Günter Stix: Wenn man seinen Puls regelmäßig am Handgelenk misst, weiß man, wie sich ein gleichmäßiger Pulsschlag anfühlt. Vorhofflimmern erkennt man daran, dass es zwischen den Pulsschlägen aber absolut keine Gleichmäßigkeit gibt. Es ist eine komplette Arrhythmie – der Abstand von einem Herzschlag zum nächsten folgt keinem Muster. Meist ist der Pulsschlag viel zu schnell. Kürzlich hatte ich auch einen Patienten, dessen Partnerin hat, an seiner Brust liegend, die Rhythmusstörung gespürt und dann beim anschließenden Tasten am Handgelenk ebenfalls erkannt.
Bemerkt man nicht einen zu raschen Puls auch so?
Nicht unbedingt. Ein Drittel der Betroffenen hat ein stummes Vorhofflimmern ohne jegliche Symptome. Manche spüren ein Herzstolpern oder Herzrasen, auch Schwindel oder Unruhe können auftreten. Aber oft werden solche Symptome lange ignoriert.
Wie gut können moderne Smartwatches und andere tragbare Geräte, sogenannte Wearables, Herzrhythmusstörungen diagnostizieren?
Gute Geräte renommierter Hersteller mit EKG-Sensoren können das erstaunlich gut. Sind die unregelmäßigen Herzschläge mit einem EKG-Rhythmusstreifen durch das Gerät dokumentiert, ist das eine große Hilfe für die Diagnose. Früher hat es oft Monate gedauert, bis ein Patient während einer Episode des Vorhofflimmerns in der Ordination war und wir ein EKG aufzeichnen konnten.
Welche Herzfrequenz sollte man abklären lassen?
Ein gesunder Ruhepuls liegt meist zwischen 60 und 80 Schlägen pro Minute. Wobei auch Werte zwischen 50 und 100 im Wesentlichen als normal zu betrachten sind – liegen sie regelmäßig über 80, sollte man das aber genauer ansehen. Regelmäßig Werte um 100 und mehr müssen unbedingt abgeklärt werden, ebenso wie dauerhafter Ruhepuls unter 50.
Warum ist das Vorhofflimmern so gefährlich?
Nicht erkannt und nicht behandelt ist es die Ursache für rund ein Drittel aller Schlaganfälle – und zwar die besonders schweren (siehe Infokasten unten, Anm.). Ein Drittel der Menschen, die heute 40 Jahre oder älter sind, wird zumindest einmal im Leben eine Episode von Vorhofflimmern bekommen. Bei einem Viertel davon wird diese Rhythmusstörung in einer Intensität auftreten, die eine Behandlung notwendig machen wird.
Wer hat ein erhöhtes Risiko?
Das Risiko steigt mit zunehmendem Alter und bei bestimmten chronischen Krankheiten, etwa Bluthochdruck, Herzgefäßerkrankungen wie Atherosklerose, oder Diabetes. Auch erhöhter Alkoholkonsum, starkes Übergewicht oder Bewegungsmangel sind Risikofaktoren. Aber das erklärt nicht alle Fälle. Ich sehe zunehmend junge, fitte, schlanke, komplett gesunde Menschen, die Vorhofflimmern bekommen.
Seit den 60er-Jahren verdoppelt sich mit jedem Jahrzehnt die Zahl der Menschen mit behandlungsbedürftigem Vorhofflimmern. Und wir wissen nicht, was die Ursachen für diesen Anstieg sind.
Wie sieht die Therapie aus?
Erster Schritt ist, bei Menschen, die auch andere Risikofaktoren für einen Schlaganfall haben, mit blutverdünnenden Medikamenten dieses Risiko zu senken. Trotzdem bleibt das Risiko erhöht. Anschließend gibt es zwei Möglichkeiten: Mit Medikamenten kann man versuchen, die Episoden des Vorhofflimmerns zu verkürzen und die Abstände dazwischen zu verlängern. Um es komplett wegzubringen, ist eine Katheterablation notwendig, die Pulmonalvenenisolierung.
Dabei wird ein Herzkatheter durch ein Blutgefäß bis zu den Stellen, von denen im Herzen bzw. in den Lungenvenen die unkoordinierte elektrische Erregung ausgeht, vorgeschoben. Mit Strom werden diese Stellen verödet. Damit soll die Ausbreitung des elektrischen Chaos auf die Vorhöfe verhindert werden.
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