Eisenmangel: Wenn mehr hinter der Wintermüdigkeit steckt
Tiefe Müdigkeit? Das könnte nicht nur Weihnachtsstress oder Winterblues oder sein.
Trübes Wetter, wenig Sonnenlicht, dazu die Hektik der Vorweihnachtszeit: Im Dezember sind wir oft müde. Und doch tritt bei manchen Menschen, insbesondere bei Frauen, eine andere Art der Erschöpfung auf – eine scheinbar unerklärliche Antriebslosigkeit, die vielleicht mit Haarausfall, einem blassen Erscheinungsbild und dem Gefühl einhergeht, nie so richtig warm zu werden.
Die Betroffenen suchen möglicherweise einen Schilddrüsenspezialisten auf oder gehen zum Hautarzt, um den Haarausfall abzuklären. Doch die Werte sind stets in Ordnung. Erst nach Monaten – manchmal erst nach Jahren – wird die tatsächliche Ursache gefunden: Eisenmangel.
Vor Weihnachten und Silvester sind viele dauermüde. Doch bei manchen hat die Müdigkeit eine andere Ursache.
Das ist ein ernstes gesundheitliches Problem. Die Global Burden of Disease Study der University of Washington stuft Eisenmangelanämie mittlerweile als eine der fünf Hauptursachen für Beeinträchtigungen bei Frauen im gebärfähigen Alter ein.
Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, wundert das nicht. Die Ärztin für Allgemeinmedizin litt jahrelang selbst an einem Eisenmangel: „Alles, was Frauen im Speziellen betrifft, wird in der österreichischen Medizin noch immer stiefmütterlich behandelt.“ Seien das reine Frauenthemen wie Menopause und Endometriose oder Erkrankungen, die vermehrt bei Frauen auftreten, wie Schilddrüsenprobleme und der angesprochene Eisenmangel.
Sauerstoff im Blut
„Das Gesundheitssystem vernachlässigt hier Frauen in den sensibelsten Phasen ihres Lebens.“ Tritt Eisenmangel doch verstärkt bei Frauen im gebärfähigen Alter auf.
Naghme Kamaleyan-Schmied hat sich auf Eisenmangel konzentriert.
Laut dem Gesundheitsportal der österreichischem Bundesregierung sollten Frauen vor der Menopause deshalb täglich 16 Milligramm Eisen zu sich nehmen. (Nicht nur 11 Milligramm wie bei den Männern.) Schwangeren wird 30 Milligramm Eisen empfohlen.
Das Problem: Die beste Eisenquelle ist rotes Fleisch in Kombination mit Vitamin C. „Doch immer weniger Menschen essen ausreichend davon“, sagt Naghme Kamaleyan-Schmied. „Stattdessen wird zu Hühnerfleisch gegriffen, das deutlich weniger Eisen hat.“ Alternativ ernähren sich Personen vegetarisch oder vegan – oft, ohne sich über Substitutionen zu informieren.
Doch selbst wenn Frauen darauf achten, vermehrt Linsen, rote Rüben oder eben etwas mehr rotes Fleisch zu sich zu nehmen, gibt es noch immer die monatlichen Regelblutungen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO verlieren Frauen über den Zyklus im Jahr zwischen 180 und 360 Milligramm Eisen.
Hürden bis zur Diagnose
„Bei vielen Frauen entsteht der Eisenmangel schleichend, deshalb sind die Symptome für die Patientin bzw. auch den Patienten sehr spät wahrnehmbar und sie kommen erst relativ spät zum Arzt“, ergänzt die Allgemeinmedizinerin. Erhalten Frauen die Diagnose Eisenmangel, kommt oft die nächste Hürde: „Eisentabletten werden von vielen nicht gut vertragen.“
Sie verursachen häufig heftige Nebenwirkungen wie Magenschmerzen, Verstopfung oder Erbrechen. Außerdem kann der Körper auf diesem Weg oft nicht ausreichend Eisen aufnehmen.
Die Zahlen
Bis zu 20 Prozent der österreichischen Frauen im gebärfähigen Alter könnten an Eisenmangel leiden. Dieser Mangel führt von Müdigkeit über eingeschränkte Leistungsfähigkeit bis zur Atemnot.
Die Empfehlung
Frauen vor der Menopause sollten tägliche 16 mg Eisen zu sich nehmen, Schwangere bis zu 30 mg. Rotes Fleisch, Linsen oder Vollkornreis sind gute Eisenquellen. Vitamin C hilft bei der Eisenaufnahme.
Die Alternative sind Eiseninfusionen, doch diese werden in Österreich nur dann von der Krankenkasse übernommen, wenn die Einnahme von Tabletten nicht ausreichend wirkt oder nicht vertragen wird. Und auch dann mahnt Naghme Kamaleyan-Schmied zur Vorsicht. „Eiseninfusionen können allergische Reaktionen auslösen.“
Deshalb sei es wichtig, dass sie in speziell ausgestatteten Praxen verabreicht werden. Praxen wie ihre eigene, in der sich Kamaleyan-Schmied seit 15 Jahren auf Eisenmangel spezialisiert.
Appell an Frauen
Um den Mangel frühzeitig zu erkennen, rät die Allgemeinmedizinerin Frauen zu einem jährlichen Blutbild im Zuge der Vorsorgeuntersuchung. „Dann kann man gut beobachten, wenn sich etwas verändert.“
Für eine bessere Gesundheitsversorgung sieht sie die Verantwortung zum einen bei der Medizin, die bezüglich Frauenmedizin sensibler werden muss.
Doch ihr Appell richtet sich auch an alle Frauen. „Oft stellen wir unsere Bedürfnisse hinten an: Zuerst kommen die Kinder, der Ehemann, die Eltern. Das muss sich ändern.“
Frauen sollten lernen, einander besser zuzuhören. Symptome ernst zu nehmen und sich nicht als hysterisch oder depressiv abwinken zu lassen. „Erst wenn wir Frauen über tabuisierte Themen wie Regelschmerzen, Menopause oder starke Regelblutungen reden, werden unsere Leiden sichtbar. Erst dann können wir echte Fortschritte bei der Frauengesundheit und in der Vorsorge machen.“
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