So verändert chronischer Schmerz das Essverhalten

Eine Frau sitzt mit gesenktem Kopf und verschränkten Händen vor einer Pralinenschachtel am Tisch.
Schmerzpatientinnen und -patienten nutzen bestimmte Nahrungsmittel als Trostspender. Eine Strategie, die kurzfristig entlastet, langfristig aber unerwünschte Folgen haben kann.

In jedem dritten Haushalt in Europa lebt laut der Deutschen Schmerzgesellschaft ein Mensch, der unter Schmerzen leidet. Anhaltende Schmerzzustände gehen oft mit körperlichen Einschränkungen, aber auch psychischen Belastungen einher. 

Australische Forschende konnten Dauerschmerz in einer neuen Studie nun mit Veränderungen im Essverhalten in Zusammenhang bringen. Konkret greift ein Großteil der Betroffenen regelmäßig zu Comfort Food, heißt es im Journal of Clinical Psychology in Medical Settings.

Emotional aufgeladene Kost

Unter Comfort Food, also Wohlfühlessen, versteht man Nahrungsmittel, die für Menschen eine emotionale Bedeutung haben – etwa mit Gefühlen von Zufriedenheit, Sicherheit, Geborgenheit und Trost verbunden werden. 

Entsprechende Speisen können einen nostalgischen Wert besitzen, zum Beispiel an schöne Momente in der Kindheit erinnern. In der Regel sind sie durch einen hohen Kalorien- und Kohlenhydratgehalt gekennzeichnet. Hochkalorische Kost hat auf neurobiologischer Ebene tatsächlich eine beruhigende Wirkung, weil sie im Gehirn die Freisetzung stressdämpfender Hormonen anregt.

Comfort Food wird insbesondere bei Schmerzschüben als hilfreich erlebt

Den neuen Forschungsergebnissen zufolge empfinden Betroffene Comfort Food insbesondere in Schmerzschubphasen als hilfreich, beschreibt Studienleiter und Psychologe Toby Newton-John: "Menschen, die täglich mit Schmerzen leben, müssen Wege finden, damit umzugehen. Wir denken bei Strategien zur Schmerzbewältigung an Medikamente, Physiotherapie oder Wärmepackungen, normalerweise nicht an Essen. Dennoch gaben zwei Drittel unserer Stichprobe an, dass sie mindestens einmal alle zwei Wochen zu bestimmten Lebensmitteln griffen, wenn Schmerzen aufflammten."

Genuss, um den Schmerz zu vergessen

Die Forschenden befragten 141 Erwachsene auch zu ihren Beweggründen: Hauptgründe für schmerzbedingtes Trostessen waren demnach "eine angenehme Erfahrung machen" (51,8 %) war, gefolgt von "Ablenkung" (49,6 %) und "Emotionen reduzieren" (39 %).

Viele sehen emotionales Essen als schöne Erfahrung im Alltag – etwas, worauf sie sich freuen können. "Wenn man ständig mit Schmerzen lebt, wird dieser Moment des Genusses zu einer ziemlich starken Motivation", erläutert Mitautorin und Psychologin Amy Burton.

Neben emotionalen Beweggründen könnten auch biologische Mechanismen das Verlangen nach Zucker- und Fetthaltigem erklären. Forschungen zeigen zum Beispiel, dass kalorienreiche Lebensmittel eine leicht schmerzlindernde Wirkung haben können.

Teufelskreis durchbrechen

Die wohltuenden Effekte haben einen Preis: Wird häufig Hochkalorisches konsumiert, kann das eine Gewichtszunahme begünstigen, was das Risiko für weitere Gesundheitsprobleme erhöht. Ein Teufelskreis entsteht, warnt Newton-John.

"Kurzfristig sorgen kalorienreiche Lebensmittel dafür, dass man sich besser fühlt. Langfristig können sie jedoch Gewichtszunahme und Entzündungen fördern, was den Druck auf die Gelenke erhöht und die Schmerzen verschlimmert. Dadurch geraten Betroffene in eine Spirale, aus der sie nur schwer wieder herauskommen", präzisiert der Experte. 

Es sei wichtig, Essen als mögliche Bewältigungsstrategie von Schmerzpatientinnen und -patienten zu identifizieren und Alternativen aufzuzeigen. Falsch sei, Betroffene dafür zu verurteilen. Newton-John: "Der Umgang mit täglichen Schmerzen ist unglaublich schwierig, Medikamente helfen oft nur bedingt. Es ist verständlich, dass Menschen nach etwas greifen, das ihnen guttut. Sowohl für Ärzte als auch für Patienten ist es entscheidend, sich dessen bewusst zu sein, um diesem Kreislauf zu entkommen."

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