Kritik an Paracetamol
Im „British Journal of Clinical Pharmacology“ veröffentlichte ein internationales Autorenteam um die Pharmakologin Sinem Ezgi Gulmez von der Universität Bordeaux gerade die Ergebnisse einer Studie, für die in sieben europäischen Ländern erfasst worden ist, wie oft Lebertransplantationen mit akutem Leberversagen durch Paracetamol-Überdosierung zusammenhingen. Die Wissenschafter verzeichneten in Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Großbritannien und den Niederlanden zwischen 2005 und 2007 600 Fälle akuten Leberversagens, denen eine Registrierung für ein Spenderorgan folgte. 114 davon waren auf Arzneimittel-Überdosierungen zurückzuführen, und hier lag Paracetamol bei den Ursachen einsam an der Spitze – mit 111 von diesen 114 Fällen. In etwas mehr als sechzig Prozent der Fälle hatten die Patienten das Medikament klar in suizidaler Absicht überdosiert.
Besonders erstaunlich waren die großen Unterschiede zwischen den Ländern. Durchschnittlich lag die Rate der Lebertransplantationen nach akutem Versagen durch Paracetamol-Überdosis bei einem Fall jährlich pro sechs Millionen Einwohner. Doch in Irland war die Rate sechsmal so hoch wie im Durchschnitt aller Länder, in Großbritannien doppelt so hoch. Am niedrigsten war sie in Italien. In Italien erkrankte auch nur eine Person an einer akuten Leberintoxikation pro verkauften tausend Tonnen Paracetamol. In Irland wurden fast fünfzig Menschen pro tausend Tonnen des Mittels zu Transplantationskandidaten, in England zehn Menschen.
Die Autoren der im Auftrag der Europäischen Arzneimittel-Agentur (Ema) entstandenen Studie halten sich bedeckt, was mögliche Interpretationen angeht. In der deutschen FAZ spekuliert der Pharmakologe Kay Brune: „Ich glaube nicht, dass Iren sich genetisch so sehr von Italienern unterscheiden, dass das die Unterschiede erklären würde. Aber es steht beispielsweise fest, dass regelmäßiger Alkoholkonsum die Toxizität von Paracetamol erhöht, vor allem, wenn hochprozentiger Alkohol konsumiert wird, was in Irland sicherlich gebräuchlicher ist als in Italien.“
Die regelmäßige Alkoholzufuhr induziert bestimmte Enzymsysteme, so dass mehr toxische Metaboliten von Paracetamol gebildet werden. Auch Ernährungsgewohnheiten könnten einen Einfluss auf die Toxizität des Mittels haben, sagt Brune. „Und regelrechte Hungerkuren, wie sie junge Frauen manchmal machen, setzen die Risiken der Paracetamoleinnahme auch herauf.“ Fazit: Die Forscher raten dringend zur Vorsicht.
Kommentare