Nobelpreisträger Ferenc Krausz: "Die Zuversicht nie verlieren"
Nicht nur große Freude, sondern auch „ein ganz starkes Gefühl der Demut“ hat der ungarisch-österreichischen Physiker Ferenc Krausz bei der Verleihung des Nobelpreises für Physik am 10. Dezember in Stockholm empfunden. Er möchte dafür nicht nur den drei Ländern, die seine Karriere geprägt haben, etwas zurückgeben, sondern seine Popularität auch für Kinder und Jugendliche in der Ukraine einsetzen.
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KURIER: Herr Prof. Ferenc Krausz, wie hat sich Ihr Leben seit der Bekanntgabe der Nobelpreisträger Anfang Oktober verändert?
Ferenc Krausz: Ganz grundlegend. Seither kann ich mich eigentlich überhaupt nicht mehr der Arbeit widmen, die bis dahin mein Leben war, sondern hatte mehr oder weniger ausschließlich mit Medien zu tun. Ich habe von drei Ländern – Ungarn, Österreich, Deutschland – sehr viel bekommen, alle drei waren sehr wichtig, um diese Anerkennung zu verdienen. Und daher bin ich auch sehr sehr dankbar, dass ich jetzt drei Ländern etwas zurückgeben kann – aber das kostet dementsprechende Anstrengungen.
Sie betonen, von den drei Ländern gleichermaßen wichtige Impulse erhalten zu haben. Welcher aus Österreich war besonders wichtig?
Hier muss ich mit einem Namen beginnen, und der heißt Arnold Schmidt (emeritierter Professor der TU Wien und Doktorvater von Krausz, Anm.). Er hat mir bereits in meinen ganz jungen Jahren größtmögliche Freiheiten in meiner Forschung gewährt, was nicht selbstverständlich ist – und er hat mir immer wegweisende Ratschläge gegeben, in welche Richtung ich meine Aufmerksamkeit lenken soll. Ohne seine Unterstützung und seine Rolle als Mentor wäre es ganz gewiss nicht zu dieser Anerkennung durch die Königliche Schwedische Akademie gekommen.
2001 gelang es an der TU Wien Ihnen und Ihren Kollegen, die ersten isolierten Attosekundenblitze der Welt zu erzeugen (siehe unten). Das war ein Durchbruch. Was haben Sie damals empfunden?
Wir waren einerseits sehr aufgeregt, andererseits aber auch schon sehr, sehr müde, weil es zwischen 4 und 5 Uhr in der Früh war. Persönlich habe ich es so empfunden, dass wir damit die Tür in eine unbekannte Welt aufgestoßen haben, in die Welt der Elektronenbewegungen, die bis dahin als unmessbar schnell galten. Alles, was an biologischen, biochemischen Vorgängen in unserem Körper abläuft, ist auf der grundlegendsten, fundamentalsten Ebene eine Folge der Elektronenbewegungen.
Ferenc Krausz gelang als erstem die Herstellung von Lichtblitzen (Laserpulsen) in der Kürze von Attosekunden.
Eine Attosekunde ist das Milliardstel einer milliardstel Sekunde: Sie verhält sich damit zu einer Sekunde so wie eine Sekunde zum Alter des Universums. Mit derart ultrakurzen Lichtblitzen lassen sich die Bewegungen einzelner Elektronen in Molekülen und Atomen verfolgen, vergleichbar mit einer Kamera mit einer Belichtungszeit im Attosekundenbereich: Je schneller sich ein Objekt bewegt, umso kürzer muss die Belichtungszeit sein.
Ein anderer Erklärungsversuch ist "Nano-Nano-Sekunde", wie Krausz sagt: "Das kann man sich leicht merken. Zur Nanosekunde haben wir noch eine gewisse Beziehung, weil das die Zeitskala ist, in der die moderne Elektronik funktioniert. In einem Bruchteil einer Nanosekunde werde der elektrische Strom in unseren elektronischen Geräten ein- und ausgeschalten. "Und eine Attosekunde ist dann nochmals viel viel schneller."
Eine weitere Erklärung von Krausz: "Das Schnellste, was wir kennen, ist Licht. In einer Sekunde kann es die Erde ungefähr acht Mal umrunden. Innerhalb einer Attosekunde käme es gerade von einem zum anderen Ende eines einzigen Wassermoleküls."
Wenn wir also verstehen wollen, wie der menschliche Organismus funktioniert, wie Krankheiten entstehen, dann werden wir auch verstehen müssen, mit welchen Elektronenbewegungen etwa eine Krebserkrankung ihren Lauf nimmt. Die Werkzeuge, die wir mit der Attosekundenphysik für die Beobachtung dieser Elektronenbewegungen entwickelt haben, können auch eingesetzt werden, um Veränderungen, die durch eine Krankheit verursacht worden sind, zu detektieren. Das möchten wir für die Früherkennung von Krankheiten nützen.
Wie funktioniert das genau?
Wir können mit sehr kurzen Infrarotpulsen die Moleküle in Proben von Blutplasma in Schwingung bringen. Diese vibrierenden Moleküle strahlen daraufhin ihrerseits Infrarotwellen aus. Wenn man dieses Signal präzise messen kann, dann liefert es eine Information über die molekulare Zusammensetzung der Blutprobe. Und diese Zusammensetzung verändert sich, wenn eine Krankheit entsteht. Die Attosekundenmesstechnik ist empfindlich genug, den Infrarot-Fingerabdruck eines Krebspatienten von dem eines Gesunden zu unterscheiden.
Ferenc Krausz
1962 in Ungarn geboren, studierte er von 1981 bis 1985 Theoretische Physik und Elektrotechnik in Budapest
1987 kam er nach Österreich an die TU Wien, 1999 wurde er an dieser ordentlicher Professor. 2002 verlieh ihm der Wissenschaftsfonds FWF den Wittgenstein-Preis, die höchstdotierte Wissenschaftsauszeichnung Österreichs
Seit 2003 ist er in Deutschland Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München, seit 2004 auch Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Er besitzt die ungarische und die österreichische Staatsbürgerschaft
Idealerweise würde man jährlich präventiv eine Blutabnahme machen und dabei seinen eigenen Infrarot-Fingerabdruck erstellen lassen. Wir haben eine Computersimulation durchgeführt, die zeigt: Kennt man diese molekularen Daten einer Person über viele Jahre, kann Lungenkrebs zu über 90 Prozent im Stadium 1 nachgewiesen werden.
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Mit Unterstützung der ungarischen Regierung haben wir vor drei Jahren eine große Studie klinische Studie mit 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausrollen können, die wir regelmäßig zur Blutabnahme einladen. Über einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren haben wir dann 10 bis 12 Blutproben pro Person. Leider wird ein Teil der Personen im Beobachtungszeitram erkranken, etwa an Krebs, Herzgefäß-Leiden oder zum Beispiel an Diabetes. Für jedes Stadium der Entstehung einer Krankheit werden wir Blutproben haben. Dann können wir diese Proben mit unserem Infrarot-Fingerabdruck analysieren und feststellen, in einem wie frühen Stadium der Erkrankung die Methode schon sehr signifikante Signale für eine verlässliche Diagnose misst.
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Neben Ihrer Forschung setzen Sie sich auch sehr für Kinder in der Ukraine ein – wie tun Sie das?
Zwei Monate nach Ausbruch des Krieges habe ich die Organisation Science4People gegründet. Ich hatte den Eindruck, dass diejenigen, die aus der Ukraine geflohen sind, in Europa mittlerweile ganz gut versorgt sind. Aber es gibt viele Millionen, die das Land nicht verlassen wollen oder auch nicht können. Besonders leiden die Kinder, weil ihnen in einer ganz wichtigen Phase ihrer Entwicklung der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Wir sammeln einerseits Sachspenden für Schulen, elektronische Geräte wie Computer oder Beamer, aber in erster Linie Geldspenden. In unserem Projekt „Skola plus“ engagieren wir Lehrerinnen und Lehrer für Nachhilfe, damit Kinder, die Unterstützung benötigen, aufholen können. Und es gibt Extrastunden für besonders talentierte Jugendliche, um ihre Talente weiterentwickeln zu können. Angefangen haben wir in der Westukraine, mittlerweile weiten wir das Programm Schritt für Schritt in Richtung Osten, in die Nähe der Frontlinie, aus.
Seit Ausbruch des Krieges waren Sie bereits acht Mal in der Ukraine. Können Sie trotz der Not mit Zuversicht ins kommende Jahr blicken?
Wenn man sich ansieht, was auf der Bühne der Weltpolitik alles passiert bzw. nicht passiert, dann gehört viel Idealismus dazu, um zuversichtlich zu sein. Aber man sollte die Zuversicht nie verlieren, weil sie nährt ja auch die Motivation zu helfen. Und ich ermutige alle, die ein Herz für Kinder haben, zu helfen, sei der Beitrag noch so klein. Mit einer Spende von sechs Euro kann bereits eine Nachhilfestunde für 10 bis 20 Kinder finanziert werden. So wichtig diese Hilfe ist, gibt es aber etwas, was den Menschen in der Ukraine noch mehr bedeutet: Die Wahrnehmung, dass es im Westen viele gibt, die sich um sie kümmern wollen.
Spenden: Science4People e. V., IBAN: DE 41 7025 0150 0023 0717 31 Kreissparkasse München Starnberg Ebersberg
Internet: www.science4people.org
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