Morgenrituale: Was Zitrone, Öl und Essig bringen

Innerhalb einer Woche soll es mehr Kalorien verbrennen, das Immunsystem stärken, die Haut glätten und die Verdauung ankurbeln: In den sozialen Medien propagieren Influencer derzeit gehäuft warmes Zitronenwasser als wahres Wundermittel.
Damit reiht sich die beliebte Zitrusfrucht in eine lange Serie von plötzlich zum Trend avancierten Lebensmitteln ein. Wissenschaftliche Belege fehlen dabei meist. Andere Beispiele dafür gibt es viele: zuletzt etwa Apfelessig auf nüchternen Magen oder morgendliches Ölziehen. Zwei Expertinnen erklären, wie solche Trends einzuschätzen sind.
Kaum Unterversorgung
Ernährungswissenschafterin Sabine Bisovsky betont vorweg: „Ja, Zitrone enthält viel Vitamin C und ja, Vitamin C ist wichtig für ein fittes Immunsystem.“ Allerdings sei es jenes Vitamin, mit dem kaum jemand unterversorgt sei. „Es kommt in sehr vielen Lebensmitteln, vor allem Obst und Gemüse, in natürlicher Form vor. Ich empfehle daher eine möglichst bunte Vielfalt am Teller.“ Ebenso ist das Vitamin ein Lebensmittel-Zusatzstoff. „Wurstprodukte oder Marmeladen werden oft mit Ascorbinsäure, also Vitamin C, versetzt, um sie haltbarer zu machen oder ihre ursprüngliche Farbe zu erhalten.“
Ein Vorteil von Zitronenwasser ist immerhin eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr. Das sei nach der Nacht wichtig, sagt etwa Emily Ho, Ernährungsexpertin an der Oregon State University, in der New York Times.
Säure hat Einfluss
Der Organismus braucht Flüssigkeit, um Abfallstoffe auszuscheiden. Bisovsky ergänzt: „Dass Haut und Verdauung verbessert werden, ist ebenso auf die erhöhte Flüssigkeitszufuhr zurückzuführen.“ Zitronenwasser brauche man dafür aber nicht. „Es funktioniert genauso gut mit reinem Wasser.“
Ob die Säure im Zitronensaft eine schnellere Entleerung des Magens fördert, sei allerdings nicht ausreichend durch Studien belegt, sagt Wissenschafterin Ho. Ebenso fehlten stichhaltige Beweise, dass heißes Zitronenwasser eine messbare Wirkung auf das Gewicht oder den Stoffwechsel hat.
Wesentlich klarer ist hingegen, dass Zitronensaft manchmal sogar mehr schaden als nutzen kann, wie Bisovsky sagt. „Die Säure kann den Zahnschmelz schädigen. Besonders Menschen mit empfindlichen Zahnhälsen tun gut daran, sehr saure Getränke zu meiden.“ Zudem weicht die Säure den Zahnschmelz. Putzt man direkt nach dem Trinken von Zitronenwasser die Zähne, wird der schützende Zahnschmelz buchstäblich weggeschrubbt.“
Wenig Einfluss von Essig
Auch Apfelessig gilt als fester Bestandteil vieler Morgenroutinen und soll Verdauung, Blutzucker und sogar die Darmflora positiv beeinflussen. Diätologin Elisabeth Saathen ordnet den Hype kritisch ein. Besonders die Einnahme auf nüchternen Magen. Zwar zeigen einzelne Studien kleine Effekte auf Gewicht, Blutzucker und Cholesterin, doch die Datenlage ist begrenzt und nicht auf die Allgemeinbevölkerung übertragbar.
Warum der Trend dennoch so beliebt ist, erklärt Saathen mit dem „natürlichen“ Image des Essigs, seiner einfachen Anwendung und dem Gefühl, dem Körper unkompliziert etwas Gutes zu tun – auch ohne klare wissenschaftliche Grundlage. Belegt sind milde Effekte: eine leicht verbesserte Insulinempfindlichkeit nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten und ein gesteigertes Sättigungsgefühl. Der Stoffwechsel selbst wird jedoch kaum beeinflusst.
Ölziehen: Ja und nein
Einen festen Platz in der morgendlichen Routine hat das sogenannte „Ölziehen“. Das heißt: einen Esslöffel Öl etwa fünf bis 20 Minuten im Mund zu spülen.
Dabei gilt: Kokosöl ist wegen seiner Laurinsäure leicht antibakteriell wirksam, Alternativen dazu sind Sesam- oder Sonnenblumenöl. Im Prinzip funktionieren alle Öle mit gewisser Zähflüssigkeit. Wichtig ist: Geschmack und Verträglichkeit sollten passen. „Für eine echte Entgiftung durch Öl im Mund gibt es keinerlei Beweise“, sagt Saathen. Die Studienlage sei dünn, die wenigen vorhandenen Untersuchungen meist klein. Zwar könne das Spülen mit Öl mechanisch Plaque lösen und Bakterien im Mund binden. Das erkläre, warum manche Menschen von besserem Atem oder weniger Zahnfleischproblemen berichten. Die Wirkung beschränke sich aber auf den Mundraum.
Eine systemische Entgiftung, wie häufig behauptet, sei aus wissenschaftlicher Sicht „nicht plausibel“.
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