Psychologin über Krampus: "Den Nikolaus finde ich fast noch schwieriger"
Wohltäter und Unholde mit Geschichte: Der heilige Nikolaus im Bischofskleid und die Krampusse im schaurigen Zottelkleid.
Mit zotteligem Fell, furchterregender Maske und rasselnden Ketten zieht der Krampus traditionell umher, um unartige Kinder zu erschrecken und sie – der Legende nach – zu bestrafen.
Als strafende Gestalt gilt der Krampus schon seit Längerem nicht mehr als zeitgemäß. "Wir sind grundsätzlich davon abgekommen, Angst als Erziehungsmittel einzusetzen", sagt die Psychologin und Kinderschutz-Expertin Caroline Culen. "Heute orientieren wir uns weniger an autoritären Haltungen Erwachsener gegenüber Kindern, sondern vielmehr an einer beziehungsorientierten, positiv motivierenden Bindung", präzisiert sie.
Werte wie Vertrauen, Sicherheit und ein liebevoller Umgang miteinander haben in Familien an Bedeutung gewonnen. "So etwas wie Einschüchterung ist an sich längst überholt", sagt Culen.
"Es schränkt Lebensqualität ein, wenn Weltbild von Angst geprägt ist"
Aus der psychologischen Forschung weiß man inzwischen: Werden Kinder in einem Klima der Angst groß, bleibt das nicht ohne Folgen für ihre Entwicklung: "Diese Kinder lernen, Erwartungen zu erfüllen, ohne sie zu hinterfragen. Und gleichzeitig, dass ihnen Liebe, Anerkennung und Wertschätzung nur über Erwartungserfüllung zuteilwird – und nicht, weil sie selbst wertvoll sind", schildert die Expertin.
Werden auch Bestrafungen als erzieherische Maßnahmen eingesetzt, bleiben Kinder mit dem Gefühl zurück, nur sicher zu sein, wenn sie den Wünschen anderer entsprechen.
Langfristig wird damit die Entwicklung eines gesunden Selbstwertes, eines starken Selbstbewusstseins und kritischen Denkens gehemmt. "Es schränkt unsere Lebensqualität ein, wenn unser Weltbild von Angst geprägt ist."
Auch wenn laut einer aktuellen Umfrage der Kinderschutzorganisation Möwe mehr als ein Fünftel der Eltern milde körperliche Strafen als passables Erziehungsmittel sehen, verfolgen freilich bei Weitem nicht alle Familien, die um den 6. Dezember den Krampus bei sich zu Hause empfangen, einen autoritären Erziehungsstil.
Fachleute plädieren ohnehin immer wieder dafür, den Krampus nicht komplett aus der Erlebniswelt von Kindern zu verbannen. So auch Culen: "Angst gehört zum Menschsein dazu und hat auch eine lustvolle Komponente, nicht umsonst gibt es die Geisterbahn oder Horrorfilme. Dinge, die uns gruseln, können – wenn sie in einer magischen Welt, einer Erzählung oder eben einem Brauchtum eingebettet sind – auch etwas Spannendes sein."
Kinder sollten der Angst keinesfalls unter Zwang ausgesetzt werden
Der Besuch des Krampus könne eine Spielwiese zur emotionalen Erprobung eröffnen: "Kinder bekommen die Gelegenheit, den Nervenkitzel zu spüren und zu erleben, wie sie darauf reagieren." Laut Culen wichtig: "Es ist ganz wesentlich, dass solche Erlebnisse dosiert und in einem sicheren Rahmen ablaufen."
Kinder sollten der Angst keinesfalls ungeschützt oder unter Zwang ausgesetzt werden. Culen rät, vorab gut mit dem Kind zu besprechen, was passieren wird und zu erfragen, was das Kind braucht, um sich in der Situation sicher zu fühlen.
Auch im Nachgang sollte die Erfahrung besprochen werden. Culen rät, sich beim Austausch vom Kind leiten zu lassen. "Manche Kinder haben vielleicht mehr Redebedarf, manche sind einfach stolz auf sich."
Wichtige Erfahrungswerte
Fühlen sich Kinder verlässlich beschützt, können sie erleben, dass "man Angst durchstehen kann und nichts Schlimmes passiert", so Culen. Eine Erfahrung, die auch für das spätere Leben wertvoll ist. "Wenn wir uns Ängsten und Unsicherheiten nie stellen, können sie übermächtig werden."
Auch der Heilige Nikolaus wird als pädagogische Instanz instrumentalisiert. Folgsames Verhalten soll durch positive Verstärkung in Form von Geschenken angeregt werden. "Ich finde den Nikolaus in dieser Hinsicht manchmal fast schwieriger", sagt Culen. "Er ist eine stark bewertende, beurteilende Instanz, die ebenfalls als einschüchternd wahrgenommen werden kann."
Zwar könnten Lob und Belohnungen prinzipiell sinnvolle erzieherische Mittel sein. "Allerdings sollte vom übermäßigen und manipulativen Einsatz Abstand genommen werden", betont Culen. "Kinder zu loben und zu beschenken, damit sie unseren Erwartungen entsprechen, ist der falsche Zugang."
Brauchtum mit Sinn
Culen rät, sich auf die Geschichte des Heiligen Nikolaus zu besinnen, die auf jenen Nikolaus zurückgeht, der im 4. Jahrhundert als Bischof von Myra in der heutigen Türkei lebte. Arme und Schutzbedürftige sollen ihm ein besonderes Anliegen gewesen sein. "Sich auf diese Tradition zu besinnen und als Familie in Erinnerung zu rufen, dass es wichtig ist, sich um Menschen in Not zu kümmern, ist eine wunderbare Sache."
Die Tage um das Fest des Heiligen Nikolaus am 6. Dezember bieten sich auch an, um das Zugehörigkeitsgefühl von Kindern zu stärken: "Man trifft sich als Gruppe, begeht den Brauch zusammen und alle Kinder bekommen eine Kleinigkeit – bestenfalls alle das Gleiche, und nicht nach Bravheit gestaffelt."
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