Trotz Kniearthrose: Neustart auf zwei Beinen

Ein Knacksen beim Aufstehen, diffuser Schmerz beim Treppensteigen. Eines Tages wird aus dem gelegentlichen Ziehen ein ständiger Begleiter – beim Gehen, Stehen, sogar beim Sitzen. Kniearthrose kommt oft schleichend, bleibt dafür umso hartnäckiger. Was zunächst nach altersüblicher „Morgensteifigkeit“ klingt, kann sich zur veritablen Alltagsbremse entwickeln: Schuhe zubinden? Hinknien? Spazierengehen? Zäh. Und schmerzhaft. Die Beschwerden reichen von Druckgefühl und Instabilität bis zu Entzündungen und Schwellungen. Was früher selbstverständlich war, wird zur Herausforderung: Kniearthrose betrifft nicht nur das Gelenk, sondern mindert auch die Lebensfreude.
„Von allen Arthrosen ist die des Kniegelenks besonders häufig, sie beeinflusst die Betroffenen sehr, weil die Mobilität beim Gehen, bei täglichen Verrichtungen und beim Sport massiv eingeschränkt werden kann“, sagt Univ.-Prof. Tanja Stamm, Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Arthritis und Rehabilitation. Kniearthrose (Gonarthrose) beruht auf dem fortschreitenden Verschleiß des Gelenkknorpels im Kniegelenk. Wesentlich dafür: das Alter bzw. der Alterungsprozess, mit stillen Veränderungen, etwa hormoneller Natur. „Weitere Ursachen sind mechanische Überlastung, Fehlstellungen wie X- oder O-Beine, Verletzungen, Übergewicht oder genetische Faktoren. Frauen sind häufiger betroffen. Dabei steht das Dreieck aus Alter, Degeneration und Entzündung im Zentrum“, sagt Univ.-Prof. Stefan Nehrer, Orthopäde und Leiter des Zentrums für Regenerative Medizin an der Universität für Weiterbildung Krems.

Orthopäde Univ.-Prof. Stefan Nehrer
Eingeschränkte Beweglichkeit
Der Knorpelabbau führt zu einer verminderten Stoßdämpfung und zunehmender Reibung im Gelenk, was entzündliche Prozesse und Schmerzen begünstigt. Schließlich werden auch Knochen, Bänder und Muskeln in Mitleidenschaft gezogen, was die Beweglichkeit stark einschränkt, Arthrose kann auch als eine Art Kompensationsmechanismus des Körpers verstanden werden. „Davon sind nicht nur ältere Menschen, sondern auch jüngere, sportliche betroffen“, so Nehrer. Wiederholte, starke Belastung – besonders bei Sportarten mit Stoßbelastungen können den Gelenkknorpel überfordern und schädigen. Das mitunter unbemerkt, wie Univ.-Prof. Tanja Stamm betont: „Wenn die Gelenkspartner etwa nach einem Skiunfall nicht mehr optimal zusammenspielen, kann es zu einer posttraumatischen Präarthrose kommen. Dabei entstehen rasch strukturelle Veränderungen, ohne dass Symptome im Sinne einer klinisch manifesten Arthrose vorliegen. Es handelt sich also um eine Vorphase als Reaktion auf ein Trauma. Da wäre Früherkennung wichtig, um die Betroffenen präventiv zu begleiten.“
Die Rolle des Lebensstils
Kniearthrose ist zwar nicht immer vermeidbar, in vielen Fällen ist es aber möglich, ein Fortschreiten zu verzögern oder abzuschwächen. Vorausgesetzt, die Risikofaktoren werden früh erkannt und reduziert. „Ein gesunder Lebensstil ist hier das Um und Auf, mit regelmäßiger Bewegung, vernünftiger Ernährung und weniger einseitiger körperlicher Belastung im Alltag. Mittlerweile zeigen Studien, dass es damit zu einer Reduktion von Symptomen kommen kann“, so Stamm. Die Expertin verweist dabei auf andere Länder, in denen OP-Wartelisten durchgeackert werden, um herauszufinden, welche Patienten von solchen Maßnahmen sowie einer konservativen Therapie noch profitieren könnten. „Bevor man ein Gelenk ersetzt, wäre es wichtig, alles auszuschöpfen, was noch möglich ist. Das ist auch im Sinne des Outcomes, denn wenn man bereits vor der Operation mit Rehabilitationsmaßnahmen beginnt, ist das Ergebnis in den meisten Fällen besser“, sagt Stamm, deren zentrales Anliegen es ist, die Perspektiven von Patienten in die Forschung und Therapieentwicklung einzubeziehen. Wer ohne vorherige konservative Therapie operiert wird, hat dann oft mehr Schmerzen und schlechtere Funktionsergebnisse als jemand mit vorbereitender Therapie.

Univ.-Prof. Tanja Stamm
Übergewicht reduzieren
Übergewicht gilt als einer der stärksten Risikofaktoren für Gonarthrose, bereits ein Kilo Körpergewicht weniger entlastet das Knie um zirka vier Kilo bei jedem Schritt. „Sein Gewicht zu halten ist ein wesentlicher, präventiver Faktor“, betont Nehrer. Der zweite: „Die Muskulatur regelmäßig trainieren und bewegen – selbst dann, wenn Arthrose schon vorhanden ist. Es ist nachgewiesen, wie wichtig es ist, in dieser Phase in Bewegung zu bleiben. Die Arthrose aufheben oder umkehren ist zwar unmöglich, aber man kann ihren Verlauf verlangsamen, bis hin zur Beschwerdefreiheit“, sagt Nehrer.
Obwohl es sich um eine chronisch-degenerative Erkrankung handelt, verläuft sie nicht linear. „Sondern oft schubweise und in Phasen, abhängig davon, was gerade passiert. Wer eine intensive körperliche Belastung hinter sich hat, wie einen Hausbau, wird diese Überlastung bald merken“, sagt Nehrer. Das betrifft insbesondere die Symptomatik, nicht unbedingt den Knorpelabbau selbst, der meist kontinuierlich fortschreitet. Mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz und einem bestimmten Algorithmus sei es aber mittlerweile möglich, den Verlauf einer Arthrose zu prognostizieren. „Wir haben ein Programm entwickelt, bei dem KI eingesetzt wird, um Röntgenbilder automatisiert zu analysieren, wie sehr Knochen und Knorpel noch intakt sind. Der Arthrosegrad wird somit objektiv eingeschätzt, im Sinne präziser Entscheidungen. Weil sich Prognosewerte erstellen lassen, die auf einen allfälligen raschen Verlauf hinweisen. Diese Patienten sollten rasch intensiv behandelt werden, um den Prozess zu verlangsamen“, sagt Nehrer. Nicht jeder Knorpelverschleiß muss gleich im OP-Saal enden.
Innovative Therapieansätze
Neben bewährten Maßnahmen wie Physiotherapie, Gewichtsreduktion und Bewegung gibt es heute viele innovative Therapieansätze. Sie sind vielfältiger denn je (Übersicht, unten). „Ziel aller Therapien ist die Herstellung einer Homöostase, also eines Gleichgewichts, sodass sich bestimmte Prozesse wieder beruhigen“, sagt Nehrer. Vorrangig ist es, einen Gelenksersatz möglichst lange nach hinten zu schieben. „Das gilt vor allem bei jüngeren Patienten, weil ein frühzeitiger Eingriff mit langfristigen Risiken und Nachteilen verbunden ist – trotz technischer Fortschritte“, sagt Nehrer. Dazu kommt: Bei jungen, aktiven Menschen kommt es häufiger zu Frühverschleiß, was einen späteren Prothesenwechsel wahrscheinlicher macht. Zudem werden die Erwartungen oft nicht erfüllt, auch moderne Implantate haben funktionelle Grenzen, speziell bei hoher Belastung.
Doch manchmal kommt der Punkt, an dem nichts mehr geht. Nehrer: „Wenn sich das Knie gar nicht mehr beruhigt, auch nachts schmerzt und die Mobilität dauerhaft eingeschränkt ist, dann ist der Einsatz einer Prothese gerechtfertigt.“ Auch das wird mittlerweile mit KI und mit einem objektiven Score berechnet. „Dabei werden Beschwerden und Schmerzen genauso berücksichtigt wie Mobilitätseinschränkungen. Unter dieser Zusammenschau kommt man dann zu dem Schluss, dass das Gelenk zu ersetzen ist.“
Fokus auf Gelenkserhalt
Bis dahin sollte der Fokus auf dem Gelenkserhalt liegen, plädiert der Orthopäde: „Damit sollten wir uns noch viel mehr befassen.“ Ein diesbezügliches Leuchtturmprojekt ist „GLA:D. Ein in Dänemark entwickeltes Behandlungsprogramm für Patienten mit Knie- und Hüftarthrose, das Aufklärung, Bewegungstherapie und Selbstmanagement inkludiert (siehe Seite 36). Dabei geht es nicht nur darum, Operationen zu vermeiden oder hinauszuzögern, sondern zu motivieren. Schließlich wollen viele Patienten wissen, was sie selbst beitragen können, damit es ihnen besser geht.
Selbstmanagement: Trotz Arthrose gut leben
Da geht noch was: Obwohl das Knie schon „angeschlagen“ ist, können Schmerzen reduziert werden, bei gleichzeitig besserer Beweglichkeit. Eine Frage der – passenden – Aktivität. Weniger Schmerz, mehr Beweglichkeit, trotz Gonarthrose. Wie viel Patienten selbst dafür tun können, wenn sie gut begleitet werden, zeigt ein Arthroseprogramm aus Dänemark: Es gilt als beispielgebend und heißt GLA:D – für: „Good Life with osteoArthritis in Denmark“. Es richtet sich an Menschen mit Knie- und/oder Hüftarthrose. 100.000 Patientendaten zeigen, dass es damit zu einer deutlichen Schmerzreduktion, weniger Medikamentenbedarf und einer höheren Lebensqualität kommt.
In Österreich wird das Behandlungskonzept im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität für Weiterbildung Krems, gemeinsam mit der Fachhochschule St. Pölten und der Universität Wien evaluiert – um zu erheben, wie eine Kombination des Programms mit Ernährungstherapie die Lebensqualität von Patienten mit Kniearthrose verbessern und eine OP vermieden werden kann. Das Konzept verbindet moderne Gesundheitsversorgung mit Patientenschulung.
Was jeder selbst tun kann:
Bewegungstherapie wahrnehmen – mit Fokus auf die Muskulatur, Gelenkstabilität und die Koordination. Ergonomische Alltagsgeräte einsetzen und so Gelenkschutz und vor allem Schutz vor Überbelastung betreiben, unter Anleitung von Physio- und Ergotherapeuten. Eine kräftige Oberschenkel- und Hüftmuskulatur schützt das Kniegelenk vor Überlastung, speziell der vordere Oberschenkelmuskel spielt eine zentrale Rolle. Wichtig: Der Fokus auf die Kniestrecker und die Dehnungsfähigkeit der Beuger. Körpergewicht halten bzw. Gewichtsreduktion, wenn nötig.
Langfristige Aktivierung, nachhaltige Bewegung. Dazu der Orthopäde Univ.-Prof. Stefan Nehrer: „Besonders geeignet sind Sportarten wie Radfahren, beziehungsweise Ergometer-Training, Wandern mit Stöcken oder Nordic Walken und Wassergymnastik. Es geht im Grunde darum, viel Bewegung ins Gelenk zu bringen, bei wenig Belastung.“ Speziell Radfahren sei im Sinne einer zyklischen Bewegung in entlastender Sitzposition günstig. Ungeeignet sind Mannschaftssportarten oder Sportarten mit hohem Tempo und nicht vorhersehbarem Richtungswechsel sowie hartem Körperkontakt, wie etwa Squash, Basketball, Handball, Fußball. Auch Gewichtheben belastet zu sehr.
Prä-Rehabilitation: Wer operiert werden muss, kann bereits im Vorfeld viel tun, sagt Univ.-Prof. Tanja Stamm. Man geht körperlich fitter in die OP, die Heilung wird beschleunigt, Komplikationen verringern sich und die Ergebnisse nach der OP sind besser, heißt: weniger Schmerzen, bessere Beweglichkeit. Stamm befürwortet außerdem die digitale Betreuung von Patienten unter Einsatz von Wearables oder Trackern nach einem chirurgischen Eingriff, um die Mobilität im Alltag zu überwachen und etwaige Rückschritte früh zu erkennen. Studien belegen, dass Wearables bei Arthrose helfen können, physische Inaktivität zu reduzieren und Verhaltensänderungen zu fördern, etwa in Kombination mit Apps. Info: gladaustria.at
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