In den sozialen Medien kursiert ein Videoausschnitt von einer früheren Topmodel-Staffel: Eine junge, gertenschlanke Kandidatin steht in Unterwäsche vor der dreiköpfigen Jury, Heidi Klum in der Mitte, und bekommt von Juror Thomas Hayo ein Maßband um den Körper gewickelt. Dass der Hüftumfang der 16-Jährigen um zwei Zentimeter mehr geworden ist, gefällt Model-Mama Heidi gar nicht. „Die Zahl war ja schon vorher recht hoch“, sagt sie tadelnd.
Aus heutiger Sicht wirkt die Szene völlig aus der Zeit gefallen. „Mobbing auf höchstem Niveau“ und „Diese Sendung gehört verboten“, schreiben Millennials auf Instagram unter den Clip.
Viele von ihnen, die mit „Germany’s Next Topmodel“ groß geworden sind, geben Heidi Klum die Schuld für ihr verzerrtes Körperbild.
Einseitiges Bild von Schönheit
20 Jahre „GNTM“ zur besten Sendezeit haben Spuren bei den Zuseherinnen hinterlassen. Das bemerkt auch Tanja Stadelmann, Psychologin für Essstörungen, in ihrer Praxis. Zwar sei das TV-Format nicht alleine für den Anstieg von Magersucht oder Bulimie verantwortlich, betont sie. Einen Zusammenhang sieht die Therapeutin dennoch. Schließlich habe „GNTM“ ein sehr einseitiges Bild von Schönheit – groß, schlank, makellos – vermittelt.
„In meiner Arbeit begegnen mir regelmäßig Menschen, die mir erzählen, dass ,GNTM‘ stark dazu beigetragen hat, dass sie eine Essstörung entwickelt haben“, sagt Stadelmann. „Viele berichten, dass sie sich nach jeder Folge unwohl fühlten, ihren Körper als nicht gut genug wahrnahmen. Sie begannen, Kalorien zu zählen und weniger zu essen, übermäßig Sport zu treiben und sich schlecht zu fühlen, da sie weder 1,75 Meter groß waren, noch Größe 34 hatten.“
Neue Vielfalt und Body Positivity
Die 14-jährige Selina war noch nicht geboren, als die ersten Staffeln der Castingshow über die Bildschirme flimmerten. Die jüngeren Ausgaben hat sie aber verfolgt. „Statt die Models als professionelle Persönlichkeiten zu zeigen, wird der Fokus auf Rivalität und Sensationen gelegt“, kritisiert die Schülerin. „Auch die häufige Sexualisierung der Teilnehmerinnen bei Fotoshootings ist ein falsches Signal. Es geht oft weniger um ihr Können als um ihr Aussehen.“
Vor einigen Jahren reagierte Heidi Klum, selbst Mama von vier Teenagern, auf die anhaltende Kritik und krempelte das Sendungskonzept radikal um. In Sachen Körpermaße, Alter und Geschlecht gibt es nun keine Vorgaben mehr – das Gesamtpaket muss stimmen. Selina findet die Entwicklung hin zu mehr Diversität gut. „Früher gab es nur ein Schönheitsideal, aber heute wird mehr auf Vielfalt geachtet – in Körperformen, Hautfarben und Herkunft. Dass auch Männer dabei sind, zeigt, dass Schönheit viele Formen haben kann.“
Auch die Psychologin begrüßt den neuen Stil der Show. „Meines Erachtens kann es ein aufrichtiger Versuch sein, die Diversität in der Modewelt zu fördern. Andererseits lässt sich jedoch nicht leugnen, dass Body Positivity in den vergangenen Jahren zu einem lukrativen Trend geworden ist“, merkt Stadelmann an.
Bleibt die Frage, ob es den Produzenten tatsächlich um die Repräsentation diverser Körpertypen oder rein um die Quote geht. „Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen.“
Kommentare