Siesta mit Sinn: Hemmen Mittagsschläfchen den Hirnschwund?

Mit einem Mittagsschlaf verhindert man das natürliche Leistungstief. Forschungen zufolge könnte das Hirn auch langfristig profitieren.
Das Gehirn – die Steuerzentrale des menschlichen Körpers – besteht aus einer Unmenge miteinander verknüpfter Nervenzellen. Mit dem Alter nimmt die Hirnmasse kontinuierlich ab. So weit, so normal.
➤ Mehr dazu: Warum man nach dem Nickerchen oft schlapp ist
Im Vergleich zu Gesunden läuft dieser Prozess bei Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen, wie beispielsweise der Alzheimer-Demenz, rascher ab. Schon bisher ließen Forschungen vermuten, dass Schlafprobleme eine Rolle beim beschleunigten Hirnschwund spielen könnten. An diese Argumentationslinie knüpft eine aktuelle Untersuchung einer Forschungsgruppe des britischen University College London und der University of the Republic in Uruguay an.
Im Umkehrschluss untersuchten sie aber, wie sich kurze Schlafphasen tagsüber auf das Gehirn auswirken und ob durch die beliebten Nickerchen Veränderungen bemerkbar sind. Um Antworten auf ihre Thesen zu finden, warfen sie einen Blick ins menschliche Erbgut. Und: Sie weisen auch auf die Bedeutung der Länge des Nickerchens hin.
Konkret könnten die Erkenntnisse, so die Forschenden, "darauf hindeuten, dass regelmäßige Nickerchen einen gewissen Schutz vor Neurodegeneration bieten, indem sie schlechten Schlaf kompensieren".
Forschende stöbern Antworten im Erbgut auf
Für die Analysen, die Anfang dieser Woche in der Fachzeitschrift Sleep Health veröffentlicht wurden, werteten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter DNA-Proben aus der britischen "UK Biobank" aus. In der Sammlung befindet sich genetisches Datenmaterial, das Informationen über den Lebensstil und die Gesundheit von 500.000 Menschen im Alter von 40 bis 69 Jahren enthält.
In Summe nutzte das Team Daten von über 35.000 Menschen. Man filterte jene Personen heraus, die Gene in sich tragen, die mit einem Hang zu Nickerchen in Verbindung gebracht werden konnten. Infolge sah man sich an, ob diese genetische Veranlagung – rund ein Prozent der Bevölkerung hat diese in den Genen festgelegte Verhaltensanfälligkeit – mit einem größeren Hirnvolumen und anderen Aspekten der Hirngesundheit verknüpft war.
So war es möglich, den Einfluss des Nickerchens möglichst isoliert und damit unabhängig von Lebensstilfaktoren zu betrachten.
Im Alter gehen oft Nervenzellen und Zellfunktionen verloren. Ist dieser Schaden allerdings so groß, dass das Gehirn ihn nicht mehr kompensieren kann, sprechen Fachleute von einer neurodegenerativen Erkrankung.
Messungen zeigen Unterschiede beim Volumen
Zunächst schien sich die These der Forschungsgruppe nicht zu bestätigen: Personen, die angaben, nie oder selten ein Nickerchen zu machen, wiesen nämlich ein größeres Gesamtgehirnvolumen auf. Als die Forschenden allerdings die genetisch programmierte Vorliebe zum Nickerchen miteinbezogen, drehte sich der Zusammenhang um: Diese Nickerchen-affinen Personen wiesen ein größeres Hirnvolumen auf. Im Schnitt entsprach der Unterschied im Gehirnvolumen zwischen Mittagsschläfern und Nicht-Mittagsschläfern einer Alterung von 2,5 beziehungsweise 6,5 Jahren.
Das vorangegangene Ergebnis könnte, so die Vermutung der Forschenden, auf andere Faktoren zurückzuführen sein, die die Beziehung zwischen Nickerchen und Hirngröße mitgestalten.
"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass für einige Menschen kurze Nickerchen dazu beitragen, die Gesundheit des Gehirns im Alter zu erhalten – und das ist potenziell positiv für die Demenzprävention", wird Victoria Garfield, Hauptautorin und Expertin für Genetische Epidemiologie, in einer Aussendung zitiert.
Bei der Interpretation der Ergebnisse gibt sich Garfield bewusst zaghaft: Es gebe eine Fülle von Faktoren, die das Hirnvolumen beeinflussen und das Risiko für Demenzerkrankungen erhöhen. Ob sich die Vorteile eines Nickerchens auch bei Menschen ohne genetische Anlage entfalten, sei unklar und anhand der vorliegenden Daten nicht zu beantworten. Ebenso wie die exakte Länge des hirnfördernden Mittagsschlafs.
Mittagsschlaf darf nicht ausufern
Jedenfalls, auch darauf verweist Garfield, sollte sich der Mittagsschlaf in Grenzen halten: Rund 30 Minuten wirken sich Studien zufolge vorteilhaft aus. Valentina Paz, die ebenfalls an der Studie mitwirkte, präzisiert diese Empfehlung im Interview mit CNN: Ein "kurzes Nickerchen am frühen Nachmittag" könne all jenen "zugutekommen, die es brauchen".
Tara Spires-Jones, Leiterin des Centre for Discovery Brain Sciences an der Universität Edinburgh, begrüßt die Erkenntnisse im Interview mit dem Science Media Centre. Die Ergebnisse "zeigen eine kleine, aber signifikante Zunahme des Gehirnvolumens bei Menschen, die eine genetische Veranlagung für mehr Tagesschlaf haben". Sie gibt aber zu bedenken, dass die Studie nicht auf genauen Schlafmessungen, sondern vielmehr auf Selbstauskünften basiert.
Wichtig sei sie dennoch, "weil sie ergänzende Daten liefert, die zeigen, dass Schlaf wichtig für die Gesundheit des Gehirns ist".
Nickerchen können Warnhinweise sein
Der Tagschlaf kann bei Erwachsenen ein wichtiger Indikator für die Gesundheit sein. Ufert er aus, sollte man hellhörig werden.
Erst vergangenes Jahr legte eine Studie offen, dass Menschen, die häufig mittags schlafen, ein höheres Risiko für Bluthochdruck und Schlaganfälle haben. Im selben Jahr wurde eine Untersuchung veröffentlicht, die zeigte, dass ältere Erwachsene, die mindestens einmal am Tag oder mehr als eine Stunde pro Tag ein Nickerchen machen, ein um 40 Prozent höheres Alzheimer-Risiko haben.
Damit nicht genug: Häufige Nickerchen können auch Anzeichen für Schlafstörungen sein, die wiederum Adipositas und Diabetes befördern können – allesamt Risikofaktoren für Herzerkrankungen.
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