US-Gelder für mRNA-Impfstoffe gestrichen: "Extrem kurzsichtig"

Eine Frau erhält eine Covid-19-Schutzimpfung: Weltweit wurden mehr als 13 Milliarden Impfdosen verabreicht, in Europa und den USA vor allem mRNA-Impfstoffe
Die Entscheidung von US-Minister Robert F. Kennedy löst heftige Proteste aus. Auch die Forschung an Krebsimpfstoffen könnte leiden.

2023 gab es für die Entwicklung der sogenannten mRNA-Technologie für Impfstoffe den Medizinnobelpreis,  jetzt kommt es für die Forschung auf diesem Gebiet zu einem massiven Rückschlag: US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy gab bekannt , nahezu 500 Millionen US-Dollar an Bundesmitteln seiner biomedizinischen Forschungsabteilung für die Entwicklung neuer mRNA-Impfstoffe gegen Infektionen der Atemwege mit Erregern wie Corona, Influenza und Vogelgrippe (H5N1) zu streichen. Eine seiner Begründungen: Daten würden zeigen,  dass diese Impfstoffe keinen wirksamen Schutz vor Infektionen der oberen Atemwege wie COVID und Grippe bieten. 

22 Forschungsprojekte sind davon betroffen. Bestehende Verträge werden beendet, bereits vorgenommene Ausschreibungen annoulliert. Laut Mitteilung des US-Gesundheitsministeriums sind auch einige europäische Firmen davon betroffen. Im Gegensatz dazu hat während der Pandemie das US-Gesundheitsministerium Milliardenbeträge an US-Dollar für die Entwicklung von Covid-Impfstoffen bereit gestellt - besonders auch für die mRNA-Impfstoffe.

Bereits im Mai hat das US-Gesundheitsministerium hat einen Vertrag zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen die Vogelgrippe mit dem US-Pharmakonzern Moderna aufgekündigt.

Heftige Kritik an der Streichung der finanziellen Mittel kommt von zahlreichen US-Expertinnen und Experten. Aber auch heimische Experten äußern sich sehr skeptisch. 

Impfstoff-Experte Florian Krammer: „Die Entscheidung ist nicht besonders smart“

„Die Entscheidung, Investitionen in die Weiterentwicklung von mRNA-Technologien zurückzunehmen, ist extrem kurzsichtig und nicht besonders smart“, schreibt der österreichische Spezialist für die Entwicklung von Impfstoffen, Florian Krammer, per E-Mail auf eine KURIER-Anfrage. Krammer ist an der an der MedUni Wien und der Icahn School of Medicine in New York tätig und leitet auch das Ludwig Boltzmann Institut für Wissenschaftskommunikation und Pandemievorsorge.

„Es ging ja hier nicht nur um Impfstoffe, auch therapeutische Ansätze mit anderen RNA-Technologien sind von den Kürzungen betroffen. Diese Kürzungen haben Auswirkungen über die Impfstoffentwicklung hinaus.“   Auch einer der Kollaborationspartner von Krammer ist betroffen.

Es stimme, dass in den Muskel injizierte Impfstoffe keine optimale Immunität in den oberen Atemwegen aufbauen, schreibt Krammer: „Sie schützen zwar oft sehr gut gegen Erkrankung, aber weniger gut gegen Infektionen per se.“ Aber das betreffe nicht nur mRNA-Impfstoffe. Für ihn sei dieses Argument von Kennedy „eine Ausrede. Ich glaube, die Entscheidung war eine ideologische. Gerade die Weiterentwicklung der mRNA-Technologie, auch hin zu Impfungen, die optimale Immunität in den oberen Atemwegen aufbauen, wird hier behindert.“

U-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy hält mRNA-Impfstoffe nicht wirksam gegen Atemwegsinfektionen wie Covid und Influenza. Mit dem Thema befasste Wissenschafter reagieren entsetzt.

U-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy hält mRNA-Impfstoffe für nicht wirksam gegen Atemwegsinfektionen wie Covid und Influenza. Mit dem Thema befasste Wissenschafter reagieren auf diese Aussage entsetzt.

Auch der Infektiologe Herwig Kollaritsch, Mitglied des Nationalen Impfgremiums in Österreich, sieht das so: "Auch bei anderen injizierten Impfstoffen ist es so, dass die Antikörper-Konzentration in den Schleimhäuten zu gering ist, um eine Infektion zu blockieren. Aber wenn die betroffene Person infiziert ist, kann das Virus früher abgefangen werden und können die Folgen einer Infektion verringert werden." Schwere Verläufe werden dadurch deutlich reduziert. 

Offiziell soll die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Krebserkrankungen von den Streichungen nicht betroffen sein. Dazu Impfstoffforscher Florian Krammer: „Naja, sicher ist das ganze Feld betroffen. Weniger Investition heißt weniger Innovation. Und es ist ja nicht so, dass die Technologien hier unabhängig sind. Wenn es auf der Seite von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten zu einer Innovation kommt, hilft das bei Krebsimpfstoffen auch weiter. Wenn man da auf einer Seite kürzt, kann das die andere Seite auch treffen. Es sind ja die gleichen Firmen und Unis, die an diesen Dingen arbeiten. Ich bin nur froh, dass wir in Europa auch einige Innovationsführer in dem Gebiet haben, die hier nicht betroffen sind.“

mRNA-Impfstoffe: Diskussion um Virus-Mutationen

In einem Video behauptet Kennedy auch, dass bereits eine Mutation eines Virus einen mRNA-Impfstoff unwirksam mache. Dadurch würden die Impfstoffe neue Mutationen begünstigen und Pandemien verlängern, weil das Virus ständig mutiere, um dem schützenden Effekt des Impfstoffes zu entkommen. Deshalb würden mRNA-Impfstoffe in Bezug auf dies Erreger von Atemwegserkrankungen mehr Risiken als Vorteile mit sich bringen.

Das Bild zeigt den Impfstoffforscher und Viren-Spezialisten Florian Krammer.

Impfstoffforscher und Viren-Spezialist Florian Krammer.

"Das ist natürlich falsch", schreibt Krammer. "Interessanterweise wurde auch ein Projekt terminiert, bei dem es darum ging eine Therapie zu entwickeln, die an konservierten Sequenzen der Viren ansetzt" - also an einer Struktur, die von Mutationen nicht betroffen ist und sich nicht verändert. 

Auch Infektiologe Kollaritsch weist das Argument mit den Mutationen zurück: "Gerade bei Covid-19 stimmt das nicht. Wir wissen heute, dass es eine zwar stetige, aber nur langsame Weiterentwicklung gibt. Große Überraschungen sind in den vergangenen drei Jahren ausgeblieben." 

Infektiologe Kollaritsch: "mRNA-Technologie ist eine echte Revolution"

„Die mRNA-Technologie ist die einzige Entwicklung der vergangenen 20 Jahre, von der wir sagen können, dass sie eine echte Revolution in der Impfstoffforschung darstellt“, sagt der Infektiologe Herwig Kollaritsch.. „Die Covid-Impfstoffe sind jene, die weltweit am allermeisten verimpft wurden, und das in so kurzer Zeit. Wir wissen heute, worauf man dabei achten muss. Jetzt, wo es einen so reichen Erfahrungsschatz gibt, diese Entscheidung zu treffen, ist mir völlig unverständlich.“

Auf die mRNA-Technologie werde man in Zukunft nicht verzichten können: "Die Reaktion des Immunsystems auf diese Impfstoffe ist breiter als auf andere, weil auch das angeborene Immunsystem sehr gut darauf anspricht." Und es gebe noch einen entscheidenden Vorteil: "Ein mRNA-Impfstoff kann innerhalb von acht Wochen an neue Virusvarianten angepasst werden. Bei konventionellen Impfstoffen brauchen wir dafür sechs Monate."

„Eine Ausrede, um eine ideologische Entscheidung zu rechtfertigen“

Das US-Gesundheitsministerium will jetzt andere Technologien verstärkt fördern, etwa spezielle Totimpfstoffe mit abgetöteten Erregern.  Krammer: „Es ist immer gut, viele Technologien zur Verfügung zu haben und nicht nur auf eine zu setzen. Und nur weil etwas alt ist, ist es nicht schlecht. Man muss aber sagen, dass die anderen Technologien ja sowieso auch unterstützt werden. Aber ich halte diese Argumentation einfach für eine Ausrede, um eine ideologische Entscheidung zu rechtfertigen.“

Reaktionen aus den USA: "Ein Fehler, der mit Menschenleben bezahlt werden wird"

Bestürzt äußern sich zahlreiche US-Spezialistinnen und Spezialisten. "Mit dieser völlig falschen Aussage zeigt der Minister, dass er sich weiterhin für sein langjähriges Ziel einsetzt, Zweifel an allen Impfstoffen zu säen“, erwiderte Jennifer Nuzzo, Direktorin des Pandemic Center an der Brown University School of Public Health, in der New York Times. "Hätten wir diese lebensrettenden mRNA-Impfstoffe nicht zum Schutz vor schweren Erkrankungen eingesetzt, hätte es Millionen weiterer Covid-Todesfälle gegeben", sagte sie.

"Das ist ein schlechter Tag für die Wissenschaft", wird etwa der US-Immunologe Scott Hensley von der Universität von Pennsylvania in der New York Times zitiert. Er hat an der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Influenza gearbeitet.

Mit diesem Schritt untergrabe das Ministerium "unsere Fähigkeit, künftigen biologischen Bedrohungen schnell entgegenzuwirken“, sagte der Influenza-Experte Rick Bright.

"Wir schwächen unsere Frontlinie im Kampf gegen schnell mutierende Krankheitserreger – ein großer strategischer Fehler, der in Krisenzeiten mit Menschenleben bezahlt werden wird.“

Im Jahr 2023 ging der Medizin-Nobelpreis an eine Forscherin und einen Forscher, die maßgebliche Beiträge zur Entwicklung der mRNA-Technologie geleistet haben: 2023 wurden zwei Wissenschaftler, die maßgeblich an der mRNA-Entwicklung beteiligt waren, die ungarisch-US-amerikanische Biochemikerin Katalin Karikó und der US-Immunologe Drew Weissmann.

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