Gegenmittel "nicht lukrativ": Jährlich mindestens 140.000 Tote durch Giftschlangen

Eine australische Rauschuppenotter.
Die Herstellung von Antiseren sei für Unternehmen wenig lukrativ. Manches Mittel wird gar nicht mehr hergestellt.

Zumindest rund 140.000 Menschen sterben weltweit jährlich an Schlangenbissen. Doch es fehlt zunehmend an Antiseren, weil der Markt dafür wenig lukrativ ist, warnte am Wochenende der deutsche Toxikologe Dietrich Mebs beim Kongress des deutschen Centrums für Reisemedizin (CRM). Die Herstellung eines wirksamen Antiserums wurde sogar eingestellt.

Erst vor kurzem sorgten Meldungen weltweit für Aufsehen, die von den Arbeiten von Liverpooler Tropenmedizinern für ein neuartiges "Universal-Gegengift" zumindest nach Schlangenbissen in Schwarzafrika sprachen. Doch soweit ist es noch nicht. Es mangelt weiterhin und zunehmend an den bereits vorhandenen Gegenmitteln.

Das Problem wird mit Sicherheit unterschätzt. "Die tatsächlichen Zahlen (der Opfer; Anm.) liegen sicherlich deutlich höher. In abgelegenen oder von Kriegen betroffenen Regionen werden Schlangenbisse oft nicht registriert", erklärte Mebs.

Umso schwerer wirken deshalb auch die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Erzeugung und Bereitstellung der Antisera. Meist sind es ärmere oder marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die mit den Schlangen in Kontakt kommen und Bisse davontragen. Entsprechend gering ist der Marktanreiz für Erforschung und Herstellung der Gegengifte, die außerdem äußerst aufwendig sind. Über Monate hinweg müssen große Säugetiere - meist Pferde, aber auch Schafe oder Rinder - mit steigenden Dosen des Schlangengiftes immunisiert werden. In ihrem Blutserum finden sich dann große Mengen von Antikörpern, die das Gift neutralisieren können, schrieb das CRM aus Anlass einer Pressekonferenz zu der Tagung.

Nahezu für jede Schlangenart braucht es ein eigenes Gegenmittel

"Ihre Herstellung ist zwar aufwendig, doch sind die Antiseren sehr spezifisch für ihre Anwendung", erklärte Mebs. Weil unterschiedliche Schlangenarten unterschiedliche Gifte besitzen, müsse für nahezu jede Schlangenart ein eigenes Antiserum hergestellt werden. "Selbst das Gift einer Kobra aus Afrika ist mit dem einer Kobra aus Indien oder China nicht vergleichbar."

Und schließlich müssen die Antisera - Antivenine genannt - auch noch in den betroffenen Regionen verfügbar gehalten werden. Doch der Antivenin-Markt befindet sich seit Jahren in einer Abwärtsspirale. "Hier haben billige, aber leider auch weitgehend unwirksame Produkte aus China und Indien den Markt erobert", berichtete der Toxikologe. Für das französische Unternehmen Sanofi-Pasteur habe sich die Herstellung des sehr wirksamen Antiserums Fav-Afrique, das gegen alle wichtigen Schlangengifte Subsahara-Afrikas gerichtet war, letztlich nicht mehr gelohnt. 2010 sei die Produktion eingestellt worden, obwohl Sanofi-Pasteur sein Know-how sogar kostenlos zur Verfügung gestellt habe.

Lösungsansätze sind da, aber zu langsam wirksam

Das deutsche Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg hat Lösungsansätze entwickelt. Als Eckpfeiler für eine bessere Antiserum-Versorgung werden dort einheitlichere Regelungen für klinische Studien und Zulassungen genannt, eine Stärkung der lokalen Produktion und eine Ausweitung der universellen Gesundheitsversorgung, die im Idealfall die Kosten für die Behandlung übernimmt. Für Maßnahmen wie diese hat die Weltgesundheitsorganisation WHO mittlerweile Gelder in Millionenhöhe zur Verfügung gestellt. Sie hatte die Vergiftungen durch Schlangenbisse im Jahr 2017 zur "Neglected Disease" (vernachlässigte Krankheit; Übers.) erklärt. "Diese Mittel fließen jedoch zunächst in die Erforschung und Entwicklung von Antiseren", erläutert Mebs.

Das sei aber zu langsam wirksam. In Südafrika würden bereits wirksame, für den afrikanischen Markt geeignete - aber für viele Länder zu teure - Antiseren hergestellt. Eine schnelle Beseitigung der Finanzierungslücke könne die Versorgungskrise südlich der Sahara sehr viel schneller beenden als Neuentwicklungen, betonte der deutsche Toxikologe. "So aber sterben nicht nur in Afrika weiterhin Menschen nach dem Biss einer Giftschlange oder leiden lebenslang unter den Folgen - etwa, wenn eine Hand, ein Arm oder ein Bein amputiert werden musste."

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