Sexualerziehung: "Die Periode ist nicht nur Mädchensache"

Auch Buben sollten über die Menstruation Bescheid wissen, sagt Sexualpädagogin Dianne Dela Cruz.
In welchem Alter sollte ich mein Kind aufklären? Was mache ich, wenn ich mein Kind mit Pornografie erwische? Und warum sind mir die Gedanken an diese Gespräche so unangenehm?
Viele Eltern sind mit der sexuellen Aufklärung ihrer Kinder überfordert. "Das liegt vorrangig an der eigenen Sozialisierung und Sexualerziehung", sagt die deutsche Sexualpädagogin Dianne Dela Cruz. In ihrem neuen Ratgeber gibt die Gesundheitspsychologin und Fünfachmama praxisnahe Tipps für eine gelungene elterliche Sexualaufklärung.
Warum es so wichtig ist, sexuelle Tabus aufzubrechen, warum Sexualerziehung schon am Wickeltisch beginnen sollte und warum auch Buben über die Menstruation Bescheid wissen sollte, schildert sie im KURIER-Interview.
KURIER: Ihr neues Buch heißt "Hilfe, mein Kind hat F*cken gesagt". Warum bereitet es Eltern unangenehme Gefühle, wenn ihr Kind sexualisierte Begriffe benutzt?
Dianne Dela Cruz: Die meisten von uns sind nicht offen erzogen worden, was Sexualität betrifft. Es geht darum, wie man selbst aufgeklärt wurde, ob diese Wörter im eigenen Heranwachsen aufgetaucht sind. Wenn sie tabuisiert waren, tut man sich als Erwachsener schwer damit.
Der Grad der Irritation hängt wohl auch davon ab, wie alt das Kind ist …
Auf jeden Fall. Wenn man an Sexualerziehung und Aufklärung denkt, denken die meisten Menschen an die Pubertät. Man denkt, es fängt erst mit den Themen erstes Mal an oder bei Mädchen mit der Periode. Sexualität wird selten mit Kindern, Kleinkindern oder Babys in Verbindung gebracht, weil man es durch die Erwachsenenbrille sieht.
Inwiefern?
Menschen sind sexuelle Wesen, von Anfang an. Wir kommen mit einer Sexualität auf die Welt. Da geht es nicht um Sex, wie wir Erwachsene das verstehen, sondern um Körpererkundung: Wer bin ich, was fühle ich, wenn ich mich zum Beispiel an den Genitalien berühre – das hat mit Geschlechtsverkehr nichts zu tun. Das Erkunden des eigenen Körpers passiert bei Kindern nicht mit Absicht – wie später bei Jugendlichen oder Erwachsenen im Zuge der Masturbation.
BeeYou
Der WhatsApp-Chatbot "BeeYou" bietet zeitgemäße Sexualaufklärung ohne Scham und Tabu. Ziel ist es, Aufklärung verständlich, anonym und jederzeit zugänglich zu machen – für Eltern, Kinder und Fachkräfte. Infos: beeyou.ai
Seriöse Information
Vertrauenswürdige Informationsseiten sind außerdem: rataufdraht.at, feel-ok.at, loveline.de und herzklopfen.or.at;
Wie gehe ich als Mutter oder Vater gut damit um, wenn sich mein Kleinkind im Intimbereich berührt? In der Öffentlichkeit kann das zu unerwünschten Blicken einladen.
Man sollte es nicht unterbinden, aber auch Regeln aufstellen. Dass so etwas nicht in der Öffentlichkeit vor Erwachsenen gemacht wird, dass man sich auch nur selbst dort anfassen darf, dass das auf keinen Fall ein Erwachsener tun darf.
Ist gute Aufklärung ein Schutz vor sexuellen Übergriffen?
Ja, ohne Aufklärung gibt es keinen Schutz. Oft gibt es die Angst, dass man Kinder zu früh sexualisiert, sie auf "falsche Ideen" bringt. Das Gegenteil ist der Fall, wie Studien belegen: Je früher und umfangreicher man Kinder altersgerecht aufklärt, desto später haben sie Geschlechtsverkehr. Zu wissen, wer mich anfassen darf, hilft auch beim Grenzen setzen. Nur was ich kenne und schätze, das kann ich schützen. Das fängt damit an, dass man Worte für die entsprechenden Körperteile hat.
Wie und wann vermittelt man diese?
Am besten am Wickeltisch. Im Idealfall benennt man die Geschlechtsteile mit den korrekten Begriffen. Es ist aber nicht schlimm, wenn Kinder andere Wörter dafür finden, mit denen sie sich wohler fühlen. Falls es zu Übergriffen kommt, sollten sie benennen können, was passiert ist.
Junge Frauen wissen heute besser über ihren Zyklus Bescheid. Sollten Eltern auch hier Wissen vermitteln?
Ja, immerhin begleitet der Zyklus uns Frauen ein Leben lang. Hinzu kommt, dass Frauen in Bezug auf ihre Menstruation bzw. Schmerzen während der Periode oft über ihre Grenzen gehen, weshalb Endometriose (chronische Krankheit, bei der Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst und dort u. a. zu Entzündungen und Schmerzen führen kann, Anm.) oft erst spät erkannt wird. Weil es als normal angesehen wird, dass man sich mit Schmerzen durch den Alltag quält. Die Periode ist nicht nur Mädchensache. Auch Jungen sollten darüber aufgeklärt werden, warum es die Periode gibt, was im Körper passiert und was es für einen empathischen Umgang mit Mädchen und Frauen braucht.
Wie beeinflusst das Internet die Sexualentwicklung?
Das Gute ist, dass es viele Informationen schnell gibt. Früher gab es nur die Bravo. Oder Pornografie in Videotheken in dunklen Ecken. Heutzutage haben Jugendliche das alles in der Hosentasche. Der Nachteil ist, dass man sehr früh mit Pornografie in Kontakt kommt und viele Falschinformationen im Internet kursieren. Die Jugendlichen wissen oft nicht, was von dem Gezeigten der Realität entspricht. Es werden superschöne Menschen gezeigt, die immer Lust haben und nicht miteinander sprechen beim Sex. Da muss man oft erst erklären, dass das nur ein Film ist. Auf sozialen Medien verzerrt wiederum die Darstellung von perfekten Körpern die Wahrnehmung. Das kann dazu führen, dass sie in eine Essstörung abrutschen, weil sie sich permanent vergleichen.
Welche Kompetenzen brauchen junge Menschen, um sich in der digitalen Welt sexuell selbstbestimmt und sicher zu bewegen?
Medienkompetenz. Doch ich glaube, die Erwachsenen brauchen sie als Erstes. Vor allem sollten sie neue Medien ernst nehmen. Die Erwachsenen kommen oft gar nicht nach, wie gefährlich das sein kann.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie Aufklärung als Beziehungsarbeit verstehen. Inwiefern?
Es geht viel um Kommunikation, um ein Miteinander – nicht nur um das eine isolierte Gespräch. Man muss von Anfang an in Beziehung treten und bleiben, damit es eine Vertrauensbasis gibt, wo die Kinder und Jugendlichen das Gefühl haben, mit Problemen zu den Eltern kommen zu können. Und Aufklärung hat auch Auswirkungen auf die künftigen Beziehungen meines Kindes. Je mehr ich weiß, was ich mag und was meine Grenzen sind, umso mehr kann ich auf die Bedürfnisse anderer achten.
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