Unter Schlusslichtern: Große Impflücken in Österreich

Österreich leidet an Impfmüdigkeit und Wissenschaftsfeindlichkeit – zu diesem Schluss kommt der Verband der Österreichischen Impfstoffhersteller (ÖVIH). Bei einigen Impfungen sind wir innerhalb der EU hinsichtlich der Durchimpfungsrate unter den Schlusslichtern. „Bei Masern zählt Österreich mit 527 Fällen im Jahr 2024 zu den Ländern, wo es die meisten Erkrankungen pro Einwohner gibt. Dabei ist der Impfstoff kostenlos verfügbar“, betonte Olivier Jankowitsch, Generalsekretär des ÖVIH bei einer Pressekonferenz am Dienstag.
Ein Anstieg wurde bei Keuchhusten (Pertussis) beobachtet: Allein 2024 habe es in Österreich 15.000 Fälle gegeben – so hohe Fallzahlen seien zuletzt Ende der 1950er Jahre aufgetreten, bevor entsprechende Impfungen verfügbar waren. Österreich weist mit einer Durchimpfungsrate von 84 Prozent die niedrigste Pertussis-Impfrate in Europa auf. Gegen Influenza ließen sich in dieser Saison, obwohl die Impfung kostenlos war, nur 15 Prozent der Bevölkerung impfen – laut WHO-Zielen sollten es bei Risikogruppen 75 Prozent sein. Davon sei Österreich weit entfernt.
Beim Humanen Papillomavirus (HPV) werden die Impfkosten ebenfalls - aktuell bis zum Alter von 30 - übernommen. Am effektivsten ist die Impfung im Kindesalter, doch da klaffen noch große Lücken, insbesondere bei Buben. Nicht einmal die Hälfte von ihnen ist im Alter von 14 bereits geimpft. Angestrebt sind 90 Prozent.
"Einige Erkrankungen kennen wir nicht mehr"
Selbst bei Erfolgsbeispielen, etwa der Impfung gegen FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) sei ein Nachlassen der Impfungen zu beobachten. Laut einer Marktforschung haben in den Jahren 2019 und 2020 74 Prozent der befragten Geimpften die ersten drei Impfdosen bekommen. 2023/2024 lag diese Rate nur noch bei etwa 60 Prozent. Besonders bei Kindern bis 15 Jahre sank die Abschlussquote bei den ersten drei Dosen in den Jahren 2023/2024 auf 45 Prozent. „Ein Thema ist, dass wir einige Erkrankungen nicht mehr kennen, etwa Kinderlähmung, aber auch FSME war in den 1970er Jahren noch sehr häufig. Dadurch ist die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, geringer. Wir sehen aber beim Beispiel Kinderlähmung, dass die Viren weltweit wieder zirkulieren“, so Jankowitsch.
Die Corona-Pandemie habe einen Beitrag zur Impfmüdigkeit im Land geleistet, die Bereitschaft, sich und Kinder impfen zu lassen, habe aber schon davor stagniert.
Forderungen an die neue Regierung
Unter dem Motto „Prävention statt Behandlung“ sieht der ÖVIH Impfungen auch als Investition ins Gesundheitssystem – jeder in Impfungen von Erwachsenen investierte Euro bringe laut Berechnungen das 19-Fache an Ersparnis. Neben einer älter werdenden Bevölkerung, die durch Impfungen geschützt werden müsse, führe auch der Klimawandel dazu, dass das Gesundheitssystem verstärkt belastet sei. „2025 ist in Sachen Impfen ein Schlüsseljahr“, sagte Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des ÖVIH. „Die Klimakrise verschärft sich weltweit und in Österreich. Dadurch kommt es immer wieder zum Auftreten von neuen Infektionskrankheiten, während sich die geopolitische Lage unübersichtlich präsentiert. Gleichzeitig nimmt die Wissenschaftsskepsis immer neue Ausmaße an. Wir brauchen daher dringend Lösungen.“
Der Verband richtet sich daher mit einem 6-Punkte-Plan an die neue Regierung. Notwendig seien konkrete Vorgaben des Gesundheitsministeriums, des zuständigen Staatssekretariats und des Nationalen Impfgremiums (NIG) zu Zielgrößen bei den Durchimpfungsraten in allen Alters- und Risikogruppen. Und zwar zu sämtlichen im österreichischen Impfplan vorgesehenen Impfungen. So sollen etwa niederschwellige Impfangebote und Aufklärungskampagnen geschaffen werden, Impfprogramme für Erwachsene ausgebaut und der e-Impfpass besser genutzt werden, so die ÖVIH-Präsidentin.
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