Humboldt: Der erste Popstar der Wissenschaft

Humboldt: Der erste Popstar der Wissenschaft
Zu Lebzeiten war Alexander von Humboldt, der Forscher, der die Ökologie erfand, weltberühmt. Zum 250. Geburtstag: Erinnerungen an ein Genie.

Adelige, Professoren, Dienstboten, Frauen. Die Berliner Singakademie mit ihren 800 Plätzen war dem Ansturm nicht gewachsen, zwei Kürassiere wurden ohnmächtig hinausgetragen: Wenn Alexander von Humboldt eine seiner Gratis-Vorlesungen gab, pilgerten alle hin. Humboldt war der Erste, der den Sex-Appeal von Wissen vermitteln konnte. So hatte ihn eine fünfjährige Amerikareise auf den damals höchsten bekannten Berg, den Chimborazo (6267 m) in Ecuador, geführt. Noch nie war jemand so hoch gestiegen, noch nie hatte jemand so dünne Luft geatmet. 30 Jahre lang hielt Humboldt den Höhenrekord. Nicht schlecht für einen, der eigentlich Griechischlehrer werden wollte.

Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.

 

von Alexander von Humboldt

zugeschrieben, nicht belegt

Humboldts Erfolgsgeheimnis: „Er schrieb und sprach über Natur wie ein Dichter und nicht wie ein Wissenschafter“, sagt Andrea Wulf. Und sie muss es wissen, ist die polyglotte Kulturhistorikerin doch für Jahre in Humboldts Kosmos eingetaucht. Mittlerweile gilt sie als  d i e  Expertin. Sie recherchierte in Archiven von Berlin über Kalifornien bis Cambridge, wühlte sich durch Briefe, Tagebücher und Notizen: „Ich wollte etwa wissen, wie Darwin von Humboldt inspiriert worden ist. Humboldts Bücher sind mit Darwin auf seinem Schiff Beagle um die Welt gereist und gespickt mit Kommentaren des Evolutionsforschers. Das ist, als würde man einer Unterhaltung der beiden beiwohnen.“

Prophet versus Nerd

Wulf sieht Humboldt als ersten Umweltschützer, Propheten des Klimawandels und genialen Abenteurer. Ganz anders stellt Daniel Kehlmann ihn in seinem Roman Die Vermessung der Welt dar – als verschrobenen Nerd, der durch die Welt reist, um mit manischem Messen den Dingen auf den Grund zu gehen.

Humboldt selbst beschreibt seine Kindheit als „trüb und öde“; seine Mutter ist emotional kalt, sorgt aber dafür, dass ihre beiden Söhne die beste Erziehung genießen, die man damals in Preußen bekommen kann. Humboldt interessiert sich für alles, besonders für Geologie. Als die Mutter stirbt, hinterlässt sie ein Vermögen, das es ihm, der sich in Preußen eingeengt fühlt, ermöglicht, seine erste Expedition auszurüsten.

Lebenselixier: Reisen

Er bringt sich Arabisch und Persisch bei – will nach Ägypten zu den Pharaonen, doch Napoleons Feldzug versperrt ihm den Weg. Also Amerika. 22 Tage dauert die Überfahrt. Er, der in seiner Jugend kränkelte, blüht in den Tropen regelrecht auf: „Nie habe ich mich in meinem Leben gesünder gefühlt“, notiert er in seinem Tagebuch.

1802 besteigt Humboldt den Chimborazo, einen spektakulären, erloschenen Vulkan. Hier wechseln verschiedene Vegetationszonen – im Tal tropische Palmen und Bananenstauden; weiter oben Nadelholzwälder; daran anschließend Regionen mit Flechten, wie Humboldt sie aus den Alpen kannte. Es war wie eine botanische Reise vom Äquator zu den Polen. Er erkannte als Erster: Es gibt Vegetationszonen, die sich um den ganzen Globus schlängeln. Wulf: „Er hat gesehen, dass alles zusammenhängt und hat das Ökosystem erfunden, ohne das Wort zu benutzen.“ Sie nennt ihn den vergessenen Vater des Umweltschutzes.

Wiederauferstandener

Zurück aus Amerika, wurde er bejubelt wie ein Wiederauferstandener. Kein Wunder: Zeitungen hatten ihn mehrfach für tot erklärt. Jetzt haftete Humboldt die Aura eines Abenteurers an: Hohe Stirn, blaue Augen, vollendete Manieren – er hatte Witz und Verstand und an seinen Stiefeln klebte der Lehm des Orinoco. Er war genauso alt wie Napoleon, genauso berühmt – und einen Kopf größer. Wulf ist ziemlich sicher, „dass Humboldt homosexuell war. Er hatte leidenschaftliche Beziehungen mit jüngeren Wissenschaftern“. Aber er hat sich nie ganz an eine Person gebunden. Er sagte: „Die größte Liebe ist die Wissenschaft.“

Berühmte Freunde

Der US-Präsident Thomas Jefferson zählte genauso zu seinen Freunden wie der Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Mit Ersterem diskutierte er die Sklavenfrage und die Grenzziehung zu Mexiko. Zweiteren inspirierte er zu seiner berühmtesten Figur – Heinrich Faust, glaubt zumindest Wulf. „Ich habe festgestellt, dass Goethe immer dann weiter an ,Faust‘ schrieb, wenn er Humboldt gesehen hatte. Und wenn man sich Heinrich Faust anschaut, erkennt man, dass auch er diese Rastlosigkeit und die Begierde nach Wissen hat.“

Humboldts 100er feierte die ganze Welt: 25.000 Menschen trafen sich in Manhattan, es gab Partys in Moskau und Melbourne, in Mexiko-Stadt und Buenos Aires. Wulf: „Im Vergleich dazu ist heute alles langweilig“.

Eine Flut von Büchern nähert sich dem Vater der Ökologie von den verschiedensten Seiten her:

Andrea Wulff: "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt". Angeregt von seinen Tagebüchern, Kupferstichen, Skizzen, Landkarten und präparierten Pflanzen, erzählt Wulff die Geschichte seiner Reise aus einer völlig neuen Perspektive - anhand Humboldts eigener Tagebuchaufzeichnungen, die erst vor kurzem zugänglich gemacht wurden. Bertelsmann. 28,80 €

Dominik Erdmann und Oliver Lubrich: "Das zeichnerische Werk“. Etwa 260 Zeichnungen, Illustrationen und Graphiken aus dem Nachlass Alexander von Humboldts geben einen Einblick in die Zeichenwerkstatt des Universalkönners und zeigen, dass Humboldt auch mit seinen graphischen Arbeiten als Pionier der Moderne gelten kann. wbg Edition. 100 €

Ottmar Ette: "Alexander von Humboldt – Handbuch. Leben – Werk – Wirkung", erschließt das umfassende Werk Humboldts und verankert es im Kontext des Gelehrten, Forschungsreisenden und Schriftstellers und seiner Zeit. Metzler Verlag. 99,99 €

Oliver Lubrich und Adrian Möhl: "Botanik in Bewegung“. Die beiden Autoren  beleuchteten einen bisher wenig beachtetetn Aspekt im Leben des Naturforschers – seine neue Sicht auf die Pflanzenwelt und setzen die ins Verhältnis zur modernen Pflanzenwissenschaft. Haupt Verlag. 35 €

Jubiläumstagung: 250 Jahre Humboldt – 160 Jahre Weltumsegelung "Novara" 

Das Naturhistorische Museum Wien verknüpft den Humboldt-Geburtstag mit der Rückkehr des österreichischen Forschungsschiffes Novara und widmet der Expedition, die maßgeblich von Humboldt beeinflusst war ein Symposium.
 

 

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