Infektionsschutz: Wo es die größten Impflücken gibt
1802 war Österreich das erste Land, in dem mit der Pockenimpfung eine verpflichtende Immunisierung eingeführt wurde. 2020 aber gibt es noch immer große Lücken im Impfschutz, stellten am Mittwoch Experten bei einem Seminar des Verbandes der Österreichischen Impfstoffhersteller (ÖVIH) fest.
Das Gesundheitsministerium hat mittlerweile bereits wiederholt die Immunisierungsraten bei Kindern gegen Polio (gilt auch für Keuchhusten) sowie gegen Masern (gilt wegen Kombinationsvakzine auch gegen Mumps und Röteln/MMR) analysieren lassen. Bei den Zwei- bis Fünfjährigen liegt die Durchimpfungsrate bei den Masern für die zweite Impfung derzeit bei ungefähr 82 Prozent. Das heißt, dass etwa 47.000 Kinder in dieser Altersgruppe eine zweite Impfung erhalten sollte, stellte Maria Paulke-Korinek vom Gesundheitsministerium dar. MMR-Durchimpfungsraten von 95 Prozent sind auf jeden Fall notwendig, um in Österreich ausreichend Schutz gegen die gefährliche Krankheit zu erreichen und sie - wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefordert - auszurotten.
Die Defizite betreffen auch die Schulkinder. "27.000 Kinder in der Altersgruppe der Sechs- bis Neunjährigen sind nicht ausreichend gegen die Masern geschützt", erklärte Maria Paulke-Korinek. Die zweite Impfdosis haben nur 89 Prozent bekommen. Während die Zehn- bis 18-Jährigen in Österreich dann zu 95 Prozent geschützt sind, liegt diese Rate bei den 19- bis 30-Jährigen nur bei 70 Prozent. Das ist eine Personengruppe von rund 350.000 Menschen, die angesteckt werden können.
Normalerweise sollten alle Kinder im Rahmen des Gratis-Impfprogrammes auch die MMR-Immunisierung mit der ersten Dosis ab dem vollendeten neunten Lebensmonat erhalten, die zweite Dosis dann nach weiteren drei Monaten. 2019 gab es in Österreich 151 Masernfälle, 2018 waren es 77 gewesen, im Jahr 2015 sogar 309. Ausbrüche sind offenbar jederzeit möglich.
Der Grund dafür, dass oft auf die zweite und für den Schutz unabdingliche notwendige Teilimpfung mit des MMR-Vakzine "vergessen" wird, nannte der Wiener Kinderarzt Peter Voitl: "Gerade um das Ende des ersten Lebensjahres kommen einige Impfungen zusammen." "Man kann aber mehrere Impfungen bei Kindern an einem Tag kombinieren", sagte dazu Rudolf Schmitzberger, Leiter des Referats für Impfangelegenheiten der Österreichischen Ärztekammer. Das mache keine Probleme.
Unterschätzte Pneumokokken
Völlig unterschätzt bei Kindern wie Erwachsenen werde die Bedeutung der Pneumokokken-Erkrankungen, sagte Schmitzberger: "Die Pneumokokken fordern jedes Jahr weltweit 1,5 Millionen Todesopfer. Bei den Masern sind es rund 500.000. Pro Jahr gibt es weltweit 14 Millionen Lungenentzündungen durch Pneumokokken. Die Erreger fordern die meisten Todesfälle bei einer durch Impfung verhütbaren Erkrankung."
Die meisten invasiven und potenziell lebensgefährlichen Erkrankungen durch Pneumokokken treten bei den unter Fünfjährigen auf. Immunisiert wird hier im Rahmen des österreichischen Gratis-Kinderimpfprogrammes mit dem dritten Lebensmonat (9. Woche), dann nach zwei Monaten. Eine Auffrischungsimpfung gibt es dann nach weiteren sechs Monaten. Neuerdings wird in dem Programm eine Vakzine verwendet, die gegen 13 Serotypen der Erreger schützt.
Laut neuesten Zahlen wurden in Österreich bereits 611 invasive Pneumokokken-Erkrankungen registriert. Seit 2014 (323 solcher Erkrankungen) ist es damit zu einem ständigen Anstieg gekommen.
Immunisieren gegen die Pneumokokken lassen sollten sich aber auch alle Menschen zumindest über 60. Abseits der schwersten invasiven Erkrankungen verhindert das viele Lungenentzündungen. Bei Kindern wird auch die Rate der schmerzhaften Mittelohrentzündungen gesenkt.
De facto perfekt verhütbar wären Gebärmutterhalskrebs und Probleme wie Genitalwarzen, wenn alle Kinder - wie auch im Kinderimpfprogramm vorgesehen - gegen das Humane Papilloma Virus (HPV) geschützt würden. Trotz der kostenlosen Bereitstellung der Impfung beträgt die Durchimpfungsrate bei Buben und Mädchen im Alter von neun bis zehn Jahren in Österreich derzeit nur 62 Prozent, stellte Elmar Joura, Gynäkologe an der Universitäts-Frauenklinik in Wien (MedUni/AKH) dar.
Auf der anderen Seite erkranken in Österreich noch immer pro Jahr rund 400 Frauen an dem durch HPV verursachten Gebärmutterhalskrebs. Bei 6.700 Frauen kommt es zu wegen Zervixkarzinom-Vorstufen zu gynäkologischen Eingriffen (Konisation). Die Zahl der Patienten mit Genitalwarzen-Diagnosen liegt pro Jahr bei rund 15.000.
Kommentare