen zu können, welche Flussabschnitte wir erhalten bzw. wo wir Renaturierungsmaßnahmen setzen müssen", sagte Tockner. Übergeordnetes Ziel müsse "die Erhaltung der letzten frei fließenden Flüsse der Erde sein", betonen die Studienautoren.

Unabhängig von der Studie appelliert Tockner auch "die dramatische Situation der kleinen Gewässer im Alpenraum nicht außer Acht zu lassen". So sei in Österreich "der massive Ausbau von Kleinkraftwerken dramatisch, die sehr wenig für die Energiesicherheit bringen, aber in der Summe massive ökologische Auswirkungen auf die letzten Flussoberläufe im Alpenbereich haben".

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