Neuer Ansatz in der Migräne-Therapie: Arznei könnte frühe Symptome mildern

Mehr als eine Milliarde Menschen leiden weltweit an Migräne.
Zusammenfassung
- Ubrogepant könnte nicht nur Migräne, sondern auch Vorboten-Symptome wie Lichtempfindlichkeit und Nackenbeschwerden lindern.
- In einer Studie zeigte Ubrogepant bessere Ergebnisse als ein Placebo bei der Linderung dieser Prodromalbeschwerden.
- Expertinnen und Experten sehen in Ubrogepant eine vielversprechende Substanz für die Akuttherapie und potenzielle Therapieerweiterung in der Migräne-Frühphase.
Heftige, vielfach einseitige und in Kombination mit Licht, Geräuschen oder intensiven Gerüchen kaum aushaltbare Kopfschmerzen: Migräne kann das Leben Betroffener massiv beeinträchtigen. Die anfallsartigen Schmerzen kommen häufig aus dem Nichts.
Müdigkeit und Denkschwierigkeiten als Vorboten der Migräne
Bei rund einem Drittel der Betroffenen kündigt sich eine Attacke durch Vorboten-Symptome an. Sie können bis zu zwei Tage vor der tatsächlichen Migräne in der sogenannten Prodromalphase aufkommen. Solche Vorläufer sind etwa Müdigkeit, erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen, Nackenschmerzen oder Konzentrations- und Denkschwierigkeiten. Auch Kreislaufbeschwerden können auftauchen. Darüber hinaus kann bis zu einer Stunde vor dem Kopfschmerz-Anfall eine Aura auftreten: Hierbei leiden die Betroffenen zum Beispiel unter Seh- oder Sprechstörungen.
Eine wirksame Behandlung für Beschwerden in dieser Vorphase gibt es aktuell nicht. In einer neuen Studie zeigte nun das noch recht neue Migräne-Medikament Ubrogepant vielversprechende Effekte. In den USA ist Ubrogepant für die Akutbehandlung der Migräne bereits zugelassen, in Europa derzeit noch nicht.
Ubrogepant-Therapie verbesserte Prodromalbeschwerden
In der Untersuchung analysierte ein Team um den australischen Neurowissenschafter Peter J. Goadsby vom King’s College London Daten von über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Prodrome-Studie. Ziel der Studie war, herauszufinden, ob Ubrogepant Migräne-Kopfschmerzen effektiv reduzieren kann. Die Teilnehmenden wurden angewiesen, entweder 100 Milligramm Ubrogepant als Tablette oder ein Placebo einzunehmen, wenn sie sicher waren, dass innerhalb von ein bis sechs Stunden ein Kopfschmerz auftreten würde.
Neben den konkreten Wirkungen auf die Migräne wurden auch weiterführende Daten erhoben. Diese legen nahe, dass Ubrogepant eben auch Vorboten-Symptome lindern könnte: Bei Teilnehmenden mit Ubrogepant-Therapie verbesserten sich diese Symptome häufiger als bei denen, die mit Placebo behandelt wurden.
- So verschwanden beispielsweise bei den Lichtempfindlichkeits-Betroffenen mit Ubrogepant in 19,5 Prozent und mit Placebo in 12,5 Prozent der Fälle die Symptome.
- Nackenbeschwerden verschwanden mit Ubrogepant in 28,9 Prozent und mit Placebo in nur 15,9 Prozent der Fälle.
Die Verbesserung trat je nach Symptom zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Gabe auf – Lichtempfindlichkeit nach zwei Stunden, Nackenbeschwerden nach drei Stunden.
"Neue und vielversprechende Substanz"
Dass in der Prodrome-Studie nicht gezielt nach den Effekten von Ubrogepant in der Migräne-Frühphase gesucht wurde, schmälert die Aussagekraft der Ergebnisse, sagt Dagny Holle-Lee, Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums und Oberärztin für Neurologie am Universitätsklinikum Essen gegenüber dem Science Media Center. Dennoch liefere die Untersuchung "erste Hinweise darauf, dass Ubrogepant in der Vorphase der Migräne wirksam sein könnte".
Davon abgesehen sei Ubrogepant jedenfalls "eine neue und vielversprechende Substanz zur Akuttherapie der Migräne". Eine entsprechende Zulassung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) würde Holle-Lee begrüßen. Besonders interessant „wäre der Einsatz bereits in der Prodromalphase, da dies eine Therapieerweiterung darstellen würde, die bislang nicht zur Verfügung steht“.
Weltweit leiden mehr als eine Milliarde Menschen an Migräne. In Österreich sind rund eine Million Menschen betroffen.
Ubrogepant ist ein Medikament aus der noch jungen Klasse der Gepante. Diese blockieren den CGRP-Rezeptor (Calcitonin gene-related peptide), sind also CGRP-Rezeptorantagonisten. Das Neuropeptid CGRP, das zur Erweiterung von Blutgefäßen führt und an der Entstehung der Migräneschmerzen beteiligt ist, kann dadurch nicht an den Rezeptor binden.
Aura weiterhin nicht gezielt behandelbar
Ähnlich beurteil Hartmut Göbel, Chefarzt an der Schmerzklinik Kiel, die Resultate: "Diese Erkenntnisse eröffnen eine neue therapeutische Perspektive: die gezielte pharmakologische Intervention in einem sehr frühen Stadium der Migräne." Daraus ergebe sich der Ansatz einer Kurzzeitprophylaxe "mit dem Ziel, beginnende Attacken zu unterbrechen oder abzumildern".
Beide Fachleute betonen, dass eine mögliche Wirksamkeit von Ubrogepant in der Aura-Phase nicht Gegenstand der vorliegenden Studie gewesen sei. "Hinsichtlich der Migräne-Aura bleibt die therapeutische Lage unverändert: Eine spezifische medikamentöse Behandlung existiert bislang nicht", schildert Göbel.
Die Forschenden plädieren in der im Fachblatt Nature Medicine erschienenen Arbeit jedenfalls für eine Folgestudie, die konkret die Wirksamkeit von Ubrogepant im frühesten Abschnitt einer Migräneattacke untersuchen soll.
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