Digitalisierung für mehr Gesundheit: "Österreich in Verzug"

Woman making video call to doctor
Ein Wiener Psychiater sieht Vorsprung Deutschlands von rund fünf Jahren - möglicher Schub durch Covid-19.

Telemedizin ist in der Covid-19-Pandemie plötzlich wichtig geworden. In Österreich werden ELGA, der elektronische Impfpass und das E-Rezept als Schritte zur Digitalisierung des Gesundheitswesens gepriesen. Doch direkt gesundheitsfördernd oder gar "heilend" sind sie nicht. "Wir sind im Vergleich zu Deutschland vier bis fünf Jahre in Verzug", sagte jetzt der Wiener Psychiater und Gesundheits-App-Entwickler Lukas Pezawas (MedUni Wien/AKH). Aufholen sei dringend notwendig.

Apps auch in der Kassenmedizin

Pezawas, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Leitender Oberarzt an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Wien, nannte Argumente für das Etablieren von geprüften Gesundheits-Apps in der modernen Medizin, auch in der Kassenmedizin.

Zu seinem Fachgebiet: "Ein Viertel der Menschen erkrankt im Leben an einer Depression. Pro Jahr sind das acht bis zehn Prozent der Menschen. Das sind viel zu viele Betroffene für eine Face-to-Face-Psychotherapie. In der Allgemeinmedizin machen Patienten mit Depressionen zehn Prozent der Versorgten aus, beim Psychiater etwa 20 Prozent. Das allein wäre schon ein breites Feld für digitale Gesundheitsanwendungen. Bisher hat die Digitalisierung des österreichischen Gesundheitswesens vor allem die Verwaltung betroffen, nicht die Versorgung an sich."

Gerade die Psychiatrie könnte als Paradebeispiel dienen. Die Behandlung psychischer Erkrankungen kann langwierig sein, bei weitem nicht immer ist sie auf Anhieb erfolgreich, sodass die Therapieintensität im Laufe der Behandlung unter Umständen sogar gesteigert werden muss.

Drei Mal mehr Depressive in der Pandemie

Umso mehr gilt, dass im Bedarfsfall rasch und unbürokratisch eine niederschwellige Hilfe angeboten wird. Digitale Gesundheitsanwendungen können bei leicht- bis mittelgradig depressiven Patienten als Therapie ausreichend sein und bei schwereren Fällen die Wirksamkeit von Medikamenten oder Psychotherapie verstärken - auch würden digitale Gesundheitsanwendungen lange Wartezeiten bei Psychiatern oder Therapeuten überbrücken.

"Seit Beginn der Pandemie hat sich die Anzahl an depressiven Patienten weltweit bis zu verdreifacht, was künftig zu einer Herausforderung für die Versorgung psychisch kranker und insbesondere depressiver Patienten führen wird. Aufgrund der enormen Anzahl an depressiven Patienten, die Pandemie-bedingt noch weiter steigen wird, ist eine Versorgung dieser Patienten ausschließlich durch Face-to-Face Psychotherapie aufgrund der schier großen Zahl an Patienten nicht einmal theoretisch denkbar, weshalb dem Großteil depressiver Patienten auch schon heute keine psychotherapeutische Behandlung zugänglich ist", argumentierte der Psychiater.

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