Mit Cannabis rauschfrei Leid lindern

Mit Cannabis rauschfrei Leid lindern
Schmerzpatienten können dank Therapie mit Cannabinoiden besser mit dem Leid umgehen.

Es war, wie wenn ein Blitz einschlägt." Anna B. hat Multiple Sklerose und leidet immer wieder unter heftigen Beinkrämpfen. "Die Schmerzen waren nicht in den Griff zu bekommen und die Medikamente, die ich dagegen bekommen habe, hatten starke Nebenwirkungen." Unter ständigen quälenden Schmerzen litt auch Silvia K. - sie hat Endometriose, eine Erkrankung der Gebärmutterschleimhaut: "Ich hatte andauernd Unterleibsschmerzen, der Alltag war kaum zu bewältigen. Ich musste sehr starke Medikamente nehmen - wirklich schmerzfrei war ich aber trotzdem nie."

Abhilfe verschaffte beiden eine noch relativ unbekannte Therapie mit Cannabinoiden - also mit Wirkstoffen aus Cannabis. "Mit einer Legalisierung von Marihuana oder des Cannabis-Anbaus hat der Einsatz solcher Arzneimittel absolut nichts zu tun", sagt Univ.-Prof. Hans Georg Kress (MedUni Wien und Präsident des Dachverbandes europäischer Schmerzgesellschaften).

Wirkung und Nutzen von Cannabinoiden werden seit einigen Jahren intensiv erforscht und entdeckt: "Zunächst wurden sie vor allem bei Tumor- und HIV-Patienten eingesetzt, um Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust zu behandeln", erklärt Kress. Inzwischen weiß man, der Hauptwirkstoff THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) wirkt auch bei Multipler Sklerose, dem Querschnittssyndrom oder anderen spastischen Schmerzen, sowie bei verschiedenen chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis oder Darmerkrankungen.

So auch bei den anfangs genannten Patientinnen Anna B. und Silvia K.: "Die Dosis wurde ganz langsam gesteigert und ich habe sehr gut darauf angesprochen. Jetzt sieht man zwar, dass die Krämpfe da sind und ich spüre sie auch, aber das Schmerzgefühl ist weg", erklärt B. - ähnlich beschreibt es auch Patientin K.: "In den Akutphasen hilft es zwar leider genauso wenig wie andere Mittel, aber für die chronischen Schmerzen wirkt es super. Ich habe jetzt endlich wieder Zeiten, wo ich wirklich schmerzfrei bin. Es hat auch einen sehr positiven Effekt auf meine Stimmung."

Emotion

Viel Erfahrung mit dem Einsatz von Cannabinoiden hat Birgit Kraft von der Abteilung für spezielle Anästhesie und Schmerztherapie am Wiener AKH: "Chronische Schmerzen finden nicht nur im Körper statt, sondern auch in der Seele. Mit bunten Pillen alleine kommt man nicht weiter."

Cannabinoide setzen genau da an: "Schmerz und Emotion sind eng miteinander verknüpft. Die Rezeptoren für Cannabinoide sitzen in Gehirn-Arealen, wo der Schmerz emotional verarbeitet wird. Sie haben zwar meist keine unmittelbare Wirkung auf den Schmerz, aber sie können den Umgang damit beeinflussen."

Vorurteile

"Leider gibt es von Patienten- und Ärzte-Seite noch viele Vorurteile, weil es sich ja doch um ein Suchtmittel handelt", meint Kraft. "Doch Cannabinoide haben wie Opiate auch ihre Berechtigung als Medikament. Es gibt für beide Rezeptoren im Körper." Die Patienten seien durch die Arznei auch nicht - wie oft fälschlich vermutet - in einem dauernden Rauschzustand. Der Wirkstoff wird nur langsam freigesetzt.

"Patienten, für die Cannabinoide eine sinnvolle Option sind, dürfen keinesfalls unterversorgt bleiben oder bei der Suche nach medizinisch notwendig erachteter Cannabinoid-Therapie in die Illegalität getrieben werden", betont Kress. Denn die Krankenkassen zögern noch bei vielen Behandlungen, die Therapie mit Cannabinoide zu zahlen.

THC: In Kapseln oder als Tropfen

Gewinnung Für den medizinischen Einsatz wird der Wirkstoff mit aufwendigen Verfahren aus THC-armem Nutzhanf teilsynthetisch hergestellt und in Apotheken in Form von Kapseln oder Tropfen abgegeben. In bestimmten Fällen übernimmt die Krankenkasse die Kosten von etwa 400 € im Monat.

Rechtslage Der Anbau von THC-haltigen Pflanzen sowie deren medizinische Verwendung ist in Österreich verboten. In einigen Ländern (z. B. Spanien, Kanada, Niederlande, Deutschland) ist mit unterschiedlichen Ausnahmeregelungen auch standardisiertes natürliches Cannabis für medizinische Zwecke zugelassen, in Österreich aber nicht.

Kommentare