Impfskepsis überwinden: Expertin über Immunisierung und Vertrauen

Impfungen polarisieren wie kaum ein anderes medizinisches Thema. Zwischen wachsendem Misstrauen, politischer Einflussnahme und wissenschaftlichen Durchbrüchen steht die Immunologie an einem entscheidenden Punkt. Die Pandemie hat nicht nur das Bewusstsein für Impfstoffe geschärft, sondern auch Zweifel und Verunsicherung hinterlassen. Gleichzeitig eröffnen neue Technologien völlig neue Möglichkeiten, nicht nur gegen Infektionskrankheiten, sondern auch in der Krebstherapie. Die Vakzinologin Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt im Gespräch – über die Hintergründe der Impfskepsis, die Folgen der politischen Lage in den USA, damit verbundene Chancen für Europa und die Zukunft der Impfstoffe.
Sie waren vor kurzem Gastgeberin des internationalen Immunologie-Kongresses in Wien. Wie bedeutend ist das?
Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt: Sehr bedeutend. Rund 4.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren hier. Der Kongress findet alle drei Jahre statt, diesmal unter Leitung der MedUni Wien. Eine große Ehre. Gerade jetzt, in Zeiten der Wissenschaftsfeindlichkeit, ist der internationale Austausch enorm wichtig – nicht nur wissenschaftlich, auch moralisch. Viele Kolleginnen und Kollegen, besonders aus den USA, sind durch die dortige politische Lage verunsichert und deprimiert. Da tut eine Plattform gut, die zeigt: Wissenschaft kennt keine Grenzen.
Welche Folgen hat die politische Situation in den USA für die Forschung?
Die Einschränkungen in den USA sind sehr beunruhigend. Aber wir sehen auch, dass Forschende von den USA abwandern – ein „Brain Gain“ der für Europa eine Chance sein kann. Um Forschungsfreiheit zu sichern und in Bereichen wie neue Therapien, Surveillance oder Infektionskontrolle stärker in eine Führungsrolle zu gehen. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen.
Ein großes Thema ist die Impfskepsis.
Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Schon vor der Pandemie waren etwa die Durchimpfungsraten bei Masern oder Keuchhusten unzureichend. Covid-19 hat die Situation verschärft: Impfungen fielen aus, Diskussionen über Sicherheit und Wirksamkeit schwappten auf andere Impfungen über.
Wie kann man der Skepsis begegnen?
Das Wichtigste ist das Gespräch. Menschen brauchen Zeit, um ihre Sorgen zu äußern und Antworten zu erhalten. Patientinnen und Patienten kommen vorbereitet, mit Fragen aus dem Internet. Eine Impfung ist auch ein Akt des Vertrauens. Ärztinnen und Ärzte müssen diese Fragen ernst nehmen, darauf eingehen, verständlich antworten.

Im Gespräch mit Gabriele Kuhn
Können Sie nachvollziehen, dass gerade die Covid-Impfung Misstrauen ausgelöst hat?
Emotional teilweise, rational nein. Wissenschaftlich gesehen half die rasche Entwicklung, uns aus der Pandemie zu führen. Wir hatten daher gehofft, dass das Vertrauen in die Wissenschaft dadurch wächst. Aber es ist das Gegenteil passiert, weil durch Social Media Falschinformationen zu Verunsicherung, Angst, Aggressionen geführt haben.
Lässt sich dieses Misstrauen wieder reparieren?
Mit großem Aufwand. Es braucht Empathie, verständliche Informationen und in Kommunikation geschultes Gesundheitspersonal. Wenn Patienten drei verschiedene Meinungen hören, steigt die Unsicherheit. Entscheidend ist: Geschultes Personal muss klare Antworten geben können.
In den USA wurden Forschungsförderungen für mRNA-Impfstoffe gestoppt. Was bedeutet das?
Ein Desaster. Das richtet viel Schaden an. Diese Technologie wurde nicht umsonst mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Sie eröffnet enorme Perspektiven – von Infektionskrankheiten bis zur Krebstherapie. Für Europa ist es eine Chance, vermehrt in die Forschung zu investieren.
Was genau passiert bei einer Impfung?
Der Sinn ist, dass das Immunsystem Abwehrstoffe bildet, ohne dass man schwer erkrankt. Trifft man später auf den Erreger, steht die Abwehr schon bereit – an den Schleimhäuten oder im Blut. Ich vergleiche das gern mit einem Heer: Die Soldaten sind da, aber ohne Plan. Die Impfung schult das Heer, damit die koordinierte Abwehr steht, wenn der Feind kommt.
Missverständnisse gibt es auch bei Impfwilligen. Etwa Auffrischungen betreffend. Warum?
Da gibt es nach wie vor Defizite. Erwachsene waren meist auf Eigeninitiative angewiesen und mussten alle Impfungen selbst zahlen (im Gegensatz zum Kinderimpfprogramm). Jetzt haben wir zwei Fortschritte: den elektronischen Impfpass, der an fällige Impfungen erinnert. Sowie zunehmend kostenfreie Erwachsenen-Impfprogramme – etwa für Influenza, Masern, oder demnächst für Pneumokokken und Herpes Zoster. Damit wird das Thema sichtbarer und es ist viel leichter, auch an weitere Impfungen wie Keuchhusten oder FSME zu erinnern.
Wie ist der aktuelle Stand bei Keuchhusten und Masern?
Keuchhustenfälle sind dank engerer Impfintervalle wieder rückläufig. Masern bleiben ein großes Problem, in Österreich und weltweit. Die USA waren schon masernfrei – jetzt gibt es wieder mehr als 1.300 Fälle und zahlreiche Ausbrüche. Das zeigt, wie schnell diese Krankheit zurückkommt, wenn die Impfprogramme auslassen. Masern ist alles andere als harmlos.
Manche Eltern möchten Impfungen aufsplitten, um das Kind weniger zu belasten. Sinnvoll?
Im ersten Lebensjahr ist der Impfkalender dicht – aus gutem Grund. Kleinkinder sind am stärksten gefährdet. Verschiebt man Impfungen, bleibt das Kind länger ungeschützt, das kann riskant werden. Nachholen ist möglich, aber Impfen ist immer besser als die Krankheit selbst durchzumachen.
Sind Impfungen sicherer geworden?
Die Entwicklung ist in den vergangenen Jahrzehnten enorm vorangeschritten. Heutige Impfstoffe sind hochgereinigt und ent-halten nur wenige Impfantigene, sie werden in großen, internationalen klinischen Studien geprüft vor Zulassung. Früher waren Impfstoffe viel reaktogener (wie z. B. der Keuchhustenimpfstoff), heute sind sie deutlich verträglicher. Natürlich gibt es Impfreaktionen: Fieber, Schwellung, Müdigkeit. Erwartbare aber harmlose Reaktionen.
Viele Menschen sorgen sich trotzdem.
Jede Impfung kann zu einer, meist milden, Impfreaktion führen, die innerhalb weniger Tage vergeht. Sehr selten kann es auch zu unerwarteten, schwerwiegenden Reaktionen kommen, die über das übliche Maß hinausgehen. Diese müssen vom Arzt an die Arzneimittelbehörde gemeldet werden, das ist verpflichtend. In der allgemeinen Diskussion ist wichtig die Dimensionen klarzumachen: Das Risiko durch eine Infektion ist um ein Vielfaches höher als das Risiko durch eine der heute zugelassenen Impfungen.
Was ist ein Impfschaden?
Ein juristischer Begriff nach dem Impfschadensgesetz. Wenn eine Nebenwirkung dauerhaft und schädlich ist sowie die zeitliche und biologische Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung besteht, kann sie als Impfschaden im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens anerkannt werden. Betroffene haben Anspruch auf finanzielle Entschädigung, dauerhafte Rente oder Reha-Aufenthalte.
Wohin geht die Impfstoff-Entwicklung?
Heute können wir mittels molekularbiologischer Methoden Impfstoffe gegen Krankheiten entwickeln, die früher nicht machbar waren – von Meningokokken bis Malaria. COVID hat einen „Wissensboost“ gebracht. Dazu kommt eine größere Palette an Adjuvantien: Hilfsstoffe, die das Immunsystem gezielt anregen und eine bessere Immunität erzeugen. Ein weiterer Punkt ist die personalisierte Medizin.
Individualisierte Impfstoffe?
Es bekommt nicht jeder seinen eigenen Impfstoff, aber wir gehen stratifizierter vor. Früher war die Bevölkerung homogener, da hat das Prinzip „One Shot Fits All“ gereicht. Heute leben die Menschen länger, mit chronischen Krankheiten oder unter immunsupprimierenden Therapien. Gruppen, die anders geimpft werden müssen. Darum gibt es jetzt spezielle Grippeimpfstoffe für Ältere und Immunsupprimierte. Für kleine Kinder (ab 2) gibt es die intranasale Grippeimpfung, damit die Applikation leichter ist.
Heißt also Impfen via Schleimhäute?
Ja. Bei den mukosalen Vakzinen tut sich viel, besonders bei respiratorischen Erkrankungen. Ihr Vorteil: Infektionen werden nicht nur verhindert, sondern auch deren Weitergabe gestoppt, wenn die Immunantwort direkt an der Schleimhaut entsteht. Das Prinzip: Dort impfen, wo der Erreger eintritt, etwa über die Nase. Aber auch andere Eintrittspforten sind denkbar. Diese Impfstoffe sind stark im Kommen, wir wissen heute viel mehr über die Mechanismen des Immunsystems. Wichtig ist, dass man nicht nur den Impfstoff entwickelt, sondern gleichzeitig untersucht, wie das Immunsystem reagiert und wie lange die Immunantwort hält.
Wird es künftig mehr Impfstoffe geben, die eine lebenslange Immunität garantieren?
Das hängt sowohl vom Erreger als auch vom Immunsystem ab. Bei Masern oder Röteln kann eine Impfung fast lebenslang wirken. Bei respiratorischen Viren wie Influenza oder SARS CoV 2 ist das schwieriger, weil sich die Erreger ständig verändern. Da braucht es wiederholte Impfungen, eine pauschale Strategie gibt es nicht.
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