Alkoholsucht bei Frauen - ein blinder Fleck?
Mit 14 Jahren trank Karin bereits den Rum, den ihre Mutter zum Backen verwendete. Nachts, wenn der Schlaf nicht kommen wollte, oder wenn der Druck in der Schule oder zu Hause zu groß wurde. Sie trank bis in ihre 20er heimlich und bemerkte lange Zeit nicht, dass etwas nicht stimmt.
"Ich dachte jeder Mensch geht im Leben so mit seinen Problemen um." Die heute 66-Jährige versteckte ihren Alkohol vor ihrer Familie und trank sogar in der Arbeit. Mit ihren Lebensumständen hatte das nichts zu tun: "Ich hatte alles. Ein Haus, eine Familie, einen tollen Job."
Riskanter Alkoholkonsum bei jungen Frauen steigt
Seit 2015 nimmt riskanter Alkoholkonsum bei Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren zu. Das zeigt die Alkoholsurvey 2022 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Deutschland. Daraus geht ebenfalls hervor, dass immer mehr Frauen täglich Alkohol trinken, in Mengen, die "ein Gläschen" deutlich übersteigen.
Eine weitere repräsentative Umfrage der BZgA aus dem Jahr 2021 zeigt, dass 16,4 Prozent der befragten Frauen in dieser Altersgruppe innerhalb von 12 Monaten gesundheitlich riskante Mengen an Alkohol tranken. Bei den Männern waren es 16,9 Prozent.
In Österreich haben laut Schätzungen des Sozialministeriums aus dem Jahr 2022 19 Prozent der Männer und 11 Prozent der Frauen einen längerfristig gesundheitsschädlichen Alkoholkonsum.
Fehlendes Bewusstsein bei jungen Leuten
Vor allem junge Frauen holen beim riskanten Alkoholkonsum auf. Laut Regina Walter-Philipp, der ärztlichen Leiterin der Suchthilfe Wien, gibt es in diesen jungen Altersgruppen noch kein Problembewusstsein, da Alkohol gesellschaftlich anerkannt ist. "Junge Leute wollen sich ausprobieren. Es muss aber ein Substanzbewusstsein geschaffen werden, da Alkohol ein Zellgift ist und medizinisch gesehen auf lange Sicht gravierende Folgen auf den Körper hat", erklärt Walter-Philipp. Trinken von Alkohol ist der Gesundheit nie förderlich: "Alkoholerkrankung ist eine schleichende Krankheit, das passiert nicht von heute auf morgen."
Als riskanter Alkoholkonsum wird eine Trinkmenge bezeichnet, die das Risiko von schädlichen Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit erhöht. Laut internationaler Definition ist ein riskanter Alkoholkonsum gegeben, wenn
- Frauen täglich mehr als 16 Gramm reinen Alkohol trinken,
- Männer täglich mehr als 24 Gramm reinen Alkohol trinken.
Allerdings betont die WHO, dass jede Menge an Alkohol gesundheitlich bedenklich sei.
Barbara Schreder-Gegenhuber ist administrative Leiterin der Gesundheitsgreisslerei - einer Wiener Suchthilfe-Einrichtung speziell für Frauen. Die Gründe für den erhöhten Konsum bei Frauen in den vergangenen Jahren sieht sie unter anderem in Veränderungen der Lebenssituation und den damit einhergehenden Belastungen von Frauen.
Mehrfachbelastung
Frauen sind mittlerweile stärker in den Arbeitsmarkt eingebunden, heiraten später und bekommen in einem höheren Alter Kinder. Auch treten Frauen immer öfter in Berufe ein, die von Männern dominiert sind und übernehmen den dort üblichen Umgang mit Alkohol. "Studien zeigen, dass der Konsum von Alkohol (für Frauen) ein sichtbares Zeichen der Teilhabe an männlichen Privilegien sein kann", erklärt Schreder-Gegenhuber.
Außerdem trifft Frauen laut der Expertin auch eine Mehrfachbelastung: "Es fehlt die Aufgabenaufteilung. Der Anteil von Care-Arbeit, wie Kindererziehung, Angehörigenpflege oder Haushaltsarbeit hängt noch immer an den Frauen."
Frauen helfen Frauen
Das Angebot der Gesundheitsgreisslerei besteht seit 2020 und richtet sich gezielt an Frauen mit Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Speziell in der Behandlung von Frauen geht es laut Schreder-Gegenhuber um die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen der Sucht, wie die unterschiedlichen Rollenerwartungen der Geschlechter oder die Stigmatisierung von suchtkranken Müttern.
Ebenso haben viele der betroffenen Frauen sexuellen Missbrauch oder Gewalterfahrungen in der Familie oder Partnerschaft durch Männer erfahren. "Diese Frauen brauchen einen geschützten Rahmen, in dem sie sich öffnen können. Vielen fällt das unter Frauen leichter. Es entsteht dann ein Gefühl der Solidarisierung - 'Ich bin damit nicht allein' ", sagt Schreder-Gegenhuber.
Das Hilfsangebot der Gesundheitsgreisslerei umfasst Einzeltherapie, Gruppengespräche, psychiatrische Betreuung, Kunsttherapie und sozialarbeiterische Hilfe. Die Leistungen sind für die rund 140 Frauen, die momentan dort betreut werden, im Rahmen der Initiative "Alkohol. Leben können" kostenlos.
Weibliche Alkoholsucht - ein gesellschaftliches Tabu?
Alkoholsucht kann lange Zeit unbemerkt bleiben, zumal in Österreich Alkohol fester Bestandteil sozialer Treffen und Kultur ist. Hinzu kommt, dass der Alkoholkonsum von Frauen laut Schreder-Gegenhuber auch öfter als bei Männern hinter verschlossenen Türen passiert. Alkoholsucht sei bei Frauen immer noch stärker stigmatisiert als bei Männern.
Auch die eingangs beschriebene Betroffene Karin empfand das so: "Man hat damals (1986) schon gesagt: 'Ein Mann, der trinkt, ist eine Katastrophe. Aber eine Frau, die trinkt, ist das Allerletzte' " Diese Stigmatisierung verleite Frauen dazu, heimlich zu trinken, um sich einem möglichen Werturteil zu entziehen.
Obwohl Karin sich bemühte, ihren Alkoholkonsum zu verstecken, merkte ihr Umfeld, dass sie ein Problem hatte. Im Alter von 29 Jahren entschloss sie sich, zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker (AA) zu gehen. "Um zu so einem Treffen zu gehen, muss man zuerst einmal den Mut fassen." Heute ist Karin trocken, doch "ohne die AA hätte ich das nie geschafft".
Hilfsangebote:
- Alkohol. Leben können.
Telefon: +43 1 4000-53640 - ARGE Suchtvorbeugung
Telefon: +43 1 4000-87334 - alkcoach
Online, anonym, kostenlos - Gesundheitsgreisslerei
Telefon: +43 1 8904543 - Anonyme Alkoholiker
Telefon: +43 1 7995599 - Suchthilfe Wien
Telefon: +43 14000-53600
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