Mit Vollgas zur kaputten Schulter
Das Durchschnittsalter von Schulterpatienten sinkt. Durch neue, immer extremere Sportarten verschiebt sich das klassische Krankheitsbild bei Schulterbeschwerden: Die Zahl der natürlichen Abnutzungserscheinungen bleibt konstant, während die der Sportverletzungen steigt. Denn die Schulter ist das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers und dadurch sehr anfällig.
Sportler, die entweder rotierende Armbewegungen machen oder oft auf den gestreckten Arm stürzen, seien besonders anfällig für traumatische Schulterverletzungen wie z. B. Verrenkungen und Sehnenrisse, erklärt Prim. Werner Anderl, Sportorthopäde und Spezialist für Schulter-, Knie- und Ellenbogenchirurgie am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Wien. Handball, Skifahren und Volleyball zählen beispielsweise zu den Risiko-Sportarten, aber auch junge, gefährlichere Trends wie Kitesurfen und Skateboarden. "Ein besonderer Fall ist das Downhill-Mountainbiken: Es gibt zwar Schulterprotektoren, die vor einer Verletzung schützen sollen, durch die Geschwindigkeit ist der Sturz aber oft so schwer, dass das Schultergelenk regelrecht gesprengt wird." Früher sei ein Gelenk in diesem Zustand kaum wiederherstellbar gewesen, heute hätten sich die Heilungschancen durch schonende arthroskopische Eingriffe und neuartige Implantate wesentlich gebessert.
Auch der Umgang mit den Beschwerden sei oft problematisch, sagt Anderl. "Besonders Profisportler übergehen den Schmerz, um weitermachen zu können. Je länger man die Schulter unbehandelt lässt, desto größer werden die Sekundärschäden." Eine Schädigung der Bizepssehne und Entzündungen sind nur einige der möglichen Folgen. Durch die Bewegungseinschränkung unter Schmerzen entsteht außerdem eine Fehlbalance der Schulter- und Armmuskulatur, die chronisch werden kann und eine Regeneration von einer vielleicht notwendigen Operation zusätzlich erschwert.
Anderl empfiehlt daher zu jeder schulterbelastenden Sportart eine ausgleichende Physiotherapie zur Vorbeugung. Viele der Übungen können zu Hause gemacht werden. Auch beim Beginn einer neuen Sportart im Pensionsalter – besonders beim Golfen – sei diese wichtig, da die Schultergelenke der Generation 50 plus bereits stark abgenutzt sind.
Abnutzung
Trotz vermehrter Sportverletzungen ist der natürliche Verschleiß nach wie vor der häufigste Grund für Schulterbeschwerden. 50 Prozent aller Menschen über 60 Jahren erleiden einen Sehnenriss – dieser ist jedoch nicht immer mit Schmerzen verbunden und bleibt daher oft unentdeckt. Eine Verengung des Schultergelenks, bei der die Knochen aneinander reiben und meist Sehnen und Schleimbeutel reizen, kommt ebenfalls sehr häufig vor.
Eine der größten Problemzonen ist die sogenannte Rotatorenmanschette – eine Gruppierung von Muskeln und Sehnen in der Schulter: Sehnenrisse und Kalkablagerungen treten hier mit steigendem Alter immer öfter auf. Eine verkalkte Schulter ist mit besonders starken Schmerzen verbunden und sollte daher sofort behandelt werden.
Generell rät Anderl dazu, bei Schulterproblemen möglichst rasch zum Arzt zu gehen. "Im Frühstadium können viele Beschwerden wie Arthrosen ambulant behandelt werden. Das Verfahren ist wesentlich schonender und die meisten Patienten können schon am nächsten Tag ihren Arm heben."
Operation "To-Go" in der Tagesklinik
Das verrufene Krankenhausessen, die frühmorgendlichen Besuche des Pflegepersonals – kleine Unannehmlichkeiten, die nicht mehr nach jeder Operation hingenommen werden müssen. Immer mehr Eingriffe können heute ambulant durchgeführt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schulterchirurgie: Mit nur einer Ausnahme können bereits alle arthroskopischen OPs in der Tagesklinik des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern vorgenommen werden.
Obwohl der Patient am selben Tag nach Hause gehen darf, sei es nicht gefährlicher als ein stationärer Aufenthalt, erklärt Anderl. Durch die schonende Methode der Arthroskopie ist die Belastung für den Körper nicht so stark wie bei einer offenen Operation, der Patient wird zudem nach dem Aufwachen aus der Narkose mehrere Stunden beobachtet.
Nachkontrolle
Erst wenn sich der frisch Operierte stark genug fühlt, dürfe dieser sein Tagesbett verlassen und nach Hause gehen. Die erste Nachkontrolle sei immer bereits am nächsten Tag angesetzt. "Wichtig ist, dass der Patient zu allen Kontrollterminen erscheint – egal, ob beim jeweiligen Chirurgen oder einem ausgesuchten Facharzt im Heimatbundesland. Bei mir hat das bisher noch keiner missachtet."
Überraschend war für Anderl die große Akzeptanz durch die Patienten: Lediglich ein einziger ließ sich wegen post-operativer Schmerzen stationär einweisen, Beschwerden über starke Schmerzen blieben aus. Die Operierten bekommen zwar eine individuelle Schmerztherapie mit nach Hause, Anderl sieht jedoch auch einen psychischen Faktor dahinter. "Der Patient kann am gleichen Tag noch nach Hause, das wirkt sich scheinbar positiv auf sein Wohlbefinden aus. Der Grund dafür ist schwierig nachzuweisen, aber es scheint so, als ob die Schmerzen in den eigenen vier Wänden als angenehmer empfunden werden."
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