Dem Reizdarm mit einer Spitzpistole zu Leibe rücken

Eine Frau hat ein Symbolbild des Darms auf ihrem Bauch aufgezeichnet.
Wiener Forscher kamen dem Syndrom auf die Spur. Es tritt meist in Verbindung mit bakteriellen Biofilmen auf. Ein Ansatz zur Behandlung.

Reizdarm oder nicht? Bisher konnte das Syndrom nur im Ausschlussverfahren diagnostiziert werden. Nun konnten Wiener Forscher nachweisen, dass sich das Problem auch am Biom festmachen lässt. Demnach liegt ein Reizdarm zumeist dann vor, wenn im Darm endoskopisch sichtbare bakterielle Biofilme vorkommen.

Medikamente oder Transplantation schaffen Ungleichgewicht

Jede sechste Frau und jeder zwölfte Mann in Österreich leiden unter einem Reizdarmsyndrom, das ist knapp eine Million Patienten. Betroffen von den bakteriellen Biofilmen sind vor allem Menschen, die ein Ungleichgewicht der Bakterienflora im Darm aufweisen und im Verlauf ihres bisherigen Lebens viele Medikamente eingenommen hatten.

Eine Untergruppe betrifft auch Patienten, die bereits Organtransplantationen hinter sich haben. "Bestimmte Medikamente, wie Protonenpumpeninhibitoren, können die Balance des bakteriellen Ökosystems stören. Die Bakterien geraten in einen Überlebenskampf. Um diesen Stress besser auszuhalten, schließen sie sich sicherheitshalber zusammen und bilden Biofilme, eine Art Schutzraum, der sie gegenüber Antibiotika und anderen Umweltgiften resistent macht", erläutert Studienleiter Christoph Gasche, Leiter des Labors für Molekulare Gastroenterologie an der Med-Uni Wien.

Revolutionäre Erkenntnis

Insgesamt wurden in der Studie mehr als 1.000 Darmspiegelungen durchgeführt. Zwei Drittel jener Personen, die Symptome eines Reizdarms zeigten, hatten Biofilme im Dünn- und oder Dickdarm. Aber auch bei einem Drittel der Patienten mit Colitis ulzerosa finden sich diese mukosalen Biofilme.

Diese bakterielle Matrix, die netzförmig oder auch flächig auftreten kann, klebt wie eine dünne Schicht auf der Darm-Schleimhaut - vergleichbar in etwa mit Zahnbelag bei Karies - und beeinträchtigt deren Funktionen und damit auch jene des Darms stark. "Bisher hatte man bei den Untersuchungen immer angenommen, dass es sich bei diesem klebrigen Film um Rückstände von Verunreinigungen des Darms handelt, die schwer zu beseitigen waren", sagt Gasche. "Jetzt konnten wir aber nachweisen, dass hier die Matrix von Bakterien klebt." Für die Hauptautoren der Studie, Maximilian Baumgartner und Michaela Lang, eine revolutionäre Entdeckung, gleichzusetzen "mit der Entdeckung des Stäbchenbakteriums Helicobacter pylori, die das Magenmilieu nachhaltig verändern".

Spülung macht eventuell beschwerdefrei

In vielen Fällen können diese Biofilme im Dickdarm mit einer endoskopischen "Spritzpistole" weggespült werden. Zukünftige Studien sollen zeigen, ob die Betroffenen dadurch beschwerdefrei werden. Biofilme im Dünndarm, die auch häufig vorkommen, könnten damit allerdings noch nicht beseitigt werden. Weitere Forschungen der MedUni-Wien-Experten, wie man auf Basis der nun gewonnenen Erkenntnisse über die Biofilme diese künftig vielleicht generell entfernen oder sogar vermeiden kann, laufen bereits.

Die aktuelle Studie entstand in Zusammenarbeit von MedUni-Wien, Universität Wien sowie der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Sie wurde im Fach-Journal "Gastroenterology" publiziert.

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