In Österreichs stinkt's

Laut WHO werden Grenzwerte an allen Messstellen in Österreich überschritten.
Würden strengere Grenzwerte gelten, hätte Österreich ein flächendeckendes Feinstaubproblem, sagt Umwelt-Experte Jürgen Schneider

Jürgen Schneider ist beim Österreichischen Umweltbundesamt für Luftqualität zuständig, sein Wort hat Gewicht. Umso alarmierender ist seine aktuelle Diagnose: „Würden wir die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation anwenden und nicht die derzeit gültigen Grenzwerte, dann hätten wir in Österreich flächendeckend ein Feinstaubproblem.“

2010 habe es nach WHO-Norm an allen Messstationen Überschreitungen des Richtwerts gegeben, 2011 und 2012 an 96 Prozent der Messstationen. Und das, obwohl bei einzelnen Schadstoffen wie Schwefeldioxid oder Blei Verbesserungen erzielt wurden. „Wir sind noch nicht da, wo wir sein sollten.“

In Zahlen ausgedrückt: Bei PM 2,5 (Feinststaub) sind, nach WHO-Kriterien, zwischen 91 und 96 Prozent der EU-Bevölkerung einer Belastung ausgesetzt, die über den Grenzwerten liegt, bei PM 10 (Feinstaub) 85 bis 88 Prozent der Bevölkerung) und bei Ozon 97 bis 98 Prozent – „wir haben Handlungsbedarf“.

In Österreichs stinkt's
APA5963898-2 - 23112011 - SALZBURG - ÖSTERREICH: THEMENBILD - Erhöhte Feinstaubbelastung in Teilen Österreichs. Im Bild eine Luftgütemessstation am Gaisberg über der Nebeldecke der Stadt Salzburg, am Dienstag, 22. November 2011. APA-FOTO: BARBARA GINDL
Im Jahr 2005 verringerte sich die Lebenserwartung der Europäer in Folge von Luftverschmutzung um durchschnittlich 8,5 Monate. Optimistische Prognose: 2025 sollen es nur noch 5,3 Monate sein. 2010 verzeichnete die WHO in Europa 430.000 Todesfälle, die auf Luftverschmutzung zurückzuführen waren, weltweit waren es 3,1 Millionen Todesfälle.

Besonders betroffene europäische Länder sind Polen, die Ukraine und die Balkanstaaten. Am besten ist die Luft in Skandinavien, sagt Marie-Eve Heroux von der WHO, sie warnt: „Luftverschmutzung kann Krebs verursachen.“ Schlechte Luft belaste nicht nur die Atmung, auch das Herz-Kreislauf-System und das zentrale Nervensystem seien betroffen. Es zahlt sich aus, die Luftqualität zu verbessern: Der Nutzen für die Gesundheit ist sechs Mal so groß wie die Kosten für Investitionen in den Umweltschutz. Eine billige Maßnahme sind Tempolimits. Verbessern könne man die Situation auch durch eine Verringerung des Verkehrs, staubmindernde Maßnahmen auf Baustellen oder durch thermische Sanierung von Gebäuden.

Jahr der Luft

Die EU-Kommission bastelt im ausgehenden europäischen „Jahr der Luft“ an einem „Kyoto-Protokoll für klassische Luftschadstoffe“ (Schneider), das jedem Mitgliedsland Obergrenzen für den Ausstoß von Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Ammoniak und in Zukunft auch Feinstaub vorschreibt. Die Einhaltung der Grenzwerte wird die Kommission mit Vertragsverletzungsverfahren durchsetzen. Ein solches droht Österreich derzeit wegen der Überschreitung bei einer Abgas-Gruppe.

Kein Freikaufsrecht für Umweltsünder

Jürgen Schneider ist promovierter Chemiker und Programmleiter für „Wirtschaft und Wirkung“ am Umweltbundesamt.

Meist gibt es bei Umweltproblemen ein, zwei Maßnahmen, die sehr viel bringen, wo ist das „silver bullet“ für den Feinstaub?

Das gibt es bei Feinstaub leider nicht so. Vor 20 Jahren gab es eine sehr hohe Schwefeldioxidbelastung, da war klar, wir müssen Rauchgasentschwefelung in Industrieanlagen und Kraftwerken einbauen. Beim Feinstaub gibt es viele Quellen und Verursacher. In Wien haben wir oft die Situation, dass mehr als 50 Prozent der Belastung aus dem Osten zu uns herüberschwappt. Ansetzen muss man bei Verkehr und Raumwärme. Wir müssen alte Fahrzeuge von der Straße wegbringen, entweder durch das Einrichten von Umweltzonen oder durch Parkraumbewirtschaftung in Kombination mit einem attraktiven öffentlichen Verkehr. In Wien heizen schon sehr viele mit Fernwärme und Gas, aus Feinstaub-Sicht eine saubere Lösung, für den Klimaschutz eher nicht.

Fast 100 Prozent der Bevölkerung atmen schlechte Luft ein, wäre eine Halbierung ein Erfolg, oder was ist ein realistisches Ziel?

Das sind zwei unterschiedliche Fragen. Die Ambition muss sein: Null Prozent sind einer Belastung ausgesetzt. Bis 2025 werden wir den Indikator „Verkürzte Lebenszeit“ halbiert haben. D.h. wir sind noch lange nicht da, wo wir sein wollen, aber wenn man die Situation etwa mit Peking vergleicht, dann sieht man, wir haben auch schon viel erreicht.

Droht dem Abgas-Abkommen ein ähnliches Schicksal wie dem Kyoto-Protokoll für die Begrenzung von Treibhausgasen?

Bei Schwefeldioxid, Ammoniak, flüchtigen organischen Verbindungen unterschreitet Österreich seine nationale Höchstmenge, nur bei den Stickoxiden liegen wir drüber. Wir hätten 2010 nur 103.000 Tonnen ausstoßen dürfen, emittieren aber 145.000 Tonnen. Da kann es uns passieren, dass wir ein Vertragsverletzungsverfahren bekommen. Beim Kyoto-Protokoll konnte man sich mithilfe von Zertifikaten freikaufen, bei der Abgas-Richtlinie ist das nicht möglich.

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