Erste Hilfe als Schulfach?

Erste Hilfe als Schulfach?
Laut Notfallmediziner Sterz könnten zehn Mal mehr Menschen in Notfällen überleben - er plädiert für "Erste-Hilfe-Unterricht" für junge Menschen.

Univ.-Prof. Fritz Sterz steht vor der Tür zu einem Schockraum in der Notaufnahme des Wiener AKH. Dahinter liegt ein Patient, der in einem Taxi saß und sein Leben Sanitätern verdankt, die zufällig hinter ihm fuhren und ihn sofort nach einem Herzstillstand reanimierten. „Morgen geht er heim“, erzählt der Vize-Chef der Uni-Klinik für Notfallmedizin im AKH Wien / MedUni Wien in seinem kleinen Arbeitszimmer. Er malt eine Pyramide auf, die eine Rettungskette zeigt. Die Basis ist der Ersthelfer. „Da hapert es gewaltig“, sagt der habilitierte Internist.

KURIER: Woran liegt das?
Fritz Sterz: Meine Tochter hat immer gesagt: ,Über Napoleon weiß ich viel, aber wie man jemandem hilft, weiß ich nicht.‘ Wir ergreifen die Chance nicht, die Kinder beim Thema Reanimation rechtzeitig einzubinden.

Die Lösung wäre also ein eigenes Schulfach?
Das wäre einfach: zwei Stunden, ein Mal im Jahr. Meine Studenten unterrichten bereits in Schulen. Der Nebeneffekt wäre: Die Menschen wüssten rasch, dass die Rettung kein Taxi, sondern eine fahrende Intensivstation ist. Wer sie blockiert, spielt mit Menschenleben.
Wie sieht meine Überlebenschance aus, wenn ich draußen einen Herzstillstand habe?
In Wien macht die Rettung jährlich 3000 derartige Einsätze. Bei 700 Menschen mit Herzstillstand beginnen sie mit der Reanimation, und 220 schaffen es in Spitäler. Raten Sie, wie viele davon bisher ohne bleibende Schäden überlebt haben? Dreißig. Zum Vergleich: Im norwegischen Stavanger wird das seit Jahren in Schulen unterrichtet. Dort überleben bis zu 40 Prozent – das wären bei uns in Wien 300 Menschen, nicht dreißig.

Vielleicht liegt es am Geld?
Die 300 wären im Schnitt 55 bis 60 Jahre alt: Das sind Steuerzahler. Ich weiß nicht, warum man nicht investieren sollte.

Sterben ist kein Moment, sondern ein Prozess. Wie kann man ihn hinauszögern?
Der Idealzustand ist, wenn vorher gekühlt wird. Das zeigen Fälle von Kindern, die im kalten Wasser gelegen sind.
Was bewirkt die Kühlung?
Die Zelle sagt einfach: Mir ist kalt, jetzt brauche ich weniger. Der Metabolismus wird gesenkt. Bei Herz-Operationen ist das üblich.

Was bedeutet eine Minute ohne Reanimation?
Nach drei Minuten sterben pro Sekunde sicher eine Million Zellen ab. Da nur 40 Prozent der Leute Erste Hilfe leisten, die Hälfte davon qualitativ schlecht, können sie sich vorstellen, was das heißt. Nochmals: Das Um und Auf ist die Herzdruckmassage. Dafür brauchen wir die Kinder, die nicht so ängstlich sind wie die Erwachsenen.

Ab wann beginnt man zu kühlen?
Angenommen, jemand reanimiert Sie und die Rettung tut das, was sie kann. Dann kommen wir jetzt zum Punkt: Wenn die Kühlung bei der Herz-OP funktioniert, dann funktioniert sie auch früher. Und da sind wir hier in Wien und die Wiener Berufsrettung die einzigen weltweit, die das machen.

Was genau?
Da sind die Kühlmatten, die aufgelegt werden; die Flüssigkeit, die über die Nase eingeführt wird; oder einfach nur die offene Tür im Winter. Dadurch wird auch der Schaden durch den Wiedereintritt des Kreislaufs positiv beeinflusst.

Was brachte das bisher?
Wir haben irre Erfolgsraten. Wir haben es geschafft, von jährlich 30 auf 60 gesunde Überlebende zu kommen.

Nach 30 Minuten ist es vorbei.
Wir haben bei 20 Minuten schon gekämpft, aber es ist mehr drinnen. Wir haben mit der Rettung ein Projekt namens „load and go“ – einladen und losfahren, wenn eine Reanimation nicht anschlägt. Wenn wir diesen Code haben, machen wir die Herz-Kreislauf-Maschine bereit. Es dürfen nicht mehr als sechzig Minuten vergehen. Im Vorjahr retteten wir so sechs Menschen das Leben.

Wird das Thema in der Öffentlichkeit gering geschätzt?
Ein Mensch ist offenbar nix wert. Mit drücken, blasen und kühlen kann man nichts verdienen. Es gibt auch keinen Facharzt dafür. Das ist eine lang gehegte Forderung von mir.

Der Notfallmediziner Fritz Sterz macht ungern Werbung für „Nike“, aber sein Leitsatz ist zufällig ident mit dem Werbespruch: „Just do it“ – mach es einfach. Aber wie? Der erste Schritt: Den Handballen auf die Mitte der Brust legen. Danach den Ballen der anderen Hand darüber legen und anschließend die Finger verschränken. Im Rhythmus von Stayin’ alive oder des Radetzkymarsches das Brustbein nach unten drücken. Das darf ruhig kräftig sein – es schadet nicht. Wie oft? Es sollte hundert Mal pro Minute sein. Man sollte so lange kontinuierlich weiterdrücken, bis ein Defibrillator verfügbar ist. Wer in Mund-zu-Mund-Beatmung geschult ist, kann nach 30-mal drücken je zwei Mal beatmen.

Initiative
Die Initiative Lebenretten informiert über das Thema Wiederbelebung für jung und alt. Schulen können sich für Workshops anmelden. Mehr unter: www.lebenretten.at

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