Sprachrohr der Seele: So spielen Haut und Psyche zusammen

Was alles „unter die Haut“ gehen kann, zeigt ein Beispiel aus der Praxis des Dermatologen Univ.-Doz. Dr Georg Klein: Vor Jahren wurde er von einer jungen Frau samt ihrem Partner konsultiert – beide klagten über starken Juckreiz.
Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass sie vor kurzer Zeit in eine neue Wohnung gezogen waren und es dort einen rabiaten Nachbarn gab, der sich bei jedem geringsten Geräusch aufregte und laut klopfte. Ein Umstand, der beide psychisch enorm belastete. „Im Laufe der Zeit entwickelten sie gleichzeitig Urtikaria, einen Nesselausschlag mit starkem Juckreiz. Kein Wunder, denn gerade bei dieser Hauterkrankung spielt die Psyche eine bedeutende Rolle“, so Klein, der auch auf Psychodermatologie spezialisiert ist, ein anerkanntes Fachgebiet innerhalb der Dermatologie, das sich den Zusammenhängen zwischen Haut und Psyche widmet.
Grenze und Abgrenzung
Die Haut kann – als Sprachrohr der Seele und Schutzorgan des Körpers – nach außen hin deutlich machen, was Menschen innen fühlen. So betrachtet spricht sie für uns, ohne, dass wir es zunächst merken. Dabei fungiert sie nicht nur als körperliche Grenze, sondern auch als symbolische, im Sinne eines „Abgrenzens“.
Wenn die Psyche leidet, etwa durch Stress, Angst oder Sorgen, kann sich das in Folge auch auf die Haut auswirken – zum Beispiel in Form von Ausschlägen, Juckreiz oder Neurodermitis. Klein: „Die Zusammenhänge zwischen Haut und Psyche zeigen sich außerdem in der Sprache sehr deutlich, man denke nur an Sätze wie ,Ich könnte aus der Haut fahren.’ oder ,Das juckt mich nicht’.“ Hautkrankheiten haben also fast immer eine psychosomatische Dimension, Studien zeigen, dass 30 bis 60 Prozent aller Patienten in der dermatologischen Praxis psychische oder psychosomatische Begleitfaktoren haben.
Das ganze System betroffen
Und dennoch wäre es falsch, jede Hautkrankheit automatisch nur mit der Psyche in Verbindung zu bringen – Klein: „Hautkrankheiten sind in den allermeisten Fällen nicht monokausal. Es gibt kaum eine Erkrankung, bei der man also sagen könnte, wenn A passiert, passiert B und wenn B eingetreten ist, folgt C. In meinem Verständnis von Krankheit sind immer alle Systeme des Körpers betroffen.“
Viele Hauterkrankungen, wie etwa die atopische Dermatitis oder Psoriasis, sind das Ergebnis eines hochkomplexen Zusammenspiels neuroimmunologischer Vorgänge, da spielen vielfältige Auslöser eine Rolle. „Und da ist es die Aufgabe des psychodermatologisch tätigen Arztes, herauszufinden, ob, und in welchem Ausmaß bei einem Patienten psychische Faktoren beteiligt sind – neben rein biologischen oder sozialen. Es ist immer das Gesamtsystem zu denken“, so Klein. Warum Haut und Nervensystem so eng miteinander verwoben sind und intensiv kommunizieren, lässt sich anschaulich mit deren „Biografie“ erklären: Sowohl Haut als auch Nervensystem entstehen während der Embryonalentwicklung aus derselben Keimblattstruktur, dem Ektoderm. Heißt: Haut und Nervensystem sind von Anfang an „Zwillinge“, weil sie aus derselben Ursprungszellebene stammen.
Die so genannte Hirn-Haut-Achse beschreibt außerdem die direkte Verbindung und wechselseitige Kommunikation zwischen unserem Nervensystem (Gehirn) und der Haut. So werden etwa bei Stress Hormone wie Cortisol oder Adrenalin ausgeschüttet, was Entzündungsprozesse oder Immunzellen der Haut beeinflussen kann. Aber auch die Haut selbst kann Substanzen produzieren, die Signale an das Gehirn schicken. So entsteht ein permanenter Dialog. „Außerdem sind der Darm und sein Mikrobiom mit der Haut verbunden – und weil das Mikrobiom Einfluss auf die Stimmung hat, kommt es hier ebenso zu einer Verbindung. Das, was der Darm ans Hirn sendet, wird vom Hirn an die Haut vermittelt. Im Prinzip ist immer das Gesamtsystem zu sehen und zu denken.“
Im Teufelskreis
Auch in die andere Richtung. Denn umgekehrt führen Hauterkrankungen per se häufig zu psychischem Stress und seelischen Verstimmungen. Depressionen, aber auch Angst gehören zu den häufigsten Begleiterscheinungen von juckenden Hauterkrankungen wie Psoriasis oder Neurodermitis. Die Lebensqualität kann deutlich eingeschränkt sein, mit Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein. Ein Teufelskreis, weil dieser psychische Stress die Hautprobleme zusätzlich verschlimmert.
Wie groß diese Belastung ist, zeigte die europaweite Studie „The Burden of Skin Disease in Europe“ im Jahr 2023, in der 19,015 Personen mit verschiedenen Hautkrankheiten untersucht wurden. Dabei wurde die enorme psychische Belastung von Patienten mit Hauterkrankungen aufgedeckt. Die Hauptautorin der Studie, die Dermatologin Prof. Marie-Aleth Richard, betonte, wie sehr diese Untersuchung die psychosoziale Herausforderung aufzeige, mit denen Betroffene konfrontiert sind. Was erneut untermauere, wie bedeutend die psychologische Unterstützung für Patienten mit Hauterkrankungen sei.
In manchen Fällen kann ihnen Psychotherapie helfen, aber, so betont der Psychodermatologe Klein: „Nicht jeder, der eine Hauterkrankung hat, muss zum Psychotherapeuten, das wäre stark übertrieben.“ Ein wesentliches Ziel ist es aber, den Patienten etwas in die Hand zu geben, das ihnen hilft, ihre Erkrankung zu „kontrollieren“ und Erleichterung zu empfinden. Klein: „Ich empfehle im ersten Schritt unterschiedliche Entspannungsübungen und -methoden. Nichts Spezielles, denn das ist sehr individuell und muss jeder selbst für sich herausfinden. Die einen können wunderbar mit autogenem Training umgehen, die anderen brauchen Meditation oder Yoga.“
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