Julia Panknin ist Stress gewohnt. Zehn Jahre lang ist die 39-Jährige in einem großen Schweizer Medienhaus tätig, zuletzt in leitender Position. Sie habe ihr Leben lang auf der Überholspur gelebt - und das auch so gewollt, erzählt die gebürtige Münchnerin im Gespräch mit dem KURIER. Doch dann, im Mai 2022, kommt der Crash, Panknin brennt aus: "Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war der Spagat zwischen Kleinkind und Beruf."
Eltern und Stress, das ist keine neue Kombination. Doch der Anteil der Mütter und Väter, die sich massiv erschöpft und ausgebrannt fühlen, hat laut Fachleuten zugenommen. Eine Studie aus dem Jahr 2021, für die Erhebungen in 42 Ländern durchgeführt wurden, zeigt, dass etwa in den USA acht Prozent der Eltern an "Parental Burnout" oder "Eltern-Burnout" (siehe unten) leiden.
"Eltern brennen heute mehr aus. Mittlerweile geht die Forschung von fünf Prozent ’Eltern-Burnout’-Betroffenen in Industrieländern aus“, sagt auch die Psychologin Constanze Volkmann vom Leitungsteam der Fachsektion Kinder, Jugend und Familie des Berufsverbandes Österreichischer Psycholog:innen zum KURIER. Grund dafür seien "radikal veränderte Erziehungsbedingungen“: gestiegene Erwartungen an Eltern, mehr Individualismus und hoher Perfektionismus, weniger soziale Bindungen.
"Ein Versagen nach dem anderen"
Julia Panknin bezeichnet sich heute als "Mum Burnout Survivor". Auch sie stellt von Anfang an hohe Erwartungen an sich. Bei der Geburt ihrer Tochter hat sie zum ersten Mal das Gefühl, zu scheitern. "Nach 35 Stunden Wehen habe ich um eine PDA gebettelt, obwohl ich mir auf Anraten von Hebammen fest vorgenommen hatte, natürlich zu gebären. Und dann klappte auch das Stillen die ersten Tage nicht. Eine junge Elternschaft fühlt sich an wie ein Versagen nach dem anderen.“
In den Monaten danach dreht sich die Abwärtsspirale weiter: "Ich wollte alles perfekt machen und habe mich dabei völlig vergessen. Obwohl ich mich immer für progressiv gehalten habe, bin ich stark in alte Rollenmuster gefallen.“ Ein halbes Jahr bleibt Panknin, die kurz zuvor von Zürich aufs Land gezogen ist, nach der Geburt zu Hause. Sie schmeißt den Haushalt, übernimmt die Nachtschichten mit dem Baby, geht zum Kinderarzt, wechselt Windeln. Ihr Partner fährt ins Büro.
"War die Letzte, die ihr Kind abgeholt hat"
Dem Wiedereinstieg in den Job fiebert Panknin entgegen. Nach eineinhalb Jahren stockt sie auf Vollzeit auf, die Care-Arbeit bleibt bei ihr hängen. "Ich fuhr meine Tochter z.B. jeden Tag in den Kindergarten und holte sie auch wieder ab, weil mein Partner den längeren Arbeitsweg hatte und das Haus immer früh verlassen musste. Ich wollte aber nicht als diejenige im Büro gelten, die immer zu früh geht oder zu spät kommt. Gleichzeitig hatte ich solche Schuldgefühle, weil ich meist die Letzte war, die ihr Kind aus der Betreuung abholte."
Trotzdem will sie ihrem Arbeitgeber beweisen, dass sich an ihrer Leistungsfähigkeit nichts geändert hat, "dass ich beides schaffen kann, wie es uns von überall her eingetrichtert wird. Im Beruf habe ich Anerkennung und Erfolgserlebnisse bekommen, die es zu Hause nicht gab."
Die körperlichen Burnout-Symptome, die Panknin zu diesem Zeitpunkt längst hat, ignoriert sie. Sie leidet unter Schlafstörungen und chronischen Rücken- und Schulterschmerzen. Sie wacht häufig mit Herzrasen oder Panikattacken auf. "Selbst wenn meine Tochter nachts mal kurz geschlafen hat, war ich wach. Meine Gedanken haben nicht aufgehört, zu kreisen. Im Büro bin ich oft auf die Toilette gegangen, um Panikattacken wegzuatmen und dann ins nächste Meeting zu laufen."
Kündigung eingereicht
Als ihre Tochter zweieinhalb Jahre alt ist, kommt der Kippmoment: Panknin sitzt in einem Management-Meeting - und wieder einmal überziehen sie. "Ich habe auf die Uhr geschaut und gemerkt: Wenn ich jetzt nicht gehe, kann ich die Kleine nicht mehr pünktlich abholen. Ich kann aber auch nicht einfach aus dem Meeting mit dem CEO spazieren. Dann habe ich gemerkt, wie eine Panikattacke anrollt und bin einfach rausgestürmt. Draußen bin ich zusammengebrochen."
Die nächsten zwei Wochen, sagt sie, habe sie nur geweint. "Ich wusste nicht, dass man gleichzeitig schlafen und weinen kann." Dann reicht sie ihre Kündigung ein - und das Weinen hört auf. Als ihr bewusst wird, dass ihre Karriere futsch ist und sie sich neu orientieren muss, fällt sie in eine tiefe Depression. "In der dunkelsten Zeit wünschte ich mir, keine Mutter mehr sein zu müssen. Einen Job kann man kündigen, aber die Elternschaft nicht.“ Mehrere Monate verbringt sie daraufhin in einer Burnout-Klinik.
Von Tochter distanziert
Ein "Parental Burnout“ kennzeichnet sich durch vier Kernsymptome: intensive Erschöpfung, emotionale Distanzierung vom Kind, der Verlust der Erfüllung am Eltern sein. Und: "Man ist nicht mehr die Person ist, die man als Elternteil sein möchte oder mal gewesen ist“, erklärt Psychologin Volkmann.
Panknin beschreibt dies als ein Gefühl der Taubheit und Ohnmacht, das sie lange begleitete. "Am ersten Wochenende in der Burnout-Klinik, als ich zu meiner Tochter fuhr, hatte ich große Angst. Ich fühlte mich so taub. Am zweiten Wochenende habe ich mich schon riesig auf sie gefreut, und am Montag danach habe ich einer meiner Therapeutinnen in der Klinik fröhlich von dem Wochenende erzählt. Ihre Reaktion war: 'Ihre Tochter hat ja einen Namen! Bisher haben Sie immer nur das Kind gesagt.‘ Da habe ich gemerkt: Je besser es mir ging, desto kleiner wurde die Distanz. Als ich nach zwei Monaten aus der Klinik kam, war die Freude auf meine Tochter wieder ganz da."
Eigene Plattform gegründet
Eineinhalb Jahre braucht Panknin, um sich ganz von ihrem Burnout zu erholen. Im März 2024 gründet sie die Plattform "Mami brennt", mit der sie berufstätige Mütter im DACH-Raum vernetzen und unterstützen möchte. Das positive Feedback spornt sie an. "Ich bekomme regelmäßig liebevolle Nachrichten von Frauen, die mir nachfühlen können. Sie schätzen es, dass sie Hilfsangebote, Anlaufstellen und Informationen gebündelt an einem Ort finden. Denn wenn wir berufstätigen Mütter eines nicht haben, dann ist es Zeit."
Heute arbeitet Panknin als freie Journalistin, Referentin und Beraterin. "Ich bin nach wie vor ein Leistungsmensch, aber viel achtsamer", sagt sie. "Ich habe mir in der Heilung viel Zeit gelassen und wenn ich merke, dass es zu viel wird, verschiebe ich auch mal Meetings und baue mir aktiv Erholungstage ein." Die Zeit mit ihrer Tochter in alternierender Obhut genießt sie. "Natürlich gibt es auch heute noch Tage, die nicht nur schön sind. Aber dieses Taubheitsgefühl hatte ich nie wieder. Ganz im Gegenteil. Ich liebe meine Tochter mehr als alles andere."
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