Nobelpreis: Zur Sicherheit wird Mo Yan absurd

Nobelpreis: Zur Sicherheit wird Mo Yan absurd
Als "Staatsschriftsteller" kritisiert, als Geschichtenerzähler gelobt: Der Chinese Mo Yan bekommt den Literaturnobelpreis 2012.

Den Delfin Ariel können die Schweden ins Meer zurücklassen. Dieser Loser hatte die Nachfolge der Wahrsager-Krake Paul angetreten und Stunden vor Bekanntgabe auf die algerische Autorin Assia Djebar getippt. Die britischen Buchmacher hatten den Sieger immerhin unter den fünf chancenreichsten Kandidaten gereiht.

Mo Yan also ist der Literatur-Nobelpreisträger 2012. Das ist ein Künstlername. Mo Yan bedeutet "keine Sprache". Aber der 57-Jährige findet in seinen Büchern starke Worte. Wer je einen Roman von ihm gelesen hat – und der kleine Schweizer Unionsverlag hat einige übersetzen lassen –, wird ihn als tollen Erzähler im Hinterkopf eingespeichert haben.

Ein Schriftsteller mit Taktik: Er weiß, wie weit er gehen darf, um die Regierung nicht gegen sich aufzubringen. Einmal hat er gesagt, er sei deshalb Autor geworden, um es besser zu haben in China.

Vorwürfe absurd verpackt

Klug verpackt der Geschichtenerzähler deshalb kritische Äußerungen in Absurdes, und wenn er realistisch bleibt, dann nicht im heutigen China, sondern in der Zeit, bevor sich das Land etwas geöffnet hat.

Die Schwedische Akademie formuliert es in der Begründung ihrer Nobelpreis-Entscheidung wie folgt: Mo Yan verbinde "mit halluzinatorischem Realismus Märchen, Geschichte und Gegenwart".

Im Jahr 2009 war er Mitglied der Delegation des Ehrengastes China auf der Frankfurter Buchmesse. Damals gab es ein Literatursymposium, an dem auch Dissidenten teilnahmen. Worauf die "Offiziellen" sich verabschiedeten. Auch Mo Yan zog damals ab – und wurde daraufhin "Staatsschriftsteller" genannt.

Gegenüber China Newsweek sagte er: "Wie andere Autoren beziehe ich ein Gehalt vom Künstlerforschungsinstitut des Kulturministeriums und bin dadurch sozial- und krankenversichert. Das ist die Realität in China." Und im Magazin Time wurde er zitiert: "Mit der Zensur habe ich keine Schwierigkeiten. Es gibt in jedem Land gewisse Beschränkungen."
Glaubt er halt.

Goldener Bär

Mo Yan ist ein Bauernsohn, der als Soldat der Volksbefreiungsarmee in der Bibliothek mit Literatur in Berührung kam. Jetzt ist er der erste chinesische Schriftsteller, der in China lebt und den Nobelpreis (und 930.000 Euro) bekommt.

In seiner Heimat wird er gefeiert. Die Verfilmung des Romans "Das rote Kornfeld" wurde 1988 in Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet: eine Familiengeschichte aus seinem Heimatdorf Gao Mi während des chinesisch-japanischen Krieges.

"Die Knoblauchrevolte" attackierte die staatliche Willkür der 1980er-Jahre mit ihrer Preispolitik, und seine "Schnapsstadt" erhöht überhaupt die Wirklichkeit ins Groteske: Da wird dem Gerücht nachgegangen, wonach dekadente Parteisoldaten kleine Kinder verspeisen.

Reaktionen: Martin Walser stellt den Sieger neben Faulkner

Auch Herta Müller, deutsche Nobelpreisträgerin von 2009, war überrascht – konnte man doch heuer erwarten bzw. hoffen, dass die Stockholmer Auszeichnung vielleicht an einen Amerikaner geht oder an die Kanadierin Alice Munro oder an den Ungarn Peter Nádas.
In einer ersten Reaktion sagte sie: "Mo Yan war nicht mein Favorit."

So hörte man auch vom deutschen Literaturkritiker Denis Scheck – allerdings mit dem Zusatz: "Am literarischen Firmament ist ein neuer Fixstern erschienen. Das ist ein Autor, der uns begleiten wird."

Freude beim Schweizer Unionsverlag, der vier Titel des Chinesen im Programm hat. Verleger Lucien Leitess: "Mo Yan spielt eine große Orgel mit vielen Registern."

Freude auch beim Münchner Hanser Verlag, der im Frühjahr 2013 Mo Yans Roman "Wa" (= Frösche) herausbringen wird.

Nahezu "ausgeflippt"ist der 85-Jährige Martin Walser bei der heurigen Nobelpreis-Entscheidung: "Es könnte für mich keinen glücklicheren Kandidaten geben, er ist über jeden Zweifel erhaben." Er halte Mo Yan "für den wichtigsten Schriftsteller unseres Zeitalters. Ich platziere ihn gleich neben Faulkner." Seine Bücher seien "ungeheuer reich und gut und schön".

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