Kinder dürfen sich kaum noch austoben

Aus Angst vor Verletzungen dürfen sich Kinder nur selten bewegen – auf Kosten ihrer Entwicklung.

Österreichs Kinder sind überbehütet. Nichts dürfen sie mehr: Klettern ist zu riskant, beim Radfahren könnten sie stürzen und auch die Rutsche im Park birgt manche Gefahr. Eltern sind so sehr auf Sicherheit bedacht, dass sich der Nachwuchs kaum noch austoben kann. Das ist den fürsorglichen Eltern sogar bewusst, wie mehr als 60 Prozent im Rahmen einer Umfrage von meinungsraum.at zugeben.

Es wundert also nicht, dass die Zahl der übergewichtigen Kinder seit 1980 weltweit um mehr als 47 Prozent gestiegen ist. Der Sport-Experte Hans Holdhaus warnt seit Jahren, dass Österreichs Kinder einfachste Übungen wie den Purzelbaum nicht mehr schaffen. Die Folgen seien Koordinationsschwächen, Angst vor Bewegung, Übergewicht, Haltungsschäden. Dabei konnten etliche Studien belegen, dass Kinder, die sich ausreichend bewegen, besser lernen und sich besser entwickeln. Maßnahmen, die Kindern mehr Raum zum Austoben ermöglichen, bleiben bisher jedoch nur Initiativen kleiner Gruppen.

Bedürfnisorientiert

So wie die von Gertraud Höllmüller – sie hat die Umfrage bei meinungsraum.at in Auftrag gegeben und mit SUKi family in Wien-Währing ein Bewegungszentrum gegründet. Es geht auf die Bedürfnisse jeder Altersgruppe ein. Herzstück ist das Bewegungsprogramm für Kinder von drei bis zehn Jahren am Nachmittag. Sie können jederzeit flexibel und ohne Anmeldung einsteigen und werden dort von Sportpädagogen betreut, während die Eltern sich etwa um Erledigungen kümmern können (www.sukifamily.at, Kostenbeitrag ab 6,66€/Stunde).

Auch Höllmüller erlebt oft Eltern, die aus Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder Zeit brauchen, bis sie darauf vertrauen, dass ihr Nachwuchs in guten Händen ist. "Eine flexiblere und zugleich gesunde, pädagogisch begleitete Freizeitgestaltung ist in Österreich derzeit nicht zu haben."

Lustbetont

Die Familienverträglichkeit von Bewegungsangeboten ist für den Sportmediziner Georg Fritsch ebenfalls oberstes Kriterium. "Ein Patentrezept gibt es nicht, aber Bewegungsangebote müssen niederschwellig, wohnortnah und zeitlich praktikabel sein. Außerdem müssen sie lustbetont funktionieren."

Beim Wandern gehe es Kindern etwa nicht um den Weg, sondern darum, was unterwegs passiert. "Kinder sind erlebnisorientiert und kennen vieles nicht, was es da alles zu entdecken gibt."

Ein Projekt in Eisenstadt setzt schon im Kindergartenalter an: Beim Pedibus werden die Kindergarten- und Volksschulkinder zu einer nahe gelegenen Station gebracht, wo sie von Erwachsenen abgeholt werden, die mit ihnen den Schulweg zu Fuß gehen. In Salzburg gebe es Schulen, wo es in der Früh vor Schulbeginn Bewegungsprogramm gibt, erzählt Fritsch, der auch einer der Redner beim Sportforum Schladming Ende Mai ist (siehe Info). "Bewusstsein schaffen ist das eine, etwas tun ist das andere."

Motiviert

Nicht zuletzt müssen Kinder in ihren Lebenswelten abgeholt werden. Fritsch: "Als Trainer treten wir gegen Smartphones und Apps an. Baut man die aber sinnvoll ein, kann man sie zur Förderung von Bewegung nutzen." So gebe es Apps, mit denen sich etwa die Rundenzeiten auf BMX-Bahnen messen und vergleichen lassen. Für besorgte Eltern klingt BMX-Bahn nach Hals- und Beinbruch-Strecke. Fritsch dazu: "Sicherheitsbedenken habe ich dann, wenn Kinder sich motorisch nicht mehr weiterentwickeln können. Wenn das Potenzial nicht ausgeschöpft wird, lernen die Kinder schlechter, sind anfälliger für Infekte, Haltungsbeschwerden und entwickeln sich schlechter." Immerhin ist Eltern der Umfrage zufolge bewusst, dass Bewegung im Familienumfeld beginnt. Doch in jeder vierten Familie spielt Bewegung in der Freizeitgestaltung nur eine geringe Rolle. Nächste Woche will Sportminister Gerald Klug nationale Pläne zur Ausweitung von Bewegungsprogrammen für Kinder vorstellen. Und Zahlen präsentieren, wie viel bisherige Initiativen gebracht haben.

Initiative Lauf-Events, Wandern, Wintersport, Klettern und Wassersport boomen in Österreich – doch sie werden weder als Wirtschafts- noch als Gesundheitsfaktor ausgeschöpft. All diese Themen werden von 28. bis 30. Mai beim ersten Sportforum Schladming von führenden Experten aus Sport, Medizin und Wirtschaft diskutiert. Das Ziel ist, Sport stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu rücken. Alle Infos zur Veranstaltung und zur Teilnahme für Interessierte: www.sportforum-schladming.at

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