Dengue-Impfstoff, Diabetes und HIV: 54 neue, innovative Medikamente

Die Bandbreite ist groß - es gibt neue Therapiemöglichkeiten für Menschen mit Diabetes Typ 2, für HIV-Infizierte, für Menschen mit Krebserkrankungen: 54 Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff sind 2022 in der EU und damit auch in Österreich zugelassen worden. Das ist ein deutlicher Anstieg um fast ein Drittel im Vergleich zu den Jahren zuvor. 2021 waren es 41 und 2020 nur 39 neue Wirkstoffe. Insgesamt kamen in den vergangenen zehn Jahren mehr als 400 innovative Arzneimittel auf den Markt.
Laut Günter Waxenecker, neuer Leiter des Geschäftsfeldes Medizinmarktaufsicht der AGES, sind sechs Zulassungen aus dem vergangenen Jahr herausragend:
- Dengue-Impfstoff: Bisher gab es nur einen Impfstoff für Menschen, die bereits eine Infektion hatten, und die in Regionen leben, wo Dengue dauerhaft vorkommt. Auch ist dieser Impfstoff nur für das Alter von neun bis 45 Jahren zugelassen. Seit Dezember ist ein zweiter Impfstoff zugelassen. Und zwar für Menschen, die noch keinen Viruskontakt hatten und der auch für Kleinkinder ab vier Jahren und ältere Menschen eingesetzt werden kann. Damit gibt es grundsätzlich erstmals auch für Reisende eine Impfung zur Prävention von Dengue-Fieber.
- HIV-Medikament: Der erste Wirkstoff (Lenacapavir) aus einer neuen Wirkstoff-Klasse muss nur zwei Mal jährlich als Injektion verabreicht werden. Er greift an den kegelförmigen Hüllen, die das HI-Virus umgeben, an und wirkt gegen multiresistente Infektionen. "Solche Langzeitpräparate können für viele Menschen eine große Erleichterung sein", sagt Andrea Brunner, Geschäftsführerin der Aids-Hilfe Wien. Etwa für Alleinerzieherinnen, die dann nicht täglich auch noch an die Medikamenteneinnahme denken müssen, oder für Menschen mit vielen Dienstreisen oder Menschen, die nicht täglich durch ihre Medikamenteneinnahme an die Infektion erinnert werden wollen.
- Prostata-Krebs: Für Männer, die bereits eine antihormonelle Behandlung und eine Chemotherapie erhalten haben und darauf nicht ansprechen, gibt es eine neue zielgerichtete Therapie: Ein Wirkstoff mit radioaktiver Strahlung wird zielgerichtet direkt an die Krebszellen herangebracht.
- Schwarzer Hautkrebs: Hier gibt es eine weitere Kombinationstherapie von einem neuen Antikörper mit einem bereits länger im Einsatz befindlichen Antikörper, die beide das körpereigene Immunsystem gegen die Krebszellen aktivieren.
- Diabetes-Medikament: Tirzepatid wird als "Zwillingswirkstoff" bezeichnet: Er ahmt die Funktion von zwei Darmhormonen nach, "das erhöht den Insulinspiegel und den Sättigungsgrad", sagt Waxenegger. In Studien konnte der Wirkstoff den Blutzuckerspiegel und das Körpergewicht statistisch signifikant senken. Angewendet wird er bei Patienten, deren Diabetes mellitus Typ 2 unzureichend eingestellt ist.
- Gentherapie für Bluter: Zugelassen wurde auch die erste Gentherapie zur Behandlung der schweren "Bluterkrankheit" (Hämophilie). Waxenegger: "Hier wird der Gerinnungsfaktor 8 nicht direkt verabreicht, so wie bisher, sondern es wird die DNA dazu verabreicht, und in der Leber kann der Patient selber dann zumindest ein gewisses Basisniveau an Faktor 8 produzieren."
30 Prozent der neuen Wirkstoffe entfallen auf die Onkologie, 9 Prozent auf Medikamente gegen seltene Erkrankungen bei Kindern (Orphan Drugs), 4 Prozent Covid-auf 19-Impfstoffe, 5 Prozent auf Covid-19-Medikamente. 52 Prozent sind Arzneimittel für verschiedene Therapiegebiete (z.B. Erkrankungen des blutbildenden Systems, Migräne, Stoffwechsel-Erkrankungen, HIV, Osteoporose, Asthma).
"Die Bilanz über die Arzneimittel-Innovationen des letzten Jahres ist ein klarer Beleg für die ungebrochene intensive Forschungsarbeit im medizinisch-pharmazeutischen Bereich", erklärt Waxenecker.
Heilung von Hepatitis C
"Innovation zahlt sich aus und stellt für die Gesellschaft einen hohen Wert dar", betont Michael Kreppel-Friedbichler, Vize-Präsident des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI):
- Mit einer Kombinationstherapie von neuen Medikamenten gegen Hepatitis C können innerhalb von bis zu 12 Wochen mehr als 95 Prozent der Infizierten geheilt werden.
- Die Todesrate bei HIV sank seit 1991 um 94 Prozent (Daten aus Kanada).
- Seit dem Jahr 2000 zugelassene neue Therapien gegen Diabetes haben laut kanadischen Daten zu einem Rückgang der Sterblichkeitsrate um 31 Prozent geführt.
- Die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist zwischen 2000 und 2012 um 37 Prozent gesunken.
- Seit 2015 ging die Sterblichkeit an Krebs in Europa bei Männern um 6,6 Prozent, bei Frauen um 4,5 Prozent zurück.
"Die Pharmaindustrie hat mit 12,4 Prozent des Umsatzes die höchste Quote für Forschung und Entwicklung aller Technologiesektoren - deutlich vor der Kommunikationsindustrie", sagt Kreppel-Friedbichler.
Mehr als 55 Prozent der F&E-Kosten entfallen auf klinische Studien mit Patientinnen und Patienten. Zwar liegt die Zahl der jährlich neu gestarteten Studien seit einigen Jahren auf einem stabilen Niveau, im Vorjahr etwa wurden 284 neue klinische Prüfungen gestartet. "Wir drohen im internationalen Wettbewerb um klinische Studien aber den Anschluss zu verlieren", betont Kreppel-Friedbichler. "Weil auf der einen Seite in den USA und in Asien das Biontech-Investment durch die Decke geht, während es in Europa immer schwieriger wird."
Mehr Vernetzung
"Wir haben viele hochkompetente Zentren in Österreich, die spezialisiert sind", sagt Markus Zeitlinger, Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie der MedUni Wien. "Aber wir haben aus meiner Sicht eine unzureichende Vernetzung zwischen den Universitäten." Immer wieder komme es vor, dass sich nur ein einziges hochqualifiziertes Zentrum für die Teilnahme an einer internationalen Studie bewirbt, aber für ein Zentrum allein Österreich nicht in die Studie eingebunden wird. Hier sind wir gefordert, die Kompetenz, die wir haben, zu vernetzen und an einen Tisch zu bringen. Und wir haben viele kompetente Zentren in Österreich."
Kommen Studien aber nicht nach Österreich, sei das ein Nachteil für Ärzte und Patienten gleichermaßen, weil sie dadurch später erst Zugang zu den Medikamenten bekommen.
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