Heimlicher Schmerz: Warum wir uns fürs Einsamsein oft schämen
Laut einer Caritas-Studie fühlen sich 600.000 Menschen in Österreich einsam.
Einsamkeit entsteht häufig im Verborgenen. Viele Betroffene schämen sich dafür, allein zu sein und sich einsam zu fühlen. "Einsamkeit widerspricht dem, was wir gesellschaftlich als wünschenswert ansehen", erklärt die Psychologin und Einsamkeitsforscherin Mareike Ernst von der Universität Klagenfurt.
"In unserer Kultur gilt es als positiv, sozial eingebunden, extrovertiert und gesellig zu sein. Menschen, die einsam sind, entsprechen diesem Ideal nicht. Das erklärt, warum Einsamkeit häufig stigmatisiert wird – einsam sein ist nicht beliebt."
Als Makel missverstanden
Stigmatisierung und Scham sind eng verknüpft: Gesellschaftliche Abwertung führt dazu, dass Betroffene die negativen Zuschreibungen verinnerlichen und Scham empfinden. "Viele versuchen, ihre Einsamkeit zu verstecken, und ziehen sich weiter zurück – damit erschweren sie jene Unterstützung, die sie eigentlich bräuchten", sagt Ernst. "Denn über Einsamkeit müsste man offen sprechen."
Am Ende wird Einsamkeit häufig als persönlicher Makel wahrgenommen – und nicht als das, was sie in vielen Fällen tatsächlich ist: eine natürliche Reaktion auf veränderte Lebensumstände.
Ob Umzug, der Start einer Ausbildung, die Geburt eines Kindes oder der Eintritt in die Pension: In solchen Umbruchphasen ordnet sich das soziale Umfeld oft neu. "In dieser Zeit ist das Risiko, einsam zu werden, deutlich erhöht", erklärt Ernst.
Der schmerzhafte Charakter von Einsamkeit hat tiefe evolutionäre Wurzeln. "Für unsere frühen Vorfahren war es lebensgefährlich, allein zu sein oder aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Auch heute noch besitzt Einsamkeit diese Signalwirkung: Sie ist so schwer auszuhalten, weil sie uns dazu motivieren soll, wieder Nähe und Kontakt zu anderen zu suchen", erläutert Ernst.
Ungünstiger Selbstschutz
Sich für Einsamkeit – und die damit verbundene soziale Abwertung – zu schämen, ist auch eine Form des Selbstschutzes. "Schamgefühle richten die Aufmerksamkeit stark auf das eigene Selbst: Man wird vorsichtiger, wachsamer – etwas, das in der frühen Menschheitsgeschichte hilfreich war. Heute erschwert dieses evolutionäre Programm den Weg aus der Einsamkeit, weil unangenehme Selbstaufmerksamkeit und ein Misstrauen gegenüber anderen entstehen können."
Dass heute offener über Einsamkeit und ihre Folgen gesprochen wird, begrüßt Ernst: "So wird Einsamkeit sichtbar gemacht, Betroffene werden aus der versteckten Ecke geholt. Das erleichtert es, in Kontakt mit anderen zu treten."
Therapeutisch geht es darum, sich Einsamkeitsgefühlen zuzuwenden: "Die Einsamkeit kann verraten, was man braucht." An die Stelle von Selbstabwertung sollte Selbstmitgefühl treten. "Wer freundlich zu sich ist, kann besser für sich sorgen – offen auf sein Umfeld zugehen, Hobbys wieder aufnehmen, eingeschlafene Kontakte aktivieren.
Schritt für Schritt lässt sich so das Gefühl von Selbstwirksamkeit und auch von Gemeinschaft zurückgewinnen."
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