Ein Bub möchte so gerne in die Schule - doch ohne Hilfe geht das nicht
„Na so was! “, sagt der 6-jährige Alex* und hält seine Hände in die Höhe. Dabei lächelt er mit seinem unwiderstehlichen Charme das Gegenüber an. Er strahlt so viel Lebensfreude aus – und das, obwohl das Leben ihm bisher nicht immer gut gesonnen war.
Alex ist mit einer spinalen Muskelatrophie zur Welt gekommen – eine von 8.000 seltenen Erkrankungen (siehe rechts). Für den Buben heißt das, dass er seine Muskeln fast nicht bewegen kann. Immerhin schafft er es gerade noch, die Unterarme in die Höhe zu heben – will er auch die Oberarme etwas höher strecken, dann braucht er die Hilfe der Mutter.
Der größte Wunsch des Buben: Er will in die Schule. Was ihn hindert: Seine Mutter müsste für die Pflege einen Selbstbehalt von 900 Euro pro Monat bezahlen, die sie aber nicht hat. „Das Pflegegeld benötige ich für die alltäglichen Dinge. Also für Windeln, Vitamine oder den Physiotherapeuten – und für das Heizen der Wohnung. Alex verträgt keine Kälte“, erzählt seine Mutter.
Alex war schon einmal für ein paar Tage in der Schule – mit seinem Humor hat er sofort die Herzen der Mitschüler und der Lehrerin erobert. „Dort braucht er eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung: Die Nahrung erhält er über eine Sonde. Wenn er in der Schule länger sitzt, braucht er für seine geschwächten Atemmuskeln Unterstützung von einem Beatmungsgerät über eine Nasenmaske. Zudem muss man ihm beim Abhusten helfen“, sagt seine Mutter, selbst Krankenschwester.
Nur mit Avatar
Derzeit lernt Alex zu Hause. Alleine. Nur ein Avatar ermöglicht es ihm, am Unterricht teilzuhaben. Wie eifrig er beim Lernen ist, davon zeugen seine Hefte – so schön schreiben nur wenige Kinder in seinem Alter. Allerdings muss seine Mutter ihm dabei immer wieder den Tisch so zurechtrücken, dass er den Zeilen folgen kann.
Kinderpulmologe Andreas van Egmond-Fröhlich ist sein behandelnder Arzt. „Der Bub ist kein Einzelfall“, weiß er aus Erfahrung. „Leider gibt es für Kinder wie Alex, die von der Technologie abhängig sind und in der Schule Assistenz brauchen, keine gesetzliche Regelung, wer die Kosten übernimmt.“
Das sieht man auch bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) so. Auf KURIER-Anfrage zu dem Fall antwortete diese: „Die Zuständigkeiten sind komplex und liegen zwischen Bund, Land und Sozialversicherung. Von den einzelnen Organisationen können nur bestimmte Kosten übernommen werden – und das oft auch nur über einen gewissen Zeitraum.“
In der Praxis heißt das: Niemand ist so richtig zuständig, und die Betroffenen haben das Gefühl, mit ihrem Problem allein gelassen zu werden. Aus Sicht der ÖGK sei es deshalb notwendig, dass es für solche Fälle eine Anlaufstelle gibt, die die Finanzierung für das jeweilige Kind regelt. Bis heute gibt es eine derartige Stelle aber nicht.
Recht auf Schule
Andreas van Egmond-Fröhlich fordert, dass endlich eine Regelung geschaffen wird: „Es sind ja gar nicht so viele Kinder, die das betrifft. Deshalb verstehe ich nicht, dass man da nicht einmal eine Lösung findet. Wenn man bedenkt, wie viel die Gesellschaft in die Kosten für die medizinische Behandlung dieser Kinder investiert, sollten die Beträge, die für die Betreuung in der Schule nötig sind, auch drin sein.“ Für die Assistenz brauche es nämlich nicht einmal eine ausgebildete Pflegekraft, ist der Arzt überzeugt. Diese würde man aufgrund des Personalmangels auch gar nicht so einfach bekommen. „Wenn man aber eine Person einen Monat einschult, dann kann sie den Buben während der Schule sicher gut betreuen.“
Der Bub habe schließlich ein Recht auf Schule – „es gibt doch die Schulpflicht“, stellt er fest. Außerdem garantiere die UN-Behindertenrechtskonvention, die Österreich unterschrieben hat, dass Kinder mit Behinderungen ein Recht auf Bildung und auf Teilhabe haben. In Italien löse man das, indem solchen Kindern per Gesetz eine persönliche Assistenz zugestanden wird, und in Deutschland komme die Krankenkasse dafür auf. In Österreich „bemüht sich die ÖGK im Rahmen unserer Möglichkeiten, einen guten Weg zu finden“ so die Auskunft der Kasse. Verhandelt wird in der Sache mit dem Fonds Soziales Wien, der vonseiten der Länder für die Assistenz in der Schule von Kindern mit Behinderung zuständig ist.
Bis dahin muss Alex aber noch warten. Dabei ginge er so gerne in die Schule.
* Name geändert
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