Magnetismus: Radioonkologin heilt mit ihren Händen

Wenn Annemarie Schratter-Sehn Menschen behandelt, muss sie diese mitunter nicht einmal berühren. Manchmal hält sie die Hände auch nur über der Körperoberfläche. Die so Behandelten berichten danach meist von einer tiefen Entspannung, manchmal auch von einem Kribbeln in einer bestimmten Körperregion – und davon, dass sich ihr Allgemeinzustand verbessere oder Beschwerden geringer werden. Das hört sich wie Esoterik oder Wunderheilung an.
Doch Schratter-Sehn ist Radioonkologin und Radiologin. Sie leitete lange das Institut für Radioonkologie in der heutigen Klinik Favoriten. Schon aufgrund ihres Faches beschreibt sie sich als durch und durch analytische Schulmedizinerin. "Ich glaube nur, was handfest nachweisbar ist."
Dennoch sieht sie auch in der Arbeit mit ihren Händen Potenzial. Die Medizinerin, die auch eine Ausbildung zur Psychotherapeutin absolvierte, beschäftigt sich mit Magnetismus. "Mit meinen bloßen Händen, kombiniert mit einem bestimmten inneren Zustand, kann ich zu Heilungsverläufen beitragen."
Der deutsche Arzt (1734 bis 1815) prägte den Magnetismus, war ein Mode-Arzt seiner Zeit – und auch sehr umstritten.
Er setzte Magnete zur Behandlung ein, später auch ohne Instrumente. Seine Inszenierungen fanden bei Dämmerlicht und ätherischen Klängen statt. Wegen Anfeindungen und wissenschaftlicher Kritik flüchtete er nach Frankreich.
Empathie

Dass Berührung die Heilung unterstützen kann, kennt vermutlich fast jeder, etwa aus der eigenen Kindheit. Wenn einen die Eltern bei Krankheit streichelten. Oder man hat miterlebt, wie gut einem hochbetagten Menschen die Berührung der Pflegerin tut.
Das habe auch viel mit Einfühlungsvermögen zu tun, sagt Schratter-Sehn. "Heilung erfordert neben umfassender Ausbildung auch Empathie."
Das sei es schließlich, was auch einen guten Arzt ausmache: dass er seine Patienten wahrnimmt, in ihrer Gesamtheit, sich in sie hineinversetzen kann; und dass er oder sie fähig ist, über diese Wahrnehmung Diagnosen und Behandlungen zu optimieren.

Annemarie Schratter-Sehn, Brain Change, Verlag edition a, 25 Euro
Wie ist es aber erklärbar, dass manche offenbar besser dafür geeignet sind, Wahrnehmungen anderer aufzunehmen und ins Positive zu wenden? Die Medizinerin wollte darauf plausible Antworten finden und hinterfragte über Jahre hinweg ihre eigenen ergänzenden Behandlungen. "Offenbar können gewisse Techniken im Patienten etwas auslösen", resümiert sie heute. Was den Magnetismus betrifft, geht es hier nicht um Esoterik und Einbildung. "Aus heutiger Sicht sage ich, der Haupteffekt von Magnetismus ist es, den Patienten in einen meditativen Zustand zu bringen und die Durchblutung anzuregen."
Magnetismus selbst kann nicht heilen
Bei tiefer Entspannung wie einer Meditation werde der gesamte Körper über das Gehirn beeinflusst.
Und das lässt sich wissenschaftlich belegen. Allein in der renommierten medizinischen Datenbank "PubMed" beschäftigen sich mehr als 1.600 Studien mit der positiven Wirkung von Meditation bei Stress und anderen körperlichen und psychischen Problemen. Als Psychotherapeutin erklärt sie sich die psychische Erleichterung mancher Patienten so: "Während der tiefen Entspannung bei einer Magnetismus-Behandlung kommt es zu vielerlei psychischer, körperlicher und geistiger Interaktionen."
Auf den Körper selbst wirken vor allem die Durchblutung, die Aktivierung von Akupunkturpunkten und Energiemeridianen sowie mit großer Wahrscheinlichkeit generell eine Nervenbeeinflussung.
Schratter-Sehn sieht Magnetismus nicht als Widerspruch. Aber: "Magnetismus darf nur nach medizinischer Abklärung erfolgen und bei notwendiger "State of the art"-Behandlungsmöglichkeit komplementär verwendet werden. Der Magnetismus wirkt bei Burn out, bei lokalen Entzündungen, Durchblutungsstörungen, völliger Energielosigkeit oder Nebenwirkungminimierung bei Strahlen- und Chemotherapien."
Doch sich nur behandeln zu lassen, ist zu wenig, betont sie. "Die fundamentalste Erkenntnis, zu der ich in meiner Beschäftigung gelangt bin, ist, dass Magnetismus nicht per se heilt. Vielmehr ruft er die Selbstheilungskräfte wach, die jeder Mensch in sich trägt." Und diese seien nicht allein auf Magnetismus angewiesen. "Er ist nur eine von vielen Möglichkeiten, sie zu entfalten."

Dass der Mensch Selbstheilungskräfte besitzt, ist in der Schulmedizin längst unbestritten. Der Intensivmediziner Rudolf Likar, der Geriatrie-Experte Georg Pinter, der Psychologe Herbert Janig und der Sozialforscher Franz Kolland widmen sich diesem Thema von den verschiedensten Zugängen her und geben Praxistipps, wie sich die Fähigkeit zur Selbstheilung nutzen lässt und wo Scharlatanerie beginnt.
Info: "Selbstheilung", Verlag Ueberreuter, 25 €
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