Weihnachtsdepression: Wenn die Feiertage auf die Stimmung schlagen
Wenn Menschen innerlich oder im familiären Umfeld Konflikte haben, können die Weihnachtstage auf die Stimmung drücken.
Für viele ist Weihnachten die stimmungsvollste Zeit des Jahres. Doch nicht alle blicken dem Heiligen Abend mit Vorfreude entgegen. Stattdessen stellen sich bei manchen Menschen Gefühle der Niedergeschlagenheit ein.
Oft ist dann vom "Weihnachts-Blues" die Rede: kein medizinischer Befund, aber ein emotionaler Zustand, der einer Depression erstaunlich ähnlich sein kann, wie Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP), im KURIER-Interview erklärt.
KURIER: Die Weihnachtsdepression ist keine Diagnose. Was erleben Betroffene?
Barbara Haid: Die Weihnachtsdepression ist keine klinische Diagnose im klassischen Sinn, sondern beschreibt einen vorübergehenden, an die Weihnachtszeit gekoppelten emotionalen Zustand, der einer Depression ähnlich ist. Betroffene erleben Niedergeschlagenheit, eine erhöhte Reizbarkeit, Antriebslosigkeit, innere Leere.
Welche Themen belasten mit Blick auf Weihnachten?
Das Ereignis erfüllt Betroffene nicht mit Vorfreude. Im Gegenteil: Sie fühlen sich belastet. Weihnachten wirkt wie ein emotionaler Verstärker auf negative Gefühlslagen und Empfindungen.
Inwiefern?
Zum einen werden die typischerweise mit der Vorweihnachtszeit verbundenen Stressgefühle verschärft. Zum anderen sind finanzielle Sorgen eine große Belastung für viele. Oft ist Einsamkeit ein Thema. Hinzu kommt der hohe soziale Erwartungsdruck. Weihnachten soll harmonisch ablaufen, man möchte alles perfekt organisieren.
Rund um die Weihnachtstage haben Konflikte dann aber oft Hochsaison …
An den Feiertagen eskalieren tatsächlich oft innerfamiliäre Konflikte, die schon seit Jahren schwelen. In dieser Gemütslage können viele Menschen auch zum Jahreswechsel nicht den Blick auf das lenken, was gelungen ist, was man geschaffen hat.
Welche Rolle spielt der Mangel an Tages- und Sonnenlicht um diese Jahreszeit?
Weihnachten fällt mit dem dunkelsten bzw. kürzesten Tag des Jahres am 21. Dezember zusammen. Da es oft schon in den Wochen und Monaten davor dunkel und trüb ist, ist bei vielen Menschen die Serotoninproduktion gehemmt, gleichzeitig wird mehr Melatonin produziert. Das bedeutet, dass unser Antrieb und unsere Aktivität reduziert sind.
Wenn sich die Sonne also mal zeigt, ab nach draußen?
Auch wenn sie sich nicht zeigt, sollte man versuchen, bei Tageslicht hinauszugehen und sich an der frischen Luft zu bewegen. Ein halbstündiger Spaziergang ist eines der besten kostenlosen Medikamente, die wir haben. Drückt der Lichtmangel in Form einer saisonalen Depression auf die Psyche, sind Tageslichtlampen eine gute Option.
Wann wird aus dem Weihnachtstief ein ernst zu nehmendes Problem?
Kurz gesagt: Wenn es nicht vergeht. Spätestens drei Wochen nach Weihnachten sollte man zur emotionalen Normalität zurückgekehrt sein. Sollte es länger andauern, rate ich, genauer hinzuschauen und professionelle Begleitung zu suchen.
Sie sind gerade in einer schwierigen Lebenssituation und benötigen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber.
Die Kummernummer von Ö3 ist unter 116 123 täglich von 16 bis 24 Uhr und anonym erreichbar.
Die Telefonseelsorge ist unter der kostenlosen 142 ebenfalls als vertraulicher Notrufdienst jeden Tag des Jahres rund um die Uhr erreichbar.
Rat auf Draht ist die österreichische Notrufnummer für Kinder und Jugendliche. Die Nummer ist unter 147 rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar.
Oft liest man von der postweihnachtlichen Entlastungsdepression. Wie ist diese psychische Reaktion zu erklären?
Wenn die enorme Anspannung abfällt, kann man einen emotionalen Einbruch erleben – auch wenn die Feierlichkeiten vielleicht sehr schön waren. Eben weil das Stressniveau so hoch war. Meine Großmutter hat immer den schönen Spruch gesagt: "Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen." Als Kind konnte ich damit nichts anfangen. Inzwischen ist mir die Wahrheit dahinter bewusst.
Die sozialen Batterien sind einfach leer?
Sie sind überbeansprucht. Auch das Körperliche spielt mit hinein: Man hat viel – und auch gut – gegessen, sich gleichzeitig verhältnismäßig wenig bewegt. Auch das kann sich in Form eines mentalen Schweregefühls im Nachgang bemerkbar machen. Das gilt besonders, weil im Jänner der Alltag wieder startet und man realisiert, dass die echte Erholung im Urlaub zu kurz gekommen ist.
Wie lässt sich der weihnachtliche Zauber genießen – und gleichzeitig Kraft tanken?
Ich würde zum bewussten Lenken der Aufmerksamkeit auf den Moment raten. Sich eine Kerze anzünden, in die Flamme blicken. Sich bewusst Zeit nehmen und rund um Weihnachten in die Natur gehen – mit lieben Menschen oder allein –, um innezuhalten. Wenn man mit der Familie oder Freunden feiert, bietet es sich an, ein Foto zu machen, um das Erinnern zu ermöglichen. In einen schönen Rahmen gepackt lässt sich davon auch im neuen Jahr zehren.
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