KURIER: Frau Dr. Kalbheim, wie würden Sie den inneren Schweinehund beschreiben?
Eva Kalbheim: Der innere Schweinehund ist unser Persönlichkeitsanteil, der es bequem und kuschelig haben möchte. Der möchte, dass alles einfach läuft, dass wir uns satt und wohlig fühlen, dass unsere Bedürfnisse schnell befriedigt werden. Er ist der Anteil, der sich nicht gerne anstrengt.
Klingt eigentlich ganz schön. Warum hat er so einen schlechten Ruf?
Den hat er, weil er oft ein Verhinderer ist. Wir haben Pläne oder Vorhaben, die uns wichtig sind und der innere Schweinehund verhindert, dass wir ins Tun kommen, dass wir Durststrecken überwinden, dass wir in Kauf nehmen, dass unsere Bedürfnisse erst befriedigt werden, wenn wir uns bemüht haben. Viele Menschen haben das Gefühl, dass der innere Schweinehund sehr mächtig und steuernd ist und wollen etwas gegen ihn tun.
Vorsätze wie Abnehmen, mehr Sport oder weniger Medienzeit scheitern besonders oft an ihm.
Genau. Bleiben wir beim Beispiel des Medienkonsums: Wenn wir uns lustige Videos im Internet anschauen, triggert das rasch ein Belohnungsgefühl. Das liegt in unserer Hirnchemie begründet – wenn uns etwas Freude macht, werden Glückshormone ausgeschüttet. Es entsteht ein gutes Gefühl, davon wollen wir mehr. Wenn wir das nun reduzieren wollen, stellt sich unbewusst dieser Anteil entgegen, der sagt "Aber das fühlt sich doch gut an, ich will das haben!". Gleich ist es beim Sport. Sich zum Sport aufzuraffen, ist erst einmal eine Hürde. Am langen Ende weiß ich, es tut mir gut. Aber es passiert keine sofortige Bedürfnisbefriedigung. Insofern scheitern gerade die klassischen Jahresvorsätze, weil sie mit initialem Aufwand verbunden sind.
Studien zeigen, dass nur etwa die Hälfte aller positiven Absichten umgesetzt werden …
Hier spielt die Absichts-Verhaltens-Lücke eine große Rolle. Man weiß, etwas ist gut für mich, aber ich komme nicht ins Tun, weil es zunächst mit negativen Emotionen verbunden ist. Ich muss meine Absicht in eine Verhaltensänderung überführen. Da ist aber eine Kluft. Doch es gibt Werkzeuge, die uns helfen, sie zu überwinden.
Welche wären das?
Insbesondere die Selbstdisziplin. Wenn ich mir ein Vorhaben ausmale, sollte ich mir überlegen, was die Dinge sind, die das Umsetzen bisher verhindert haben – Bequemlichkeit, Zeitmangel, andere konkurrierende Vorhaben. Dann gilt es, zu überlegen, warum ich etwas ändern – zum Beispiel mehr Sport treiben – will. Weil ich gesünder leben will, weil ich mich wohler fühlen mag, weil ich neue Freunde finden will, weil ich Gewicht reduzieren möchte. Diese Gründe fungieren als Motivatoren, die es ermöglichen, dass ich Zeit für Sport freischaufle, egal wie lustlos ich bin.
Sind Vorsätze oft falsch formuliert?
Ja, hier sind SMARTE Ziele hilfreich. SMART steht für spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Wenn man Ziele nach diesen Begriffen ausrichtet, also sagt – bleiben wir beim Sport: Ich gehe erst mal drei Monate lang zweimal pro Woche ins nächstgelegene Fitnessstudio, weil ich so etwas für meine Gesundheit tue. Wenn es ein konkretes Ziel ist, sind die Chancen höher, dass ich dranbleibe.
Wie wichtig ist es, Regelmäßigkeit in die Tätigkeit, die man zur neuen Routine machen will, zu bringen?
Wenn wir uns ein neues Verhalten antrainieren wollen, brauchen wir dafür drei Monate. Wenn ich mir vornehme, regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen, muss ich das mindestens drei Monate durchziehen, damit es eine Chance hat, zur Gewohnheit zu werden.
Wenn man scheitert, fühlt man sich meist schlecht, schämt sich vielleicht. Erfüllt der Schweinehund auch wertvolle Funktionen?
Alle unsere innerpsychischen Vorgänge haben auch eine Funktion. In dem Fall sorgt der Schweinehund dafür, dass wir es uns gut gehen lassen, uns um uns kümmern, Selbstfürsorge betreiben. Dass wir unsere Grenzen nicht überschreiten, uns nicht zu viel zumuten. Mit sich selbst achtsam und liebevoll umzugehen, ist immer hilfreich, auch wenn es um gute Vorsätze geht. Man sollte den inneren Schweinehund nicht von vornherein verdammen, sondern auch fragen: Wovor will er mich vielleicht schützen? Wenn nur Bequemlichkeit dahintersteckt, kann man mit sich ausmachen, dass Gemütlichkeit okay ist, aber nicht immer.
Was löst es in uns aus, wenn wir den inneren Schweinehund überwunden haben?
Der Preis, den Schweinehund zu überwinden, ist oft hoch. Der Nutzen ist das wertvolle Gefühl der Selbstwirksamkeit, das Wissen, dass man das, was man sich vornimmt, schaffen kann.
Kommentare