Kachelmann: "Früher hat man Wetter einfach hingenommen"

Kachelmann: "Früher hat man Wetter einfach hingenommen"
Meteorologe Jörg Kachelmann über Hitzesudern, Zugluft-Panik und Selfies im Regen.

KURIER: Herr Kachelmann, alle wollen wissen, wie es mit dem Wetter weitergeht. Können Sie Auskunft geben?
Jörg Kachelmann:
Wir bleiben weiter auf sommerlichem Niveau, nur der Dienstag wohl etwas kühler.

Anfang Juli haben alle über die zu kühlen Temperaturen geklagt, jetzt jammern wir über die Hitze. Gibt es ein Wetter, das allen passt?
Das ist sehr individuell. Ich bin nicht sicher, ob das Wettersudern nicht eine Konstruktion der klickabhängigen Medien ist, weil Wetter und vor allem dumme Wettergeschichten gut geklickt werden. Ich habe immer den Eindruck, dass die Bevölkerung außerhalb von Medienhäusern relativ gut und entspannt damit umgehen kann, dass es mal kühler, mal wärmer wird.

Dennoch klicken sie die Wettergeschichten an. Warum emotionalisiert das Thema so?
Als Kind war ich mit meinen Eltern in den Sommerferien immer am Bodensee, das Wetter war nie ein Thema. Man hat es einfach hingenommen und war froh, dass man ausschlafen konnte. Ab den Achtzigern ist die Effizienz in das Leben der Leute gekommen. Zur Maximierung des Hedonismuserlebnisses gehören auch die optimalen Bedingungen. Ein Selfie, auf dem Sie tropfnass sind und erbärmlich aussehen, ist uncool. Das ist glaub ich ein generelles Problem, diese Hinwendung auf das Individuum und der unbedingte Wille, dass die eigenen Bedürfnisse erfüllt werden müssen. Fragen Sie die Tourismusinformation in Mariazell, was passiert, wenn es  einen Tag regnet – da kommt der Piefke und fragt, was er nun tun soll. Das ist etwas Neues, dass die Leute nichts mehr mit sich anzufangen wissen, wenn es regnet. Das ist ja auch eines der lächerlich-peinlichen Elemente dieses Sommers: Die Leute gehen permanent in den Urlaub, absichtlich in Orte, wo es noch viel heißer ist als zu Hause, finden aber dieselbe Hitze daheim unerträglich. Das ist sehr schwer zu verstehen.

Welche Wetter-Schlagzeile in den Medien hat Sie zuletzt besonders aufgeregt?
Ich weiß nicht, ob das in Österreich auch so ist, aber in Deutschland schreiben 95 Prozent der Journalisten, dass die Hitzewelle der Landwirtschaft schadet, obwohl da Dürre oder Trockenheit stehen müsste.

Manche Mythen halten sich trotz Wetter-Euphorie hartnäckig. Was nervt Sie am meisten?
Es ist schwer, all den Aberglauben und Blödsinn auf eine Seite zu bringen. Menschen glauben völlig zu Unrecht an Wetterfühligkeit, Hagelflieger, dass der Mond oder Flüsse und Seen Einfluss aufs Wetter hätten, sie glauben an den Hundertjährigen Kalender, an Mondholz und dass das Verbrennen von Holz eine umweltfreundliche Sache sei.

Oder dass Klimaanlagen und Ventilatoren krank machen?
Das ist überhaupt der größte und dümmste Aberglaube des Sommers. Fahren Sie mal nach Dubai oder in die USA und sagen  Sie, die Klimaanlage macht krank – man wird Sie freundlich, aber entgeistert anschauen. Dort werden Sie mit großer Erleichterung feststellen, dass das Hotel zum Glück eine Klimaanlage hat. Nur wenn sich diese im heimischen Büro befindet, sei sie ein Teufelswerk. Das ist wie mit dem Wind: Am Strand vom Jesolo finden ihn alle super, aber wenn 2 km/h Wind im Büro weht, sei er gefährlich und wird Durchzug genannt, obwohl es einfach Wind ist. Das hat schon viel mit der mangelnden naturwissenschaftlichen Bildung zu tun. Ich war viel in der Welt unterwegs,  Deutschland und möglicherweise auch Österreich ist schon die globale Zentrale für Aberglaube aller Art.

Woran liegt das?
Das Problem ist, dass die naturwissenschaftlichen Fächer in der Schule heute eher eine kleine Rolle spielen. Da geht es vor allem um Optik und solche Dinge. Es ist ja immerhin schon schön, dass die Leute nicht mehr glauben, dass am Ende des Regenbogens ein Topf von Gold ist. Heute wissen die meisten, wenn die Sonne in den Regen scheint, gibt es einen Regenbogen. Das zeigt, dass Schule schon wirksam wäre – aber sie findet eben in weiten Teilen nicht mehr statt.

Es gibt mittlerweile ein Riesen-Angebot an Wetter-Apps. Was halten Sie davon?
Es ist völlig jenseitig, dass Menschen auf solche schauen, die nur ein Modell zeigen. Auch ein Problem des Aberglaubens, dass Menschen meinen, man könnte auf einer App morgens sehen, ob und wo es abends gewittert. Wir haben unsere App-Reihe „Pflotsh“, die Modellvergleiche integriert und für Österreich Sturzflut-Warnungen ausgibt, damit niemand vom Wasser überrascht wird.

Warum wäre Wetter-Wissen so wichtig?
Sie müssen daran denken, wie viele alte Menschen sterben, weil sie oder ihre Verwandten glauben, dass Durchzug und Ventilatoren krank machen. Wenn man ihnen  einen Ventilator vor die Nase stellt, gäbe es viel weniger Hitzetote. Dummheit tötet, gerade in solchen Sommern. Das ist ein Grund, warum es wichtig ist, keinen Schwachsinn zu glauben.

Ein Klassiker: Wie erklären Sie den Unterschied zwischen Wetter und Klima, sodass ihn jeder versteht?
Wenn der Herr Karl aus dem Fenster schaut, sieht er Wetter. Wenn er 30 Jahre aus dem Fenster schaut, hat er Klima erlebt.

Trotz eindeutiger Studienlage leugnen viele immer noch den menschlichen Anteil an der globalen Erwärmung.
Das Schwierige an der Diskussion ist, dass die Fantasten ganz rechts („War schon immer so!“ „War schon mal 1540 trocken!“ „Grönland grün!“) nicht alleine mit dem unwissenschaftlichen Blödsinn sind, weil auf der anderen Seite gleich fantasiert wird in diesem Sommer, dass es einen „nordhemisphärischen Hitzering“ gäbe, was genauso Blödsinn ist. Ich mache mir auch große Sorgen um das, was passiert. Die leisen Wissenschaftler, von denen man nicht soviel liest, sind der Wissenschaft am nächsten. Die Extremisten auf beiden Seiten sorgen dafür, dass nichts passiert. Ich verstehe generell auch nicht die Kommunikationsstrategie, dass der Weltuntergang praktisch schon da sei. Inwiefern sollte dann noch jemand etwas tun wollen, wenn es eh zu spät ist? Ich verstehe auch nicht, was diese Leute von den einfachen Menschen erwarten. Das Trennen von Joghurtbecherdeckelchen und Joghurtbecherchen wird das Klima nicht retten. Es ist eine Regierungsaufgabe, das Überleben kommender Generationen zu sichern.

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