Mondscheinkrankheit XP: Wenn Licht lebensbedrohlich ist

Spazieren gehen, am Spielplatz spielen oder im eigenen Garten herumtollen – für die dreijährige Leonie aus Tirol geht das nur mit Schutzkleidung, Sonnenbrille und Gesichtsschild. Und auch in Innenräumen messen ihre Eltern stets den UV-Anteil der Beleuchtung. Das Mädchen leidet unter Xeroderma pigmentosa, kurz XP, einer seltenen Krankheit, bei der die Haut extrem empfindlich auf UV-Licht reagiert. "Leonie hatte schon als Baby mit zwei Monaten immer wieder ganz starke Sonnenbrände und das im März. Unser erster Weg führte zu Kinderärzten und Hautärzten aber keiner konnte helfen. Es gab sogar die Vermutung, dass wir sie selber verbrüht hätten", erzählt Mutter Bianca Kröll.
Zusätzlich zu den Sonnenbränden hatte das Mädchen kolikartige Bauchkrämpfe, einmal so stark, dass die Familie in die Notaufnahme der Klinik Innsbruck kam. Nach vielen Untersuchungen zeigte erst ein Gentest am Expertisezentrum für genetisch verursachte Hauterkrankungen der Hautklinik in Innsbruck im Dezember 2020, dass Leonie XP hat. Da Betroffene nur geschützt sind, wenn die Sonne nicht scheint, wird die vererbbare Hautkrankheit auch Mondscheinkrankheit genannt.
Acht Betroffene in Österreich
Für die heute 27-Jährige und ihren Mann war die Diagnose zunächst ein Schock. "Wir hatten keine Vorstellung, was lebenslanger UV-Schutz bedeutet, waren zuerst überfordert. Sofort wie wir heimgekommen sind, habe ich Selbsthilfegruppen kontaktiert, die uns vor allem in der ersten Zeit sehr unterstützt haben." Etwa ein Kind von einer Million Geburten ist betroffen. In Österreich gibt es insgesamt nur acht bekannte Personen mit XP, in der gesamten EU sind es etwa 500.
Für Leonies Eltern und ihre heute fünfjährige Schwester führte die Diagnose zu einer großen Umstellung. Zusätzlich zu Schutzkleidung für Leonie mussten alle Fenster im Haus der Familie mit Folie abgeklebt werden. Auch Leuchtmittel können für das Mädchen problematisch sein, außer LED-Lampen. "Auch, wenn wir abends rausgehen, müssen wir an alles denken, etwa das Flutlicht beim Fußballplatz, an dem wir vorbeigehen. Anfangs dachten wir, wir können als Familie nichts mehr unternehmen, aber wir haben uns inzwischen so eingelebt, dass es relativ normal ist", erzählt Kröll.
Möglich macht das eine große Unterstützung durch Familie, Freunde und Spenden, die kostenintensive Schutzkleidung und einen Zubau ermöglichten. "Wir konnten ein kleines Spieleparadies für Leonie bauen, mit Trampolin, Turnmöglichkeiten und einem kleinen aufblasbaren Schwimmbad, da sie ja nicht im Garten spielen kann."

Doz.Gruber und Prof. Karall von der Klinik Innsbruck mit Leonie und ihrer Mutter.
Oft kräftezehrend
Leonie kann eine Kinderkrippe in der Nachbargemeinde besuchen, auch dort wurden alle Fenster mit UV-Folie ausgestattet und das Mädchen wird von einer Stützkraft begleitet. "Wir haben großes Glück, das ist nicht selbstverständlich. Bei seltenen Erkrankungen ist vieles ein Kampf und sehr kräftezehrend. Es ist mir daher ein großes Anliegen, dass XP bekannter wird."
Oft brauche es Erklärungen und Rechtfertigungen, weil viele die Krankheit nicht kennen. So war es etwa schwierig für die Familie einen Behindertenparkausweis zu bekommen. Dabei ging es nicht darum, dass es bequemer ist, sondern darum die Wege zwischen Parkplätzen und Gebäude möglichst kurz zu halten, um Leonie möglichst wenig UV-Strahlung auszusetzen. "Ich wünsche mir, dass man, wenn man Menschen sieht, die nicht der Norm entsprechen, sie nicht immer vorverurteilt. Vor allem in der Pandemie hatten wir Diskussionen, dass wir Corona-Fanatiker sind, weil unser Kind ein Gesichtsschild trägt. Das war ganz schwer für uns."
Seit Leonie nahezu zu 100 Prozent vor UV-Strahlung geschützt wird, hatte sie keine Sonnenbrände mehr. Sie braucht aber viele Therapien, lernt gerade unterstützte Kommunikation, eine Vorstufe der Gebärdensprache. Betreut wird die Familie am Zentrum für Seltene Krankheiten in Innsbruck (ZSKI).
Bianca Kröll hofft, dass Leonie sich gut weiterentwickelt. "Sie hat schon viele Sachen erlernt, wo vorher nicht sicher war, ob das möglich ist. Mein Ziel ist, dass Leonie so normal leben kann wie möglich, dass sie Freunde findet und ein Miteinander hat", so Kröll.
Ein Krankheitsbild gilt dann als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Einwohnern an dieser Krankheit leiden. Hinter dem Begriff "Seltene Erkrankungen" verbergen sich ca. 7.000 unterschiedliche Krankheiten, die in ihrer Gesamtheit etwa sieben Prozent der Bevölkerung betreffen.
Xeroderma pigmentosum ist nicht heilbar. Eine möglichst frühzeitige Diagnose der Krankheit ist entscheidend, um ehest möglich mit maximalen Lichtschutzmaßnahmen zu beginnen. Ein Aufenthalt bei Tageslicht muss vermieden werden. Kinder müssen UV-Schutzkleidung und Sonnenbrille tragen und Fensterscheiben sollten mit speziellen Schutzfolien versehen werden. Um verdächtige Hautverletzungen zu erkennen und frühzeitig entfernen zu können, sind engmaschige hautärztliche Kontrollen erforderlich. Diese sind für den Verlauf der Erkrankung entscheidend.
Anlaufstelle
Aufgrund der Seltenheit der Krankheitsbilder sind Betroffene und ihre Angehörigen häufig mit besonderen Problemlagen konfrontiert. Der Nationale Aktionsplan für Seltene Erkrankungen (NAP.se) soll für die Betroffenen eine bessere Versorgung ermöglichen. Am Tag der Seltenen Erkrankungen (28. Februar) wird auf diese Problematik aufmerksam gemacht.
Eine Anlaufstelle für Betroffene oder solchen mit unklarer Diagnose und dem Verdacht, dass eine Seltene Erkrankung vorliegt, ist das Zentrum für Seltene Krankheiten in Innsbruck (ZSKI). Ein interdisziplinäres Team trifft sich einmal im Monat, um sich über schwer diagnostizierbare Fälle auszutauschen und auch mal über den Tellerrand zu blicken. Erkenntnisse über die Ursachen der zu 80 Prozent genetisch bedingten Erkrankungen sind ein wichtiger Schritt für die Verbesserung von Therapiemöglichkeiten und Prognosen. "Für Menschen, die eine Seltene Krankheit haben, kommt zu der häufig erheblichen Belastung durch die Grunderkrankung das Fehlen von Spezialwissen über Krankheitsverläufe und Therapiemöglichkeiten“, erklärte Daniela Karall, Oberärztin an der Kinderklinik und Gründungsmitglied des Zentrums für Seltene Krankheiten Innsbruck anlässlich einer Pressekonferenz zum Tag der Seltenen Erkrankungen am Dienstag. "Auch der Austausch mit Menschen, die Ähnliches verarbeiten müssen, fehlt oft."
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