Karin Gutiérrez-Lobos: Die Person geht nicht mehr ans Telefon, pflegt nur mehr knappe Kontaktaufnahmen. Dazu kommen oft Reizbarkeit und Niedergeschlagenheit. Einsamkeit geht oft auch einher mit erhöhtem Stresserleben, Schlafstörungen, Substanzabhängigkeit – Nikotin, Alkohol. Diese Erkrankungen sind hochgradig mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert.
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Wie kommt man aus seiner Einsamkeit wieder heraus, wenn die Kontakte bereits fehlen?
In der Forschung definieren wir Einsamkeit als subjektives Gefühl der Diskrepanz zwischen erwünschten und existierenden sozialen Beziehungen, das als unangenehm erlebt wird. Sie ist eine im Lebensverlauf wiederkehrende und zunächst völlig normale Erscheinung. Im Optimalfall verspürt das Individuum das Bedürfnis, sich wieder zu integrieren und verändert infolgedessen sein Verhalten. Das heißt, Kontakte werden wieder hergestellt. Wenn ein soziales Netz besteht, kann Einsamkeit auch einmal gut verkraftet werden. Schwieriger ist es allerdings, wenn keines (mehr) besteht.
Wer allein ist, muss nicht zwingend auch einsam sein. Wo liegen die Unterschiede?
Umgangssprachlich werden die Begriffe Alleinsein, Einsamkeit und Isolation oft gleichgesetzt. Eine präzise Definition ist aber wichtig, nicht zuletzt für eventuelle Interventionen: Einsamkeit ist ein subjektiv erlebtes Defizit an sozialen Kontakten, und eine starke psychische Belastung, während Alleinsein als objektiver Zustand des (vorübergehenden) Getrenntseins von anderen definiert wird. Soziale Isolation wiederum ist eine objektive Distanz und ein Mangel an Kontakten, etwa während einer Quarantäne.
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Wer ist denn besonders gefährdet, einsam zu sein oder zu werden?
Es sind eher Lebensumbrüche, die ein Risiko darstellen. Generell wird Einsamkeit hauptsächlich bei älteren Menschen verortet. Das stimmt so aber nicht. Es ist ein sehr populärer Mythos, dass hauptsächlich höheres Alter mit Einsamkeit verbunden ist, das wird wissenschaftlich nicht erhärtet. Auch Jugendliche und junge Erwachsene sind in ähnlichem Ausmaß betroffen. In der Pandemie zeigte sich beispielsweise, dass Isolation und soziale Distanz größere Auswirkungen auf Jugendliche hatten als auf ältere Menschen. Aus Untersuchungen weiß man außerdem: Die steigende Anzahl von Singlehaushalten in Europa geht nicht mit höherer Einsamkeit einher.
Welche Rolle spielen soziale Medien bei der Vereinsamung der Menschen?
Soziale Medien suggerieren ja oft maximale Vernetzung. Die Qualität der Beziehung und die echte Verbundenheit bleiben dabei aber oft auf der Strecke. Eine ausschließliche Kontaktaufnahme über soziale Medien könnte wohl eher ein Zeichen bereits stattfindenden Rückzugs sein. Studien haben auch gezeigt: Je mehr Zeit junge Erwachsene in sozialen Medien verbringen, umso eher fühlen sie sich einsam.
Digitale Kommunikation generell kann beides: Einsamkeit erhöhen oder auch reduzieren. Letzteres war zum Beispiel in den Krisenjahren der Pandemie für therapeutische Zwecke hilfreich. Digitale Medien erleichtern zwar die Kontaktaufnahme, aber ein Langzeiteffekt auf Einsamkeit ist fraglich. Zudem besteht für ältere Menschen oder bestimmte soziale Gruppen oft nur ein limitierter Zugang.
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Wo wird in einer Therapie angesetzt?
Allgemeingültige Maßnahmen gibt es nicht. Sie müssen immer wieder flexibel an die spezifischen Gegebenheiten angepasst und nach den Bedürfnissen der Betroffenen ausgerichtet werden. Maßnahmen, die auf aktiver Teilnahme aufbauen, sind allerdings erfahrungsgemäß effektiver als jene, die auf passive Teilnahme fokussiert sind.
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