Stammzellen aus Milchzähnen: Kritik an fragwürdiger Autismus-Therapie

Kind mit teil ausgefallenen Milchzähnen lächelt.
Stammzellen aus Milchzähnen werden als Heilmittel bei Autismus und Diabetes gepriesen. Fachleute zweifeln auf Basis verfügbarer Daten stark an der Wirksamkeit des Verfahrens.

Unternehmen verdienen in Großbritannien womöglich gutes Geld mit der irreführenden Bewerbung angeblich therapeutisch wirksamer Stammzellen aus Milchzähnen. Zu diesem Schluss kommen Forschende in einer jetzt im British Medical Journal (BMJ) veröffentlichten Untersuchung, wie unter anderem der britische Guardian berichtet.

Bei der Einlagerung von Zahnstammzellen sammeln Eltern die ausgefallenen Milchzähne ihrer Kinder und schicken sie an ein Labor, wo Stammzellen aus dem Zahnmark (Zahnpulpa), das im Inneren des Zahnes liegende Bindegewebe, das reich an Blutgefäßen und Nervenfasern ist, gewonnen werden. Die dahinterstehenden Unternehmen behaupten, dass diese Stammzellen zur Behandlung von Krankheiten wie Diabetes und Autismus verwendet werden können.

Teures Verfahren, fehlende Wirkbelege

Laut dem neuen Bericht bieten in Großbritannien insgesamt drei Unternehmen die Einlagerung von Zahnstammzellen an. Kostenpunkt: Umgerechnet knapp über 2.000 Euro, zuzüglich rund 100 Euro jährlich für die fortwährende Lagerung des Materials. 

Auf der Website der Future Health Biobank heißt es etwa, dass bisher bereits 26 Zahnstammzellproben zu Therapiezwecken abgerufen wurden, darunter zur Behandlung von Autismus, Typ-1-Diabetes und zur Regeneration von Knieknorpelgewebe. Das Unternehmen Stem Protect erklärt online, dass Zahnstammzellen unter anderem für die Reparatur von Gaumenspalten sowie zur Behandlung von HIV/Aids verwendet werden können. Zudem heißt es: "Medizinische Studien zu Autismus und Zerebralparese befassen sich mit dem Mark im Inneren der Zähne und bieten Hoffnung für Hunderte von Erkrankungen." Ähnliches wurde auf der Website des Biotechnologiekonzerns BioEden kolportiert. 

Stammzellen besitzen die Eigenschaft, sich lebenslang erneuern zu können, alle Blutzellarten bilden und somit beschädigte ersetzen zu können. In angeblich besonders jungen, vitalen Stammzellen aus Zahnmark, aber etwa auch aus Nabelschnurblut, sehen manche spezielles Potenzial.

Allerdings sehen Fachleute das Konservieren von Stammzellen-Material, das etwa auch aus Nabelschnurblut entnommen werden kann, für den Eigengebrauch vielfach kritisch. "Es gibt keine ausreichenden Beweise und nur wenige Forschungsarbeiten zur Verwendung von Zahnmarkstammzellen zur Behandlung von Patienten", wird Jill Shepherd, Spezialistin für Stammzellbiologie an der Universität Kent, im BMJ-Bericht zitiert. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass Stammzellen, die aus den Milchzähnen eines Kindes gewonnen wurden, jemals zur Behandlung dieses Kindes benötigt werden könnten."

"Gefahr, dass Unternehmen Hoffnungen ausnutzen"

Auch Antonia Müller, Expertin für Stamm- und Immunzelltherapien an der MedUni Wien, äußerte sich vergangenes Jahr im KURIER-Interview kritisch über die Vermarktung von Nabelschnurblutstammzellen als mögliche Therapieoption für an Krebs oder anderen Erkrankungen leidende Kinder. Wissenschaftlich aussagekräftige Belege würden fehlen, Unternehmen lediglich Geld mit den Ängsten von Eltern machen. Zudem werde das gewonnene Material oft nicht sachgerecht eingelagert – mit dem Risiko einer möglichen Kontamination.

Am Potenzial von Stammzelltherapien generell wird weltweit intensiv geforscht. Laut Diabetesforscher Sufyan Hussain, der aktuell an einer großen globalen Studie dazu beteiligt ist, gibt es aber derzeit noch keine definitive Antwort auf die Frage nach der "optimalen Quelle für Stammzellen für zukünftige Diabetes-Therapien". Hussain weiter: "Wir bleiben zwar hoffnungsvoll, was zukünftige Behandlungsmethoden angeht. Aber es besteht auch die Gefahr, dass Unternehmen diese Hoffnungen ausnutzen, um zusätzliche Einnahmen zu generieren."

Tim Nicholls von der britischen Autismus-Gesellschaft bezeichnete es unterdessen als "empörend", dass Zahnstammzellenverfahren mit der Behauptung angepriesen werden, sie würden Autismus "heilen". Autismus sei "keine Krankheit, kann nicht behandelt werden und es gibt keine Heilung". Es sei "gefährlich und moralisch verwerflich, potenziell schutzbedürftige Menschen mit teuren Verfahren zu behandeln, die ihnen sogar schaden könnten". 

In einer Reaktion auf die Veröffentlichung im BMJ erklärte Future Health Biobank, dass man derzeit prüfe, wie die Informationen auf der Website dargestellt werden, um sicherzustellen, dass "die Leser klar zwischen Kundenerfahrungen und offiziell veröffentlichten klinischen Ergebnissen unterscheiden können."

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