Gegen den Winter Blues: "Serotonin ist viel mehr als ein Glückshormon"
Als Winterblues wird ein Stimmungstief bezeichnet, das nur in der dunkeln Jahreszeit auftritt.
Sie ist wieder da, Zeit der grauen Tage. Wenn die Dämmerung hereinbricht, bevor die Sonne zum Vorschein kam. Präventivmediziner Jan-Dirk Fauteck klärt in einem neuen Buch auf, wie man die Stimmung dennoch heben kann.
KURIER: Herr Dr. Fauteck. Woher kommt der Winter Blues genau?
Jan-Dirk Fauteck: Im Winter sind wir dem Sonnenlicht weniger ausgesetzt. Damit fehlt uns Vitamin D3. Das hilft – neben anderen Botenstoffen – normalerweise Serotonin im Gehirn zu bilden. Und das wiederum ist zuständig fürs Gemüt.
Sie sagen in Ihrem neuen Buch „Serotonin“ aber auch, dass es zu kurz gegriffen ist, Serotonin nur als Glückshormon zu bezeichnen.
Viel zu kurz. Zum einen ist das Serotonin im Gehirn auch für Schmerzempfinden zuständig. Haben wir weniger Serotonin, haben wir mehr Schmerzen. Deshalb gibt es im Winter mehr chronische Beschwerden. Aber es gibt noch ein zweites serotonerges System im Körper. In der Peripherie wird ca. 90 Prozent des Serotonins im Darm produziert. Dort ist es zuständig für Verdauung, Energie, Immunsystem.
Jan-Dirk Fauteck beschäftigt sich seit Jahren mit Präventivmedizin.
Wenn uns das Sonnenlicht fehlt, wie können wir mehr Serotonin aufnehmen?
Das Serotonin kann man nicht von außen aufnehmen. Das muss der Körper produzieren. Ausgangssubstanz ist die Aminosäure Tryptophan. Davon wird nur ein kleinerer Teil in Serotonin verstoffwechselt. Ein größerer Teil wird in den sogenannten Kynurenin-Abbauweg geleitet, das führt zur Energie. Wieder ein anderer Teil wird über den indolaminären Abbauweg zu Fettsäuren.
Wie komme ich an Tryptophan?
Schlechte Nachricht für Vegetarier: Am meisten Tryptophan ist in rotem Fleisch. Wenn man darauf verzichtet, sollte man Tryptophan (in Kombination mit Griffonia) durch Nahrungsergänzung zuführen.
Soeben ist das neue Buch von Dr Jan-Dirk Fauteck erschienen.
Helfen auch Milchprodukte? Sie zitieren eine Studie, in der einem Teil der Studierenden vor einer Prüfung Sauermilch mit Probiotika gegeben wurde. Die Gruppe, die diese Milch konsumierte, hatte weniger Stress.
Ja, das betrifft Joghurts, die natürlich fermentiert sind und somit oft einen hohen Anteil an Tryptophan aufweisen. Außerdem enthalten sie Laktobazillen und die wiederum können die Aufnahme von Tryptophan im Darm erleichtern.
Kann ich abgesehen von meiner Ernährung tun? Hilft Bewegung?
Indirekt. Durch Bewegung normalisiere ich den Stoffwechsel. Dadurch wird Tryptophan für die Serotoninproduktion freigesetzt.
Weitere Informationen zum Thema Serotonin, finden Sie auf folgenden Webseiten:
Gute Ernährung, Bewegung, eine Aminosäure zur Nahrungsergänzung. Das klingt eigentlich einfach.
Deshalb wundert es mich so sehr, dass das in der modernen Medizin noch nicht so wirklich angekommen ist. Was ist der Goldstandard bei Depressionen? Wir geben Medikamente, die verhindern sollen, das Serotonin, nachdem es einmal von den Nervenzellen ausgeschüttet wurde, von diesen Zellen wieder aufgenommen wird, damit es länger wirken kann. Aber wenn die Nervenzelle kein Serotonin mehr produziert, müsste ich doch Präparate geben, die es der Nervenzelle ermöglichen, erst einmal Serotonin wieder zu produzieren. Die moderne Medizin setzt meines Erachtens an einem falschen Punkt an.
Warum tut sie das Ihrer Meinung nach?
Weil es zu einfach wäre. Mit einer einfachen Aminosäure kann man kein Geld verdienen.
Sie teilen in Ihrem Buch auch ungewöhnliche Erkenntnisse. Zum Beispiel, dass Intervallfasten die Libido anregen kann.
Das Intervallfasten, vor allem abends, hilft, den Stoffwechsel zu regulieren. Das ganze System wird heruntergefahren; dadurch wird weniger Tryptophan verstoffwechselt. Somit habe ich in der Früh mehr zur Verfügung – um mehr Serotonin im Gehirn zu produzieren. Man muss ja bedenken: Es braucht sehr viel Tryptophan, damit ausreichende Mengen über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn kommen.
Nochmal für mich als Laiin: Das Tryptophan geht zuerst in die Peripherie, also in die Muskeln, und nur wenn genug da ist, kommt es bis ins Gehirn.
Genau. Je mehr Tryptophan im Blut ist, umso mehr Tryptophan kann ins Gehirn gelangen.
Warum eigentlich?
Sagen wir so: Wenn ich vor einem Tiger wegrenne, ist es egal, ob ich traurig bin. Hauptsache, ich habe genug Energie, um wegzurennen.
Ein anderes Kuriosum: Sie schreiben in ihrem Buch auch, dass bei Frischverliebten der Serotoninspiegel sinkt. Aber sind wir nicht glücklich, wenn wir verliebt sind?
Der Serotoninspiegel sinkt etwas, damit eine Hemmschwelle reduziert wird. Einerseits gehen bei Frischverliebten aber ja andere Hormone nach oben: etwa Oxytocin, das Kuschelhormon. Und vor allem geht der Stresslevel etwas rauf. Das serotonerge System wird minimal heruntergefahren, damit wir bereit sind, uns auf andere einzulassen. Dafür muss eine gewisse „depressive“ Ruhe einkehren.
Finden wir aber nicht den besten Partner, wenn wir selbst stark und unabhängig sind?
Man darf das nicht so krass sehen. Ich rede nicht von einer Abhängigkeit, sondern dass ich mich nach Zweisamkeit sehne. Wenn wir völlig glücklich und zufrieden sind, dann brauchen wir ja nichts. Der Mensch ist ja eigentlich ein Einzelgänger.
Aber wir haben doch immer schon in Gruppen gelebt?
Weil der Stress des Überlebens da war. Stress reduziert Serotonin.
Ganz schön verwoben.
Ein komplexes System. Deshalb hat das Serotonindefizit Syndrom mindestens zehn Gesichter. Nur eines davon ist der Winter Blues.
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