Nach Trump-Sager: Löst Paracetamol tatsächlich Autismus aus?

Medikamente in der Schwangerschaft sollten allgemein nur in Abstimmung mit dem Arzt eingenommen werden.
Am Rande der Gedenkveranstaltung für den erschossenen Aktivisten Charlie Kirk im US-Bundesstaat Arizona sorgte Donald Trump mit einem Sager für Aufsehen: Vor Tausenden Anhängern verkündete er, seine Regierung habe „eine Antwort auf Autismus“ gefunden. Bereits am Freitag berichtete das Wall Street Journal unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen, dass US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. einen möglichen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Schmerzmittels Tylenol während der Schwangerschaft und Autismus bei Kindern bekanntgeben möchte. Tylenol enthält den Wirkstoff Paracetamol, unter dessen Namen das Medikament anderswo auf der Welt vertrieben wird, auch in Österreich. Tylenol bzw. Paracetamol ist eines der weltweit am häufigsten verwendeten rezeptfreien Schmerzmittel. Es wird vor allem zur Behandlung von Kopfschmerzen und Fieber sowie anderen Schmerzen eingesetzt – auch in der Schwangerschaft. Schätzungen zufolge nimmt jede zweite Frau im Lauf der Schwangerschaft zumindest einmal Paracetamol.
Wissenschaftliche Belege fehlen
Ist das Medikament tatsächlich der Auslöser von Autismus? Wissenschaftliche Belege dafür gebe es nicht, sagt dazu Rainer Seidl von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien. „Es gibt immer wieder Untersuchungen mit nicht anerkannter Methodik, die Assoziationen zwischen Autismus und unterschiedlichen Medikamenten, so auch bei Paracetamol gefunden haben. Es gibt aber keine einzige Studie oder Statements internationaler Fachgesellschaften, die einen kausalen, also verursachenden, Zusammenhang zwischen dem weitverbreiteten Paracetamol in der Schwangerschaft und einer Entwicklungsstörung, insbesondere Autismus, zeigen“, betont Seidl. Allgemein gilt: Jedes Medikament in der Schwangerschaft sollte nur in Abstimmung mit dem Arzt, in der niedrigsten Dosierung und die kürzest mögliche Zeit eingenommen werden, wenn es notwendig ist. „Paracetamol wird in der Schwangerschaft als Schmerzmittel, etwa bei Infekten oder Fieber, aber als sicher angesehen“, so Seidl.
Der Tylenol-Hersteller Kenvue, dessen Aktie nach Trumps Äußerungen um 14 Prozent einbrach, teilte in einem ersten Statement ebenfalls mit, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Tylenol während der Schwangerschaft und Autismus beim Kind gäbe. „Die US-Arzneimittelbehörde FDA und führende medizinische Organisationen sind sich hinsichtlich der Sicherheit von Paracetamol, seiner Verwendung während der Schwangerschaft und der auf dem Etikett angegebenen Informationen einig“, heißt es in einer Erklärung des Unternehmens. Schwangeren werde geraten, vor der Einnahme von Medikamenten mit ihrem Arzt zu sprechen.
Das US-Gesundheitsministerium kommentierte dies nicht. Es ist unklar, ob Tylenol, wie kolportiert, in den USA verboten werden soll. Der umstrittene Gesundheitsminister und Impfskeptiker Kennedy hatte schon im April verkündet, sein Ziel sei es, bis September herauszufinden, was die „Autismus-Epidemie“, wie er es bezeichnete, verursacht habe. Noch steht der Bericht seines Ministeriums aus – er wird bis Monatsende erwartet.
Viele mögliche auslösende Faktoren für Autismus
„Autismus ist eine multifaktorielle Erkrankung – es gibt unterschiedliche Formen und Auslöser. Eine Rolle spielt Genetik, aber auch Umweltfaktoren, Infektionen, Fehlbildungen und Stoffwechselstörungen sind mögliche Einflussfaktoren“, sagt Seidl. Dass Impfungen Autismus auslösen, sei hingegen nicht wahr. „Es gibt keine Studien, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus belegen – im Gegenteil, es gibt viele Untersuchungen, die diesen Zusammenhang widerlegen“, erklärt Seidl.
Dass Autismus zugenommen hat, denkt der Kindermediziner nicht. „Die Awareness ist sicherlich viel größer und Autismus wird häufiger diagnostiziert. Kinder werden schon früher auf eine mögliche Symptomatik untersucht.“
Definition
Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich auf die Wahrnehmung, das Denken, die Kommunikation und das Verhalten von Menschen auswirkt. Charakteristisch sind Unterschiede in der sozialen Interaktion und Kommunikation, zum Beispiel beim Verstehen von Mimik, Gestik oder unausgesprochenen Regeln. Zudem zeigen viele autistische Menschen stark ausgeprägte Spezialinteressen, wiederholende Verhaltensmuster oder das Bedürfnis nach festen Routinen.
Häufig kommt auch eine besondere Wahrnehmung hinzu: Reize wie Geräusche, Licht oder Berührungen können intensiver, schwächer oder anders erlebt werden. Da sich Autismus sehr unterschiedlich äußert, spricht man von einem Spektrum. Er ist kein Defizit, sondern eine Form menschlicher Neurodiversität, die sowohl Herausforderungen als auch besondere Stärken mit sich bringen kann – etwa ein ausgeprägtes Detailbewusstsein, logisches Denken oder die Fähigkeit, sich intensiv mit Themen auseinanderzusetzen.
Häufigkeit
In Österreich sind Schätzungen zufolge rund 48.500 Kinder von Autismus betroffen, wobei Buben viermal häufiger die Diagnose erhalten als Mädchen.
Die von Kennedy früher geleitete impfkritische Organisation Children’s Health Defense postete in den vergangenen Tagen wiederholt zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Autismus und Paracetamol. Sie beruft sich auf eine im August veröffentlichte Studie, die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol durch schwangere Frauen und neurologische Entwicklungsstörungen wie Autismus bei ihren Kindern gibt. Die Forscher erklärten allerdings, es seien weitere Studien erforderlich. Dagegen lieferte eine im Jahr 2024 im Journal of the American Medical Association veröffentlichte Untersuchung von 2,4 Millionen Kindern in Schweden keine Belege für einen kausalen Zusammenhang.
Medikament gegen Autismus?
Aus dem Umfeld Kennedys heißt es zudem, dass eine Untersuchung des Medikaments Leucovorin eingeleitet werden solle. Dieses könne angeblich Autismus behandeln, heißt es in der Washington Post. Leucovorin, auch Folinsäure genannt, ist ein Arzneimittel, das eine biologisch aktive Form der Folsäure darstellt. Das heißt, es kann vom Körper direkt genutzt werden, ohne zuvor in Stoffwechselprodukte umgewandelt werden zu müssen. Es wird in Kombination mit manchen Krebsmedikamenten verabreicht, um gesunde Zellen zu schützen und Nebenwirkungen abzumildern. In bestimmten Fällen kann es auch bei Folatmangel oder bei seltenen Stoffwechselstörungen helfen, wenn andere Folsäurepräparate nicht ausreichend wirken.
In ersten medizinischen Untersuchungen, bei denen autistischen Kindern Leucovorin verabreicht wurde, konnten Verbesserungen in ihrer Fähigkeit zu sprechen und andere zu verstehen erzielt werden – dies befinde sich jedoch in einem frühen Stadium, heißt es in dem Bericht.
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