Coronavirus: Nachrichten kurbeln auch die Angstspirale an
Dass oft geteilte Geschichten im Netz als „viral“ bezeichnet werden, scheint in diesen Tagen doppelt angemessen: Inhalte, die sich mit dem Coronavirus befassen, verbreiten sich im Internet, vor allem in den sozialen Medien, derzeit noch schneller als das Virus selbst.
Jedoch bringen sie nicht nur nötige Information, sondern kurbeln gleichzeitig eine Angstspirale an, weiß Psychiater Michael Stuller, der sich auf Patienten mit Angststörungen spezialisiert hat.
Sympthikus des Nervensystem schaltet auf Flucht
Pushnachrichten auf dem Handy, Liveticker und reißerische Schlagzeilen – all das bringt den Sympathikus, jenen Teil des vegetativen Nervensystems im Gehirn, der den Körper auf Angriff und Flucht vorbereitet, „zum Feuern“, erklärt der Mediziner. „Dagegen haben Zahlen und Statistiken keine Chance.“
Zum Beispiel jene, dass 2.800 Todesfällen mehr als 36.000 wieder gesund gewordene Coronavirus-Infizierte gegenüber stehen. Oder jene, dass jedes Jahr tausend bis zweitausend Österreicher an der Grippe sterben und wir uns folglich vor der Influenza viel mehr fürchten müssten.
Kontrollverlust
Die Corona-Panik hat mehrere Gründe, erläutert Claus Lamm, Professor für Biologische Psychologie an der Uni Wien. „Einer ist die weltweite Dimension – das Gefühl, dass sich da etwas ausbreitet, das diffus und nicht klar erkennbar ist. Man sieht die Viren nicht und weiß nicht, wer infiziert ist“, betont er. „Hätten wir jedes Jahr ein Coronavirus, würden wir wohl anders reagieren.“
Andererseits: Fast jeder weiß, wie sich eine Grippe anfühlt, kennt die ersten Symptome – auch das verstärke die Angst vor dem neuen Virus. Den gefühlten Kontrollverlust, der mit der diffusen Angst einhergeht, versuchen viele, mit eigenen Maßnahmen auszugleichen. Auch wenn der Effekt – Stichwort: Atemschutzmasken – bekanntlich überschaubar ist.
Gemeinschaftsgefühl durch Angst
Wenn sich alle fürchten, entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, man hat beim Bäcker plötzlich andere Gesprächsthemen als das Wetter. „Angst ist ein starkes Gefühl. Man kann es gut ausleben, mit anderen teilen, sich mitreißen lassen“, sagt Lamm. Das zeige sich in Blockbustern über Katastrophenszenarien.
„Ich vermute, das Virus ist gerade ein willkommenes Ventil für all unsere Ängste und Überforderung. Es ist nicht ganz so komplex wie der Klimawandel, und eine Lösung ist realistischer.“
Michael Stuller hat in seiner Praxis noch keinen Patienten mit Corona-Angst behandelt. Betroffenen rät er zu einer simplen, aber effektiven Methode: Achtsamkeit. „Patienten mit Angststörungen bleiben in ihrer Angst stecken. Dabei gibt es noch so viel anderes um sie herum.“
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