Neues Verbot der Cousinen-Ehe in Österreich: Wenn Verwandte Kinder bekommen

In westlichen Ländern machen Ehen zwischen Cousins und Cousinen weniger als ein Prozent aller Eheschließungen aus.
Noch vor der Sommerpause verabschiedete die türkis-rot-pinke Bundesregierung ein Gesetz, das Ehen zwischen Verwandten bis zum vierten Grad der Seitenlinie untersagt. Davon betroffen sind künftig etwa Verbindungen zwischen Cousin und Cousine oder zwischen Onkel und Nichte. Bislang galt dieses Verbot für Ehen zwischen Eltern und Kindern oder Großeltern und Enkeln sowie zwischen Geschwistern.
Was bleibt, ist die Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs zwischen Verwandten in gerader Linie, im Gesetz als "Blutschande" oder umgangssprachlich als Inzest bezeichnet. "Gerade Linie" bedeutet, dass Personen direkt voneinander abstammen, also Vorfahren oder Nachfahren sind – im Unterschied zur Seitenlinie, bei der es ein gemeinsames Abstammungsverhältnis gibt, etwa bei Geschwistern.
Erhöhtes Risiko genetischer Erkrankungen
Verboten ist weiterhin der sexuelle Kontakt mit dem eigenen Vater, der Schwester oder der Enkelin sowie zwischen Geschwistern – nicht aber jener zwischen Cousin und Cousine. Dennoch soll das neue Eheverbot laut Regierung indirekt dazu beitragen, auch solche Beziehungen unattraktiver zu machen. Neben dem Schutz vor Zwangsehen und der Stärkung von Kinderrechten wird dabei auch ein gesundheitlicher Aspekt ins Feld geführt: das erhöhte Risiko genetischer Erkrankungen bei gemeinsamen Kindern.
Vererbung von "fehlerhaften" Genen
"Dabei handelt es sich um Erkrankungen, die nur dann ausbrechen, wenn ein Kind von beiden Elternteilen ein mutiertes, 'fehlerhaftes' Gen erbt", sagt Humangenetiker Markus Hengstschläger von der Medizinischen Universität Wien. "Wir alle tragen solche Gene in uns – durchschnittlich vielleicht etwa zwei bis fünf. In der Regel merkt man davon nichts, weil die nicht-mutierte, 'korrekte' Genkopie des zweiten Elternteils das ausgleicht." Kritisch werde es, wenn beide Eltern dieselbe Genveränderung in sich tragen – was bei Verwandten statistisch wahrscheinlicher sei.
Genaue Zahlen sind schwer zu benennen: Während das Risiko für ein Kind mit einer angeborenen Erkrankung oder Fehlbildung in der allgemeinen Bevölkerung bei etwa zwei bis drei Prozent liegt, beträgt es bei Kindern von Cousin und Cousine ersten Grades etwa vier bis sechs Prozent. "Das bedeutet keineswegs, dass jedes Kind automatisch krank ist – aber die Wahrscheinlichkeit ist eben erhöht", erklärt Hengstschläger.
Dabei handelt es sich nicht um eine spezifische Krankheit, sondern um eine Vielzahl potenzieller selten auftretender Erkrankungen. Die Bandbreite reicht von körperlichen Fehlbildungen über geistige Entwicklungsverzögerungen bis hin zu komplexen Stoffwechselerkrankungen. "Wir kennen Tausende solcher Krankheitsbilder. Manche betreffen den Stoffwechsel, andere die Entwicklung des Gehirns oder anderer Organe. Vorhersagen, welche konkret auftreten könnten, sind ohne genetische Tests nicht möglich", betont der Experte.
Gezielte genetische Untersuchungen
In Österreich besteht die Möglichkeit, bei Kinderwunsch eine genetische Beratung in Anspruch zu nehmen. Dabei können bei entsprechender medizinischer Indikation gezielte genetische Untersuchungen durchgeführt werden. So kann das Risiko für das Auftreten bestimmter Erbkrankheiten geklärt werden und es können gezielt Maßnahmen angeboten werden.
"Wir haben heute Technologien, mit denen wir derartige genetische Fragestellungen abklären können. Man kann feststellen, ob ein Paar solche Veranlagungen hat und es entsprechend beraten und begleiten. Leider kommen wenige zur genetischen Beratung bzw. erst dann, wenn bereits ein Kind mit Gendefekt geboren wurde", sagt Hengstschläger, der das Institut für Medizinische Genetik der MedUni Wien mit einer Ambulanz zur genetischen Beratung leitet.
Genetische Beratungen sind dort nach Überweisung durch einen Facharzt kostenlos möglich. Die Analyse selbst erfolgt erst nach einem ausführlichen Gespräch: Es soll geklärt werden, welche Informationen die Untersuchung liefern kann – und welche Folgen ein auffälliger Befund für das Paar haben würde. "Ob die Untersuchung der Gene dann stattfindet, entscheiden ausschließlich die Patienten selbst – es gibt auch das Recht auf Nichtwissen", schildert Hengstschläger.
Chromosomen
Unser Erbgut (DNA) ist in den Chromosomen im Zellkern enthalten. Sie bestehen aus DNA und Proteinen und tragen die Gene, die Bauanleitungen für alle Körperfunktionen. Jeder Mensch hat 46 Chromosomen, also 23 Paare – je eines von der Mutter und eines vom Vater. Zwei dieser Chromosomen bestimmen das Geschlecht (X und Y), die anderen 44 nennt man Autosomen.
Autosomal-dominant vererbt
Bei manchen Gendefekten reicht eine veränderte Genkopie aus, damit die Erkrankung auftritt. Es kommt in 50 Prozent der Fälle zur Vererbung auf das Kind, wenn entweder der Vater oder die Mutter Träger eines solchen Gendefekts ist. Beispiel: Chorea Huntington, eine unheilbare Erkrankung des Nervensystems.
Autosomal-rezessiv vererbt
Eine genetische Erkrankung tritt nur auf, wenn beide Eltern ein "fehlerhaftes" Gen weitergeben, beide Genkopien müssen verändert sein. Trägt ein Kind nur eine "fehlerhafte" Kopie, bleibt es in der Regel gesund. Beispiel: Zystische Fibrose, eine Störung der Schleimproduktion, betrifft Lunge und Verdauung.
Wo kann man sich beraten lassen?
In Österreich bieten genetische Ambulanzen Beratungsgespräche an – meist kostenlos und mit umfassender Aufklärung über Möglichkeiten und Grenzen der Diagnostik.
Kulturelle Praxen bis geografische Abgeschiedenheit
In westlichen Ländern machen Ehen zwischen Cousins und Cousinen weniger als ein Prozent aller Eheschließungen aus. In anderen Regionen der Welt – insbesondere in Ländern mit muslimisch geprägten Traditionen – sind sie hingegen deutlich häufiger. Dabei ist nicht die Religion ausschlaggebend, sondern oft eine tief verwurzelte kulturelle Praxis.
Auch geografische Isolation – etwa in kleinen Dörfern – kann ein Grund sein. Historisch war die Verwandtenehe in Europa keineswegs ungewöhnlich: In Adelsfamilien wie bei den Habsburgern war sie sogar über Jahrhunderte die Regel. Dass sich in diesen Fällen genetische Erkrankungen häuften, ist gut dokumentiert.
Medizinisch entscheidend sei laut Hengstschläger jedenfalls nicht die Form der Beziehung – sondern die genetische Kombination der Partner. "Dieses Risiko kann – dank moderner Medizin – gut eingeschätzt werden und es gibt bei betroffenen Partnerschaften auch die Möglichkeit weiterzuhelfen."
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