Sollten Zirkuselemente auch stärker im Schulsport verankert sein?
Absolut. In manchen Ländern, etwa in Deutschland, gibt es Programme wie „Zirkus macht stark“. In Österreich passiert das bisher nur punktuell, oft projektbasiert. Wir überlegen, über die Zirkusakademie Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte anzubieten – etwa für Menschen, die keine Sportausbildung haben, aber mit Bewegung arbeiten wollen. Der Turnunterricht ist oft sehr starr, da braucht es neue Impulse. Durch die ständigen Organisationsabfolgen bleibt oft auch wenig Nettozeit für die Bewegung in der Turnstunde.
Sie waren kürzlich bei einer europäischen Konferenz für Jugendzirkusse. Wie ist Österreich aufgestellt?
Im europäischen Vergleich fallen wir ein wenig aus dem Rahmen – im positiven Sinn. Bei uns steht die freie Entscheidung des Kindes im Mittelpunkt, das Miteinander. In vielen anderen Ländern ist der Fokus stärker auf Artistik und Leistung. Aber alle teilen das Prinzip, dass Kreativität und das soziale Gefüge stark verankert sind. Das ist der Unterschied zu klassischem Sport, der eher kompetitiv ist und wo das Ziel ist, immer besser zu werden. In Österreich ist es oft schwierig, Leute zu finden, die offen für neue Zugänge sind. Es geht uns um einen ganzheitlichen Bewegungsbegriff und nicht ausschließlich um sportliche Leistung.
Warum Einräder und Trapez und nicht Langbank und Reck?
Es ist nicht unbedingt eine Gegenüberstellung. Wir arbeiten auch mit klassischen Turngeräten, aber wir entfremden sie. Es geht bei uns immer auch um kreative Nutzung. Die Kinder sollen mit den Geräten etwas ausdrücken und darstellen können und dadurch in ihrer Selbstwirksamkeit angeregt werden. Es geht also nicht rein um die Ausführung, sondern auch um das Erfinden. Ein Trapez ist nicht nur ein Gerät, sondern ein Mittel, um etwas auszudrücken. Die Kinder müssen auch keine Leistung bringen, wie das oft in Sportvereinen der Fall ist.
Leistung im Sinn von Wettbewerben?
Genau. Bei uns gibt es keine Wettkämpfe. Leistung ist für uns nicht nur etwas Körperliches oder Artistisches, sondern auch etwas Soziales. Wenn ein Kind stürzt und andere kommen und helfen – das ist eine enorme soziale Leistung. Das ist uns sehr wichtig und kommt unserer Gesellschaft zugute. In der Förderlandschaft der Sportvereine zählt das leider nicht, weil wir nicht in klassische Strukturen passen. Aber gerade diese Form von Kollektivdenken brauchen wir dringend in unserer Gesellschaft. Das Ziel unserer vom Alter gemischten Gruppen ist, dass man voneinander lernt und nicht in eine Vergleichbarkeit kommt, sondern ein Miteinander lebt.
Wie laufen die Zirkuskurse ab?
Wir haben unterschiedliche Stationen, zum Beispiel ein Trapez, ein Trampolin oder Einräder, wobei die Kinder wählen können, wozu sie Lust haben. Viele kommen mit wenig Bewegungserfahrung und auch mit Ängsten. Oft sind es nicht ihre eigenen, sondern die der Erwachsenen, die immer wieder sagen „Vorsicht“, „gefährlich“, „nein“. Man merkt auch, dass viele Kinder auf Hilfe warten, statt etwas auszuprobieren. Bei uns gilt, dass wir die Kinder nicht in Positionen bringen, in die sie selbst nicht kommen, weil sie es sonst nicht lernen. Wenn sie selbst probieren, noch einmal zurückgehen und es dann selbst schaffen – dieses Leuchten in den Augen – das ist Lernen. Bei uns beobachten die Kinder auch andere, sehen, was möglich ist – und entfalten sich erstaunlich schnell. Das reguliert sich über den Raum und ihr Gegenüber, nicht über Anweisungen.
Ist die Nachfrage seit den Anfängen gestiegen?
Ja. Wir sind aber immer noch eine Nische. Wir werden inzwischen mehr verstanden, aber wir bleiben irgendwie die "bunten Vögel". Gleichzeitig wächst der Bedarf enorm. Die Belastung bei Kindern ist groß, man merkt das zum Beispiel an der Lautstärke. Viele müssen regelrecht rausbrüllen, was sie beschäftigt. Der Zirkus bietet einen analogen Raum – ohne KI, ohne Bildschirm. Kinder können dort einfach Kind sein und sie haben dieses Bedürfnis nach Begegnung und Beziehung.
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