Kein Hokuspokus mehr: Hypnose als Werkzeug der Selbstfindung

Wer an Hypnose denkt, hat oft Bilder spektakulärer Bühnenshows im Kopf: Menschen, die coram publico scheinbar willenlos auf Fingerschnippen reagieren, gackernd wie ein Huhn oder in tiefer Trance versinken. Lange prägten solche Szenen auch das Bild in der medizinischen und psychotherapeutischen Szene. Die Hypnose wurde als etwas Mystisches, als Zustand des Kontrollverlusts betrachtet, herbeigeführt von einer autoritären Figur, dem Hypnotiseur. Doch dieses Bild wandelt sich.
Moderne Hypnose gilt mittlerweile als ressourcenorientierter Ansatz, der es Menschen ermöglicht, körperlichen Symptomen und psychischen Problemen mit positiven Erfahrungen und eigenen Bewältigungskompetenzen zu begegnen. Der Fokus hat sich verschoben: weg von der Fremdbestimmung, hin zur Selbstermächtigung. „Es geht nicht mehr darum, dass jemand manipulativ etwas mit einem Menschen macht. Vielmehr entsteht ein gemeinsamer Prozess auf Augenhöhe – mit dem Ziel, die Selbstwirksamkeit der Klientin zu stärken“, sagt die Psychotherapeutin Martina Gross, Gründerin des Hypno-Synstitut, Wien. Die Hierarchie von „oben“ und „unten“, von Hypnotiseur und „passivem“ Objekt, wird zugunsten eines kooperativen Miteinanders aufgelöst.
Dieser Wandel zeigt sich bereits in der Vorbereitung: Therapeuten fragen heute zunächst, welches Bild jemand von Hypnose hat. Da ist die Spannweite noch sehr groß – von der Hoffnung auf ein Wundermittel („Sie schnippen und alles ist gut“) bis zur Angst vor Kontrollverlust. „Solche Erwartungen zu klären ist essenziell. Denn Hypnose ist kein magischer Zustand, sondern ein zutiefst menschliches Phänomen“, betont Martina Gross. Vater und Begründer der modernen Hypnotherapie ist der US-amerikanische Psychiater und Psychotherapeut Milton Erickson (1901-1980, siehe unten). Seine Ansätze unterscheiden sich deutlich von der klassischen Hypnose des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Wo einst der „dominante“ Hypnotiseur das „Sagen“ hatte und Suggestionen gab (Du wirst jetzt ganz müde), gilt jetzt ein anderer Ansatz: Hypnose geschieht mit dem Klienten, nicht an ihm.
„Trance ist etwas Natürliches“ Martina Gross: „Trance verstand Erickson nicht als mystischen Sonderzustand, sondern als etwas ganz Natürliches. Wenn man etwa in ein Buch eintaucht, die Welt um sich vergisst – das ist bereits Trance. Ein Zustand fokussierter Aufmerksamkeit, in dem das Unbewusste leichter zugänglich wird. Hypnotherapie nutzt diese Momente, um fein dosiert Impulse zur Veränderung zu setzen – und dabei auf das zurückzugreifen, was längst vorhanden ist: die Ressourcen aus der eigenen Geschichte.“ Erickson formulierte das so: „Die Ressourcen, die du brauchst, findest du in deiner eigenen Biografie.“ Statt plakativer Anweisungen arbeitete er mit Geschichten, Bildern und Analogien.

Martina Gross
Individuell statt standardisiert
Ob bei Geburtsvorbereitung, Zahnarztangst, Rauchentwöhnung, Übergewicht, Ängsten oder Depressionen: Hypnotherapie kann in vielen medizinischen und psychologischen Bereichen hilfreich sein und wird intensiv beforscht. Studien belegen mittlerweile die Wirksamkeit bei verschiedenen Störungsbildern, etwa Depressionen oder Suchterkrankungen. Speziell die Universität Tübingen hat dazu Manuale entwickelt, etwa für Raucherentwöhnung oder depressive Erkrankungen, die gute Ergebnisse zeigen – teils vergleichbar oder sogar besser als medikamentöse Behandlungen. „Hypnotherapie funktioniert allerdings dann am besten, wenn sie individuell zugeschnitten ist. Standardisierte Manuale – wie sie in der evidenzbasierten Forschung oft verlangt werden – stoßen hier schnell an Grenzen. Denn Menschen sind keine Protokolle“, betont Martina Gross.
Dazu ein Blick in die Praxis, auf den Ablauf einer typisch-hypnotherapeutischen Sitzung: „Diese beginnt meist mit einer Auftragsklärung: Was ist das Anliegen? Welche inneren Anteile sind beteiligt? Welche Bilder, Empfindungen, Ressourcen tauchen auf?“, erzählt Martina Gross. Erst dann wird eine Trance angeregt. „Und selbst diese entsteht nicht durch ,Einleiten’, sondern im gemeinsamen Erkunden: Welche inneren Bilder entstehen? Welche Gefühle sind daran gekoppelt? Was könnte hilfreich sein?“ Trance wird hier zum Raum für Selbstkontakt, nicht zum Werkzeug von außen. Hilfreich als Einstieg: Metaphern, Geschichten, aber auch körperliche Wahrnehmungen (etwa die Atmung). Ein Beispiel: Vielleicht spüren Sie, wie Sie der Sessel unter Ihnen trägt… und während Sie einfach merken, wie ruhig es hier ist, kann ein Teil von Ihnen sich vielleicht schon auf die Reise machen…
Ressourcen statt Reparatur
Besonders deutlich wird dieser Zugang bei Suchtverhalten, etwa beim Rauchen. Statt die Zigarette „wegzuhypnotisieren“, wird gefragt: Was sucht der Teil in mir eigentlich, der raucht? Freiheit? Genuss? Beruhigung? „Hypnose kann helfen, zweitbeste Lösungen zu finden – Alternativen, die zwar nie die gleiche Sofortwirkung haben wie das Suchtmittel, aber nachhaltiger sind. Denn Sucht ist eine Sehnsucht. Und der therapeutische Zugang besteht darin, mit dieser Sehnsucht in Kontakt zu kommen – nicht im Versuch, sie zu löschen“, betont Martina Gross. Ähnliches gilt für die Geburtsvorbereitung. Aber: „Dabei entwickelt die Frau gemeinsam mit der Begleitperson eine Vorstellung davon, wie sie die Geburt erleben möchte, welche Ängste auftauchen, welche Stärken sie aktivieren kann. Eine Einladung, sich selbst besser zu spüren“, sagt Gross. Hypnose wird so zur Co-Kreation.
Ein Ansatz, der auch die therapeutische Beziehung verändert. Gross: „Hypnotherapie, wie sie heute verstanden wird, ist ein Zugang zu tieferen Ebenen des eigenen Erlebens. Ein Weg, um Ressourcen zu aktivieren, die längst da sind. In einer Welt, die oft auf Leistung, Funktionieren und Kontrolle setzt, ist das vielleicht eine der heilsamsten Erfahrungen. Dass wir auch anders können. Und dass unser Unbewusstes nicht unser Feind ist, sondern ein Ort der Möglichkeiten.“
Milton Erickson: Er revolutionierte die Hypnose

Milton Erickson
Milton Erickson gilt als Vater der modernen Hypnotherapie. Mit seiner unorthodoxen, menschenfreundlichen Art prägte er ein neues Verständnis von Trance – jenseits von Show und Suggestion. Er sprach oft sehr bedächtig und war bekannt für seine künstlerische Verwendung von Sprache. Wer bei Milton Erickson in Therapie ging, merkte schnell: Hier ist nichts zufällig. Der Mann, der die moderne Hypnotherapie revolutionierte, war ein Meister darin, Menschen dort zu begegnen, wo Worte allein oft nicht weiterhalfen – im Unbewussten.
Geboren 1901 in Nevada und aufgewachsen unter einfachen Verhältnissen, traf ihn das Schicksal früh und heftig: Mit 17 Jahren erkrankte er schwer an Kinderlähmung, lag regungslos im Bett – und begann zu beobachten. In dieser existenziellen Krise legte er den Grundstein für das, was später seine Spezialität werden sollte: die Kunst der tiefen, stillen Wahrnehmung. Erickson wurde Psychiater, arbeitete zunächst in Kliniken, später in seiner Praxis in Phoenix, Arizona. Dort entwickelte er einen völlig neuen Zugang zur Hypnose – keinen autoritären, wie man ihn von früher kannte, sondern einen zutiefst individuellen, menschenfreundlichen.
Hypnose war für ihn kein Zustand der Fremdbestimmung, sondern eine Einladung zur inneren Veränderung. Kein „Du wirst jetzt müde“, sondern ein sanftes „Ein Teil von Ihnen weiß vielleicht schon, wie es weitergehen kann.“ Er arbeitete mit Metaphern, paradoxen Interventionen, Humor und Respekt vor dem Unbewussten seiner Klienten. „Milton Erickson bezeichnet das sogenannte Unbewusste als Ort aller Lebenserfahrungen und somit auch aller Ressourcen und Kompetenzen. Hiermit sind alle internalen Prozesse gemeint, die intuitiv und ohne unser bewusstes Zutun unsere innere Welt ausmachen“, schreiben die Autorinnen Martina Gross und Vera Popper in ihrem Buch „Und die Maus hört ein Rauschen“ (Carl Auer Verlag).
Bedeutet: Jeder Mensch trägt die Lösung seines Problems bereits in sich. Die Aufgabe der Therapie ist nicht, Antworten zu geben, sondern Räume zu öffnen, in denen diese Antworten gefunden werden können. Ericksons Einfluss auf die Psychotherapie, etwa die systemische oder Verhaltenstherapie, ist enorm: Die lösungsorientierte Kurzzeittherapie, die moderne Hypnotherapie – sie alle wären ohne ihn undenkbar. Was er seinen Schülern mitgab, ist auch eine Überzeugung: Dass jeder Mensch mehr kann, als er denkt.
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