Psychologe erklärt: Was die hohe Kunst des Schenkens ausmacht

Ein Mann versteckt ein Geschenk mit roter Schleife hinter dem Rücken, während eine Frau erwartungsvoll lächelt.
Schenken ist ein komplexer zwischenmenschlicher Akt. Was beim Geben an Emotionen mitschwingt, wieso man nützliche Geschenke nicht verteufeln sollte und warum auch Gutscheine hochpersönliche Präsente sein können.

Heuer schenken wir uns nichts! – Für viele klingt das wie ein echter Befreiungsschlag. Kein Gedränge im Einkaufszentrum, kein Stress, den besten Black-Friday-Deal zu erwischen, keine Sorge, etwas Belangloses unter den Weihnachtsbaum zu legen. "Allerdings ist die Ansage oft doppelbödig", sagt Prof. Dr. Timo Storck, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin. 

Der Pakt hält selten lange: Die Oma bringt eine Kleinigkeit für jeden mit, der Onkel eine Flasche Wein. Und manch einer ist dann doch enttäuscht, wenn gar nichts für ihn unterm Baum liegt. "Das Nicht-Schenken kann problematisch werden, weil die Schenk-Bilanz schnell aus dem Gleichgewicht gerät", erklärt Storck.

Schon am Beispiel des Nicht-Schenkens wird deutlich: Schenken ist ein komplexer zwischenmenschlicher Akt. "Denn ein Geschenk ist immer auch eine Beziehungsaussage", sagt Storck. "Es zeigt, wie man die Beziehung sieht – eher funktional oder herzlich, beispielsweise." 

Die Botschaft eines Geschenks hat viele verwobene Facetten. "Da spielt der finanzielle Wert eine Rolle – er sollte zum Verhältnis passen, das man zueinander hat", erläutert Storck. Die Wertigkeit kann sich auch losgelöst vom Preis entfalten: "Wenn ein Kind seinen Eltern ein Bild malt, hat es kein Geld dafür ausgegeben, trotzdem hat es einen hohen emotionalen Wert." 

Im privaten Rahmen besteht ein Anspruch an Einfallsreichtum: "Der Chef kann problemlos eine gute Flasche Wein schenken, das wirkt angemessen. Im privaten Rahmen kommt der beliebige teure Wein wenig originell rüber." Den Rahmen bildet die Geschenkehistorie: "Wenn wir anderen etwas schenken, beachten wir auch – mal mehr, mal weniger bewusst –, was diese Person uns geschenkt hat."

Tradition mit vielen Facetten

Die Tradition des Schenkens ist so alt wie die Menschheit. Schon in frühen Kulturen waren Geben und Nehmen feste Rituale des Zusammenlebens. Bei Festen und Treffen unter Häuptlingen gehörte der Austausch von Geschenken zum guten Ton. Auch im antiken Griechenland und im Römischen Reich spielte Schenken eine große Rolle – etwa als Ausdruck der Verehrung gegenüber den Göttern. Im Mittelalter erlebte das Schenken eine Blütezeit, vor allem an den Höfen Europas. Auch innerhalb der einfachen Bevölkerung gab es eine ausgeprägte Schenkkultur. Zu religiösen Festen war es üblich, Geschenke auszutauschen. Diese Gaben waren meist symbolischer Natur und hatten selten materiellen Wert.

Denkt man an die aus dem 20. Jahrhundert stammende Theorie der Gabe des französischen Soziologen Marcel Mauss, ist ein Geschenk eine Gabe, die keinen Warentausch mit gleichem Wert erfordert. Heute hat Schenken einen spürbaren Tauschcharakter. "Das macht es kompliziert, weil niemand gern das Gefühl hat, jemandem etwas schuldig zu sein", befindet Storck. 

Vergangenes Jahr lieferte eine Studie ein Plädoyer fürs persönliche Geschenk: Individuell ausgewählte Präsente stärken demnach nicht nur die emotionale Bindung, sondern auch das Selbstwertgefühl beim Beschenkten. "Persönlich bedeutet nicht automatisch selbstgemacht", erklärt der Psychologe. Ein sorgfältig ausgesuchtes Buch kann eine sehr persönliche Note haben, ebenso wie ein mit Bedacht gewählter Gutschein. 

Laut einer anderen Studie wird der Schaden, den verspätete Geschenke anrichten, oft überschätzt. "Auch verspätete Geschenke können herzlich aufgenommen werden“, sagt Storck. „Problematisch wird es, wenn es keinen feierlich-rituellen Rahmen gibt. Den kann man aber schaffen – mit einem gemeinsamen Essen oder einer liebevollen Notiz."

Frage des Mehrwertes

In Zeitungspapier gewickelt, formvollendet verpackt, spielerisch verziert oder unverhüllt in einer Geschenktüte überreicht: Auch die Verpackung trägt eine Botschaft. "Die Wahl sagt oft etwas über persönliche Werte aus“, erklärt Storck. „Wer Weihnachten besonders feiert, legt Wert auf festliches Sternchenpapier, wer umweltbewusst ist, achtet eher auf die Wiederverwertbarkeit der Verpackung."

Geschenke können auch irritieren – wenn sie übertrieben teuer oder riesig sind, oder auffallend günstig und belanglos wirken. "Geschenke können sogar verletzend sein, etwa wenn sie sehr stereotyp ausfallen", meint Storck. "Die Zeiten, in denen der Frau der Mixer und dem Mann der Wagenheber geschenkt wurde, sind vorbei."

Apropos Mixer: Küchenutensilien gelten oft als klassische Verlegenheitsgeschenke. Doch nützliche Alltagsgegenstände müssen keineswegs ein Fauxpas sein. "Etwas Funktionales zu schenken, das jemand wirklich brauchen kann, zeigt, dass man sich als Schenkender Gedanken über einen Menschen gemacht hat."

Mut zum Wünschen

Kinder sind meist ehrlich, wenn es um ihre Herzenswünsche geht. Erwachsene dürfen sich davon durchaus inspirieren lassen. "In engen Beziehungen ist Reden immer eine gute Idee – dazu gehört auch, nach Wünschen zu fragen oder sie selbst zu äußern." 

Für ein gutes Geschenk braucht es zweifellos menschliches Gespür. In den kommenden Wochen wird die eine oder andere Idee von der KI geliefert. "Ich würde das nicht als Niedergang des kreativen Schenkens sehen", sagt Storck. "Wie in vielen anderen Bereichen kann KI eine hilfreiche Ergänzung zu eigenen Überlegungen sein."

Wer dem Konsumgedanken zu Weihnachten abschwören will, kann mit einer guten Tat Freude bereiten. Eine Möglichkeit, dem familiären Nicht-Schenken eine besondere Note zu verleihen, sagt Storck. "Wenn aus 'Heuer schenken wir uns nichts' ein 'Heuer beschenken wir Bedürftige' wird, kann das ein noch größeres Gefühl der Verbundenheit erzeugen, als wenn man sich wechselseitig Elektrogeräte schenkt."

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